Dieter Rucht, Simon Teune (Hrsg.): Nur Clowns und Chaoten?

Einzelrezension
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Rezensiert von Sigrid Baringhorst & Andreas Hetzer

rucht&teune2008Einzelrezension
Der Sammelband von Dieter Rucht und Simon Teune steht in der Tradition der deutschen Protest- und Bewegungsforschung und beschäftigt sich mit der Analyse und Interpretation der Medienresonanz auf die G8-Protestereignisse in Heiligendamm 2007. Der G8-Gipfel kann aufgrund seiner breiten Gegenmobilisierung und der umfangreichen Berichterstattung als singuläres Protest- und Medienereignis für Deutschland bezeichnet werden. Im Mittelpunkt der Studie stehen die Medienprodukte selbst, auf eine Medienwirkungsanalyse wird verzichtet. Die Herausgeber sind ausgewiesene Experten auf dem Gebiet und begründen ihr Forschungsinteresse an der Thematik des Bandes mit ihrer “langjährige[n] Befassung mit politischen Protestbewegungen, ihre[n] öffentlichen Darstellungs- und Vermittlungsformen und die von ihnen gewollt und ungewollt erzielten massenmedialen Resonanzen” (11). Dementsprechend betritt das empirische Untersuchungsdesign kein methodologisches Neuland, sondern kann an zahlreiche Vorarbeiten der Herausgeber anknüpfen. Entgegen üblicher Publikationsformen hat sich das Autorenteam bewusst für eine innovative Zusammenstellung entschieden, indem wissenschaftliche, politisch engagierte und journalistische Sichtweisen kontrastiert werden.

Im ersten Teil bemühen sich zwei Beiträge um die Rekonstruktion der Ereignisse. Simon Teune bietet eine neutrale Chronik des Protestverlaufs, wohingegen Elke Steven als Mitglied der Beobachtergruppe des Komitees für Grundrechte und Demokratie diesen aus einer politisch-kritischen Beobachterperspektive kommentiert.

Danach stellen Rucht und Teune die Befunde einer quantitativen Printmedienanalyse vor. Der Vergleich der Presseerzeugnisse konzentriert sich auf den Umfang, die Themen und die inhaltliche Tendenz der Berichterstattung. Fördern die Ergebnisse insgesamt wenig Neues zu Tage, so fällt im Vergleich zu ähnlichen Protestgroßereignissen der vergangenen Jahre auf, “dass die Berichterstattung über den offiziellen Gipfel schrumpft, während den Protesten immer mehr Raum gewidmet wird” (72). Die darauf folgende qualitative Analyse von Pressekommentaren von Rucht zeigt, dass die Kommentarspalten der verschiedenen Zeitungen “ein breites und durchaus kontroverses Meinungsspektrum” abbilden. Ergänzend zur textbasierten Auswertung untersucht der Beitrag von Sabrina Herrmann die visuelle Repräsentation der Proteste während der Gipfelwoche in vier verschiedenen Hauptnachrichtensendungen von ARD, ZDF, RTL und Sat.1 anhand von Schlüsselbildern.

Im dritten Teil kommen mit der Pressesprecherin von attac (Frauke Distelrath) und einem Aktivisten des alternativen Medienzentrums (Stefan Zimmer) Protestakteure selbst zu Wort. Die subjektiv gefärbten Perspektiven bieten einen Einblick in die Gegenöffentlichkeitsstrategien der Gipfelkritiker. Die anderen beiden Beiträge sind mit Daniel Schulz und Stefan Raue von Medienschaffenden verfasst, die die Inszenierung der Ereignisse und die Rolle der Medien problematisieren.

Der Schlussteil schließt mit zwei wissenschaftlichen Reflexionen. Mundo Yang präsentiert ein Konzept diskursiver Protestdramaturgien zur Mobilisierung kollektiver Akteure und schärft mit seiner Unterscheidung in partnerschaftliche, antagonistische und kritische Dramaturgien den Blick für die Heterogenität der globalisierungskritischen Bewegung bezüglich ihrer Präsentation in der Öffentlichkeit. Im abschließenden Fazit fassen Rucht und Teune die Lehren zusammen, die alle beteiligten Akteure aus dem Medienereignis “G8-Gipfel” ziehen können.

Der Versuch, die Multiperspektivität mit den verschiedenen Beiträgen abzubilden, ist ein lohnenswertes Unterfangen. Der Leser muss allerdings in Kauf nehmen, dass sich der Stil und die Qualität der Beiträge erheblich unterscheiden. Die Beiträge zeichnen sich durch eine klare und verständliche Sprache aus. Damit ist der Band nicht nur einer wissenschaftlichen Community zugänglich, sondern darüber hinaus eine wertvolle Lektüre für Bewegungsakteure und Medienmacher. Der nationale Fokus aller Autoren dürfte die Rezeption der Veröffentlichung eher auf ein deutsches Publikum beschränken. Die internationale Leserschaft sei eher auf vorangegangene Arbeiten besonders von Dieter Rucht verwiesen, die mit ihrer stärkeren theoretischen Ausrichtung das Fundament für die hier vorliegende Fallstudie legen.

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Über das BuchDieter Rucht, Simon Teune (Hrsg.): Nur Clowns und Chaoten? Die G8-Proteste in Heiligendamm im Spiegel der Massenmedien. Frankfurt am Main, New York [Campus Verlag] 2008, 254 Seiten, 24,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseDieter Rucht, Simon Teune (Hrsg.): Nur Clowns und Chaoten?. von Baringhorst, Sigrid; Hetzer, Andreas in rezensionen:kommunikation:medien, 18. November 2009, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/122
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