Klaus Arnold; Markus Behmer; Bernd Semrad (Hrsg.): Kommunikationsgeschichte

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Rezensiert von Frank Bösch

Einzelrezension
Das öffentliche Interesse an Geschichte ist im letzten Jahrzehnt immens gewachsen. Historische Ausstellungen, Filme und Fernsehsendungen erreichen regelmäßig ein Millionenpublikum und die Zahl der Geschichtsstudenten steigt weiter an. Ebenso haben medien- historische Forschungsverbünde und Publikationen zugenommen. Dagegen scheint jedoch bei den Studierenden und Lehrenden der Kommunikations- wissenschaft das historische Interesse eher zu schwinden: Medienhistorisch ausgerichtete Lehrstühle sind rar geworden und entsprechende Lehrveranstaltungen gelten oft als praxisferner Ballast oder als theorieferner Positivismus.

Der vorliegende Band weiß um diese Probleme und möchte entsprechend Perspektiven und Hilfestellungen für künftige Arbeiten in der Kommunikationsgeschichte aufzeigen. Er richtet sich einerseits sehr praxisnah an Studierende, zeigt andererseits aber in einigen Artikeln weiterführende Forschungsperspektiven auf. Die 18 Beiträge stammen dabei überwiegend von Kommunikationswissenschaftlern, vereinzelt aber auch von Historikern und Soziologen. Viele der Texte lassen sich als Plädoyers verstehen, einen bestimmten Zugang zur Kommunikationsgeschichte zu wählen. Nach dem einleitenden Appell Horst Pöttkers, sich gegenwartsbezogen mit Geschichte zu beschäftigen, fordert etwa Rainer Gries kulturgeschichtliche, transnationale und generationelle Zugänge, Wolfgang R. Langenbucher den Blick auf Akteure, Susanne Kinnebrock die Berücksichtigung von Genderfragen, Christoph Classen die Diskursanalyse, um Normen und Wahrnehmungen zu analysieren, und Jürgen Wilke plädiert für das Aufgreifen quantitativer Methoden, um generalisierbare Evidenz zu erreichen.

Eine zweite Gruppe von Texten reflektiert interessante Einzelaspekte der Kommunikationsgeschichte. Rudolf Stöber diskutiert etwa mit dem Medieneinfluss auf die soziale Zeit ein wichtiges Forschungsfeld. Dies ließe sich mit dem generationengeschichtlichen Zugang von Gries verbinden. Besonders gelungen erscheint mir zudem der Beitrag von Wolfram Peiser zum vielzitierten “Riepl’schen Gesetz”, der differenziert dessen Rezeption, Geltung und auch die Folgen für die aktuelle Medienwahrnehmung in der Zunft diskutiert (161).

Eine dritte Gruppe von Beiträgen richtet sich besonders an Studierende. Edgar Lersch und Rudolf Stöber führen in die Grundlagen der Quellenanalyse ein, wobei gerade der Hinweis, dass auch die Fachtexte der eigenen Disziplin zu Quellen werden können, zu unterstreichen ist. Sehr hilfreich ist ihre tabellarische Auflistung, wo man unveröffentlichte und publizierte Quellen zu unterschiedlichen Massenmedien finden kann. Gleiches bietet der ebenfalls praxisnahe Beitrag von Michael Meyen, der historische Quellen zur Mediennutzung aufzeigt und an Beispielen deren Nutzen diskutiert. Im Internetzeitalter wären sicher Internetadressen hilfreich gewesen, etwa zu Links mit elektronischen Volltexten von Zeitungen oder Nachlassdatenbanken wie der ZDN, die auch bundesweit Nachlässe von Journalisten aufführt.

Wo liegen neben den aufgezeigten Stärken die Grenzen des Bandes? Obgleich er wohlüberlegt viele wichtige Bereiche abdeckt, ist er sicherlich kein umfassendes und systematisches Hand- und Lehrbuch, so dass sich natürlich weitere Zugänge ergänzen ließen. So sind alle Beiträge stark auf Deutschland bezogen und Methoden für eine vergleichende Kommunikationsgeschichte werden nur am Rande erwähnt. Auch die ökonomische Perspektive spielt eine recht geringe Rolle, obgleich Medien auch historisch als gewinnorientierte Waren auf Märkten zu betrachten sind. Zugleich erhärtet der Band die Annahme, dass die Kommunikationsgeschichte bislang wenige eigene theoretische Ankerpunkte hat, sondern eher generelle Ansätze des Faches an älteren Medien prüft. Während etwa zur Filmgeschichte recht ausgefeilte theoretische Schriften der Film- und Medienwissenschaften vorliegen, bleiben Theorien zur Zeitungsgeschichte weiterhin rar. Vielleicht mag dies auch erklären, warum so häufig auf Wolfgang Riepls althistorische Arbeit von 1913 verwiesen wird, um den Medienwandel zu diskutieren.

Auffällig ist schließlich eine gewisse fachliche Verengung. Obgleich der Band über Geschichte reflektiert, wird die aktuelle Forschung von Historikern kaum aufgegriffen. Ebenso ignoriert werden die zahlreichen programmatischen Artikel zur Mediengeschichte von Seiten der Geschichtswissenschaft, die in den letzten 10 Jahren entstanden. Ausgespart werden zudem fast konsequent die Ansätze der Medienwissenschaften, bis auf einzelne Kurzerwähnungen von Werner Faulstichs Büchern. Selbst ein Werk wie das Handbuch der Mediengeschichte von Helmut Schanze findet nirgendwo auch nur eine Erwähnung. Etwas mehr Mut zur interdisziplinären medienhistorischen Lektüre wäre sicher hilfreich. Trotz dieser Einwände bietet der Band aber insgesamt besonders für die Lehre zahlreiche hilfreiche Artikel, die auch neue Forschungen anregen dürften.

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Über das BuchKlaus Arnold; Markus Behmer; Bernd Semrad (Hrsg.): Kommunikationsgeschichte. Positionen und Werkzeuge. Ein diskursives Hand- und Lehrbuch. Reihe: Kommunikationsgeschichte, Band 26. Berlin [LIT Verlag] 2008, 458 Seiten, 39,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseKlaus Arnold; Markus Behmer; Bernd Semrad (Hrsg.): Kommunikationsgeschichte. von Bösch, Frank in rezensionen:kommunikation:medien, 7. Oktober 2010, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/2758
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