Rezensiert von Hans-Dieter Kübler


Das Buch ist eine Art Manifest, mit so viel Verve und Unbeirrbarkeit, dass man sich ihm nur entziehen kann oder – umgekehrt – ganz gefesselt wird. Natürlich gibt es zwischendurch auch sachliche Passagen über die Strategien, Märkte und Machtkonstellationen der amerikanischen Digitalkonzerne, die von eindrücklichen, plakativen Illustrationen einer professionellen Grafikerin unterstützt werden. Aber beherrscht wird der Duktus von harscher, mitunter suggestiver Kritik und von forschen Aufrufen zu Widerstand und Gegenwehr (wobei allerdings unklar bleibt, wer oder was sie wie bei international agierenden Großkonzernen realisieren soll. Aber dann gehört man wohl schon zum Lager der Abwiegler und Schwächlinge, aus Sicht des Autors).
Motiviert wurde der Band offenbar von einer traumatischen Erfahrung des Autors im Oktober 2020, einer “Bedrohung”, wie er gleich im Vorwort (“Knockout: Wie BigTech missliebige Forschung abschaltet”) und später an anderen Stellen schreibt: Sein Vorhaben, eine “erste Nullmessung der gesamten digitalen Mediennutzung”, wie es sie bisher in Deutschland nicht gegeben habe, suchte Big Tech zu unterbinden und tat es offenbar für die geplante regelmäßige Messung und Publizierung ebenso. Veröffentlicht war die erste allerdings bereits schon, online unter www.atlasderdigitalenwelt.de und als Buch (2020). Aber GAFAM (also Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft) griffen damals sogar angeblich in die “persönliche Existenz” des Initiators, der digitale Medien an der Universität Köln unterrichtet und Gründer von AMP Digital Ventures ist, ein und bewiesen, wie ungehindert sie “in Deutschland schon jetzt schalten und walten können, wie sie wollen” (9).
Solche monokausale, brachiale Logik des Autors, die in ihren Wiederholungen an Verschwörungsmythen erinnert, durchzieht das gesamte Buch und wird unermüdlich variiert. Grob umrissen lautet sie so: Die US-amerikanischen Big Five Tech – die chinesischen Digitalkonzerne Alibaba, Baidu und Tencent (A-B-T) bleiben unberücksichtigt – erobern, beherrschen und manipulieren nicht nur global Kommunikation und Medien, sondern letztlich das gesamte gesellschaftliche Leben. Zunächst untergraben sie die herkömmlichen, von Verlagen und Redaktionen getragenen sogenannte “analogen” Massenmedien, indem sie ihnen ihre Existenzgrundlage – Werbeeinnahmen – entziehen und sie mit ihren Usercontent bestücken, von Kommerzagenturen betriebenen Plattformen und Social Media ersetzen und sie letztlich zerstören. Damit setzen sie die als allgemeines Menschenrecht legitimierte Informations-, Meinungs- und Medienfreiheit, die die traditionellen Medien gegen die staatliche Macht heroisch erkämpften, außer Kraft, da sie ihr als sogenannte nichtmediale Intermediäre nicht unterliegen, und bedrohen damit die westliche Demokratie in ihren Grundfesten.
Ohne Frage ist da etwas dran, aber so einseitig und rigid, wie der Autor seine Argumentationslinien zieht und militant verteidigt, sind die Verhältnisse nun einmal nicht: Der moderne Rechts- und Sozialstaat war nicht nur Gegner, sondern musste in der jüngeren Vergangenheit in den westlichen Demokratien die Presse- und Medienfreiheit auch häufig genug gegen mächtige Verlegermogule verteidigen und effiziente Strategien der massiven Medienkonzentration abwehren. Außerdem haben sich die hochgelobten traditionellen Medien vielfach mit den Digitalkonzernen alliiert oder manche sich sogar selbst als (kleinere), meist nicht grandios erfolgreiche Digitalkonzerne etabliert, wenn man hierzulande an Bertelsmann oder Springer denkt. Weltweit dürften mindestens die genannten chinesischen Digitalkonzerne den amerikanischen Konkurrenz machen, wenigstens in bestimmten Weltregionen und voraussichtlich auch erst in naher Zukunft, so dass es zu einer dipolaren Aufteilung der digitalen Welt kommen wird. Der internationale Siegeszug des Videoportals TikTok avisiert bereits diesbezügliche Vorstöße, es wird ja vom chinesischen Unternehmen ByteDance betrieben. Doch solche Differenzierungen und Widrigkeiten fichten den furiosen Autor nicht an.
Nach solch grandiosem Auftakt entfaltet und variiert der Autor in fünf weiteren Kapiteln sein Thema: Das erste firmiert als dystopisches Szenario, das den Kipppunkt der überkommenen Medienwelt avisiert: “Game over 2029”: Dann sind die analogen Medien – wohl überall – unter 25 Prozent Anteil gesunken, ihre Finanzierungsgrundlage – die Werbung – ist zu den Plattformen und Social Media gewechselt; deren 100 Topp-Angebote erzielen fast 72 Prozent des globalen Traffics, alle anderen schwächeln mit minimalen Quoten auf dem “Friedhof” des Internets. Redaktioneller Journalismus, selbst Markenkonzerne und Blogger:innen haben keine Chance mehr, der öffentlich-rechtliche Rundfunk – schon jetzt in etlichen Staaten ein attackiertes Auslaufmodell – ist quasi verschwunden. Jeglichen politischen Diskurs bestreiten die Plattformen. Ist es “wirklich so dramatisch?” (47) fragt der Autor am Ende des Kapitels ziemlich rhetorisch und verweist knapp auf gegenläufige Studien. Aber die seien alle “irreführend” (48) oder gutgläubig, am Ende könnte die Kippbewegung sogar “noch schneller stattfinden als hier beschrieben” (51).
Im Grunde ist zu diesem Horrorszenario alles gesagt, aber der Autor lässt noch vier weitere Kapitel darüber folgen. Im nächsten fragt er sich, wie die Tech-Riesen es geschafft haben, das “freie Internet” zu ruinieren. Seine Erklärung ist kaum überraschend, eher irreführend: Wenn Medien wie die Plattformen in Privatbesitz seien, ist seine simple Logik, sei die Perversion unvermeidlich. Davor, bis in “heutiger Zeit”, waren alle Medien “Gemeingüter” (69), will heißen, so wenige Seiten später: die Mediengattung Zeitung, Radio, Fernsehen (75) gehörte allen.
Aber was ist mit diesen konkreten Medien? Waren die im kapitalistischen System nicht seit jeher privat, sogar überwiegend privat begründet und vermarktet, erst im modernen Sozialstaat als so genannte meritorische Güter geadelt, also staatlich geschützt und gefördert. Und sind die gemeinwirtschaftlichen Medien wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk in ihrer Finanzierung nicht vom Staat mühsam verteidigte Mischformen in markwirtschaftlichen Nischen? Ob und wie die generative KI als “Übernahmebeschleuniger” (98) wirkt, wie es am Ende des Kapitels prognostiziert wird, wird sich weisen, aber zu diesem Thema gibt sich der Autor erstaunlich zurückhaltend.
Danach weitet sich die dystopische Perspektive auf die ganze Gesellschaft. Auch sie wird von den High-Konzernen übernommen: zunächst – nochmals – die “freien Medien”, dann die Wirtschaft durch die Plattformen als Transaktionsriemen und Kapitalbeschleuniger und schließlich alle gesellschaftlichen Felder, da die Digitalkonzerne die “wichtigsten Infrastrukturen für eine zukünftige digitalisierte Gesellschaft” besitzen (129).
Gibt es gegen diese Übernahmen keine gesetzlichen Schranken, fragt das nächste Kapitel. Andree prüft sie alle, angefangen in den USA mit dem berühmten “Sherman Act” von 1890 gegen Monopolbestrebungen bis hin zu den Gesetzen gegen die digitalen Oligopole heute (Sind diese “böse oder wir so doof?”). Nein, die sind ‘nur’ clever und nutzen “auf kreative Weise die Lücken in unserem Recht, und wir schauen seit zwei Jahrzehnten tatenlos zu” (153) – wobei der Autor erst im letzten Kapitel adressiert, wen er mit “wir” meint. Auf nationaler Ebene sind angeblich das Bundeskartellamt mit dem “Gesetz zur Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)”, die KEK, die Bundesnetzagentur, das Medienrecht (Telekommunikationsgesetz und Medienstaatsverträge) und die Landesmediengesetze mit den Landesmedienanstalten völlig machtlos; über deren ineffektives, blindes Gebaren “lachen sich [die Digitalkonzerne] tot, dass wir so dusselig sind und nicht begreifen, was passiert” (157).
Aber auch die europäischen Initiativen seien unzureichend, meint Andree, obwohl er sie nur grob skizziert. Denn die Plattformen seien von jeglicher Verbreiterhaftung befreit, da sie nicht Medien, sondern nur Intermediäre und so vom “fairen Wettbewerb” verschont sind. So bleibt der “Untergang der deutschen beziehungsweise europäischen Medienunternehmen [auch rechtlich] besiegelt, wenn wir nicht couragiert eingreifen, die Rahmenbedingungen ändern und fairen Wettbewerb wiederherstellen” (200). Bevor diese Vorstöße und Gegenmaßnahmen vorgestellt werden, fragt der Autor wiederum etwas suggestiv, warum diese Fehlentwicklungen niemanden interessieren. Weil wir ihre Gründer als ehemalige Garagen-Nerds im Silikon Valley im Gegensatz zu anderen Konzernbosse lässig, cool und sexy finden, lautet die erste Antwort, und Andree fügt einige bislang wenig bekannte Episoden des Gründungsmythos hinzu, bis er am Ende wieder bei den üblen Machenschaften der Konzerne, bei Lobbyismus, Erpressungen, Unterwanderung und Manipulation der Wissenschaft und dem Fazit ankommt, dass “wir ausnahmslos alle” – die Blogger, die Medienunternehmen, die Influencer, die Wissenschaft, die Politik, die Linken wie die Liberalen, die Armen wie die Reichen, die Big-Tech-“Partner” wie ihre Gegner und NGOs – “von Big Tech betrogen”, vulgo “verarscht” werden (240).
Wenn dem so ist, wer kann dann noch das “Internet befreien”, wozu das letzte Kapitel vor dem “Countdown 2029” aufruft? Hier hapert es erneut mit der Logik. Denn nach den vielen schlechten Nachrichten wartet das Kapitel zunächst “mit mehreren richtig guten Nachrichten” auf (242). Zum einen sei Big Tech nach Umfragen von den Menschen in Deutschland zu 82 Prozent abgewählt, will heißen: Die sehen deren Vormachtstellung kritisch. Sodann: Wenn wir gelernt haben, “digital mutig zu sein und zu träumen”, dann ist es “leicht, das Problem zu lösen” (244f). Wir müssen Big Tech einfach und klar sagen: “Uns reicht’s!” (247) und “BIG Tech muss weg!” (darüber gibt es eine graphische Doppelseite). Denn das freie Internet hat “Grundwerte” (251), und wir bekommen für die Wegführung einen Slogan, ein Mission Statement und Spirit mit (255), so dass wir den “digitalen Turbo” starten und das Internet von der Herrschaft von Big Tech mit 14 konkreten Maßnahmen “befreien” (können): Die reichen von der “Durchsetzung offener Standards und Interoperationalität” über die zu erzwingende Bezahlung der vollen Steuerlast durch die Konzerne, die Vergemeinschaftung von Daten und die “Entflechtung der Tech-Riesen” (259) bis zur “Einführung von Berufungsinstanzen/Oversight Boards durch [die] Community” der Internet-User*innen. Und wer daran zweifelt und solche Forderungen als “völlig naiv” und “nicht machbar” hält (264)? Ja, dem kann der Autor so richtig auch nicht helfen. Aber er glaubt an seine Losung und seine Mission und endet sein Buch mit dem Slogan: “Wenn wir gemeinsam den Mut aufbringen zu kämpfen: DANN WERDEN WIR SIE STOPPEN” (276). Dann wird Europa, Deutschland, werden wir alle “digital erblühen” in “einer freien Welt”, “einer freien Demokratie und einer freien Wirtschaft” (276). Das unerschrocken aktivierende Vademecum und die etwas populistische Anleitung liegen schon mal vor, der ‘Rest’ müsste dann wohl auch gelingen.
Links:
Über das BuchMartin Andree: BIG TECH muss weg! Die Digitalkonzerne zerstören Demokratie und Wirtschaft. Wir werden sie stoppen. Frankfurt/New York [Campus] 2023, 288 Seiten, 25,- EuroEmpfohlene ZitierweiseMartin Andree: BIG TECH muss weg!. von Kübler, Hans-Dieter in rezensionen:kommunikation:medien, 17. April 2025, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/25450