Rezensiert von Simon Meier

Die Autorin unternimmt in der auf ihre Dissertation zurückgehenden Untersuchung den doppelten Versuch, “das Begriffsinstrumentarium und bestimmte theoretische Erkenntnisse der Textlinguistik und der Dialoglinguistik auf die Analyse von literarischen Dialogen von Schnitzler und Bernhard zu übertragen” (7), wobei gerade die Beschäftigung mit dem Sonderfall, den literarische Dialoge darstellen, dabei helfen soll, “Dialogizität zu definieren” (8). Gegen diese Ankündigung einer doppelten Zielsetzung stellt jedoch die zuerst Genannte die wichtigere dar. Die Ausführungen erschöpfen sich über weite Strecken des Buches darin, übliche text- und dialoglinguistische Begriffe und Unterscheidungen zu referieren und deren Brauchbarkeit anhand ihrer Anwendung auf literarische Dialoge zu prüfen.
Eine engere Fragestellung, welche etwa die Auswahl gerade dieser beiden Schriftsteller rechtfertigt, ist nicht erkennbar. Der Titel des Buches, der eine linguistische Untersuchung des in moderner Literatur häufig thematisierten Fragwürdigwerdens gesprächsförmiger Verständigung andeutet, spiegelt sich kaum in der Untersuchung selbst wider.
Das Buch gliedert sich wie folgt: Gemäß der im theoretischen Teil ausführlich hergeleiteten Unterscheidung zwischen Form und Funktion werden im empirischen Teil zunächst dialogformale Einteilungskriterien wie “Anzahl der Dialogpartizipanten” (107) sowie formale Gestaltungsmerkmale literarischer Dialoge wie etwa deren “sprachliche Markiertheit” (121) im Vergleich zu narrativen Passagen beschrieben. Anschließend werden in sprechakttheoretischer Manier die kommunikativen Funktionen einzelner Dialoge und Dialogschritte zu bestimmen versucht. Hier stellen die “doppelte Adressatenorientierung” (66) von Dialogschritten und die sich in das Sprachmaterial einprägende Gestaltungsabsicht des Autors besondere Herausforderungen dar. Diese werden von der Autorin zwar reflektiert, bei der praktischen Durchführung ihrer Analyse bleiben sie jedoch weitgehend unberücksichtigt.
Somit beraubt sich die Autorin bedauerlicherweise selbst der Möglichkeiten, die eine linguistische Analyse von literarischen Dialogen bieten könnte. Die verstreuten Bemerkungen etwa zur “Kommunikationsdekonstruktion” (181) oder im Bernhard’schen “Erzähldiskurs angelegten Möglichkeit der Distanzierung” (ebd.) von Leser und Sprachwirklichkeit, deretwegen die Dialogizität “erst von jedem Rezipienten selbst zu erschließen ist” (25), bleiben Randerscheinungen und sind zumeist nur oberflächlich am Quellenmaterial belegt. Eine linguistisch begründete, d.h. auf einer Beschreibung der sprachlichen Form beruhende Interpretation der Quellen als Kunstwerke kommt so durchgehend zu kurz. Dies liegt wohl auch daran, dass die Autorin literaturwissenschaftliche Forschungen zu den beiden untersuchten Autoren gänzlich unberücksichtigt gelassen hat. Auch die noch heute grundlegende und auch für ihre Zwecke höchst einschlägige Poetik des Dialogs (Bauer 1969) hat die Autorin offenbar nicht zur Kenntnis genommen.
Nun soll nicht unerwähnt bleiben, dass Anna Hanus ihre Dissertation an einer polnischen Universität und noch dazu in einer für sie fremden Sprache verfasst hat, was vermuten lässt, dass sie bei ihrer Recherche mit erheblichen Beschaffungsschwierigkeiten konfrontiert war. Dies sollte jedoch die Ausarbeitung einer prägnanteren und mithin fruchtbareren Fragestellung nicht behindern.
Literatur:
- Bauer, G.: Zur Poetik des Dialogs. Leistung und Form der Gesprächsführung in der neueren deutschen Literatur. Darmstadt [Wissenschaftliche Buchgesellschaft] 1969.
- Hess-Lüttich, E.W.B.: “Literarische Gesprächsformen als Thema der Dialogforschung.” In: Betten, A.; Dannerer, M. (Hrsg.): Dialogue Analysis IX: Dialogue in Literature and the Media. Tübingen [Niemeyer] 2005, S. 85-98.
- Klein, W.: “Die Werke der Sprache. Für ein neues Verständnis zwischen Literaturwissenschaft und Linguistik.” In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 150, 2008, S. 8-32.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Anna Hanus am Institut für Germanistik der Universität Rzeszow
- Webpräsenz von Simon Meier am Institut für Germanistik der Universität Bern