Axel Kuhn: Vernetzte Medien

Einzelrezension
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Rezensiert von Gerit Götzenbrucker

kuhn2009Einzelrezension
Das 367 Seiten umfassende Werk wurde als Dissertation an der Universität Erlangen-Nürnberg angenommen, wobei der Autor dem Fachbereich Buchwissenschaft am Institut für Theater- und Medienwissenschaft angehört. Der Fokus liegt auf einer – stark kulturwissenschaftlich geprägten – Definition von Räumlichkeit und Raumwahrnehmung in digitalen, vernetzten Medienwelten und deren Einfluss auf Rezeptionssituationen. “Die grundlegende These ist, dass die Erweiterung der Rezeption durch die funktionalen Prinzipien vernetzter Medien und der damit verbundenen Erzeugung einer virtuellen Wirklichkeit starken Einfluss auf deren Nutzung nimmt, kognitive und emotionale Prozesse während der Nutzung intensiviert und spezifische langfristige Wirkungen begünstigt.” (22) Dafür wurde im empirischen Teil der Arbeit eine strukturierte Inhaltsanalyse der “funktional medialen Räume” des Massively Multiplayer Online Role Playing Game World of Warcraft sowie eine quantitative Online-Befragung (n=277) von Spielern durchgeführt.

Bevor es jedoch zu einer Beschreibung der empirischen Studien und der Forschungsergebnisse kommt (erst auf Seite 213), bereitet der Autor sein Forschungsfeld theoretisch sehr ausführlich und penibel auf, was sich insbesondere an einer Vielzahl von Definitionen und Begriffsklärungen am Anfang des Werkes zeigt: Die Bestimmung der funktionalen Potenziale vernetzter Medien (anhand der Dimensionen Multimedialität, Interaktivität und Virtualität) mündet in einem Schaubild zur Verortung virtueller Welten in Abgrenzung zu anderen Varianten der computervermittelten Kommunikation (98). Interessanterweise wird der titelgebende Netzwerkbegriff jedoch nicht definiert, was irreführend für die Leser ist.

Des weiteren arbeitet der Autor daran, virtuelle Welten als Verbindung komplexer Sozialräume und Wirkungsräume zu positionieren, was insgesamt mehr als die Hälfte des vorliegendes Werkes einnimmt und sich als eine ausführliche Dokumentation unterschiedlicher Blickwinkel auf Räumlichkeit (bisweilen mit etwas zu vielen und zu langen Originalzitaten) und einer jeweils anschließenden Konklusion bezüglich deren Bedeutung für die Nutzung unterschiedlicher Medientypen darstellt. In Kapitel 4 bis 6 werden dann die eigentlich wichtigen Grundlagen für die Bestimmung der Rezeption vernetzter Medien behandelt – Wahrnehmungsraum (ästhetische Multimedialität und technische Interaktion) und Sozialraum (Interpersonale Interaktion, Identität, vernetzte mediale Gemeinschaften) – und in eine schematische Darstellung (212) gegossen. Bis es soweit kommt, braucht der Leser allerdings viel Durchhaltevermögen, da die direkte Verbindung der einzelnen an Theorien angelehnten Passagen relativ unverbunden nebeneinander stehen.  Das soll jedoch nicht die Tatsache herabsetzten, dass der Autor sich sehr intensiv mit den relevanten Theorien und Studien zur Beschreibung virtueller Räume, Kommunikation und Gemeinschaften auseinandergesetzt hat, was schon durch das ausführliche Literaturverzeichnis belegt ist.

Die unterschiedlichen, aus dem Schema ersichtlichen Aspekte und Beschaffenheiten, die virtuelle Welten ausmachen, bilden sowohl die Grundlage für die qualitative, strukturierte Inhaltsanalyse des Online-Rollenspiels World of Warcraft, als auch den Ankerpunkt für die Fragedimensionen der Online-Befragung.

In der strukturierten Inhaltsanalyse, die einerseits auf vorausgehenden Beobachtungen im Spiel als auch auf die Analyse von vorliegenden Informationen über das Spiel aufbaut, werden im Zeitraum von Februar 2005 bis Anfang 2008 insbesondere die Struktur des Wahrnehmungsraumes (der audiovisuellen, narrativen sowie interaktiven Struktur) und des Sozialraumes (interpersonale Kommunikation, Gemeinschaftsstrukturen, intermediale Elemente) mit dem Ergebnis untersucht, dass es sich bei WoW um eine vielschichtige virtuelle Wirklichkeit handelt. Allerdings wurde(n) keine weitere(n) virtuelle(n) Welt(en) inhaltsanalytisch untersucht, um hier einen Vergleich zu ziehen und beispielsweise die Grade der Abweichung hinsichtlich der Komplexität der einzelnen virtuellen Welten feststellen zu können. Das Resümee der Inhaltsanalyse fällt mit eineinhalb Textseiten etwas zu knapp aus, das können auch die Bildtexte zu bunten Screenshots aus dem Spiel nicht ausreichend kompensieren (256-270). Hier soll ein visueller Eindruck vermittelt werden, wie sich Landschaften und Regionen, Jahreszeiten, Karten, tektonische Unterscheide gestalten, wie sich Charaktere ausgestalten lassen und wie die unterschiedlichen Kommunikationsmodi visuell in das Spiel eingebunden sind.

Die Online-Befragung von 277 deutschen WoW-Spielern, die in den WoW-Foren mittels Link erreicht wurden, bietet interessante Einblicke u.a. in die emotionalen Befindlichkeiten der Spieler; beispielsweise, dass die Frustration durch technische Ausfälle (68%) um ein vielfaches höher bewertet wird als die Frustration durch den Tod einer Spielfigur (8%) (301ff.). Oder Ergebnisse zu sozialen Komponenten der Gildenmitgliedschaft, die belegen, dass es vorrangig um spielerische Möglichkeiten geht und erst nachrangig um das Kennenlernen neuer Leute oder das Zusammensein mit Freunden in der Community. Leider werden diese Ergebnisse nicht anhand des aktuellen, internationalen Forschungsstandes diskutiert und herausgearbeitet, was deren besondere Qualität darstellt. Die Zusammenfassungen der empirischen Teile referenzieren insgesamt ausschließlich auf die vom Autor gewonnenen Ergebnisse. Nach Ansicht der Rezensentin hätte hier noch Arbeit in ein ausführliches Resümee und einen Forschungsausblick investiert werden müssen, der alle Komponenten der Konstruktion von Qualität in vernetzen (Spiel-)Welten nochmals im Hinblick auf die gewonnenen Erkenntnisse bewertet und internationalen Forschungsergebnissen gegenüberstellt.

Insgesamt könnte das Werk gekürzt werden, beispielsweise um die im empirischen Teil nicht unbedingt notwendigen Diagramme und Tabellen der quantitativen Auswertung.

Summa summarum ein durchaus interessantes Werk, das sich aber ob seines Umfangs und seiner etwas schwerfälligen Strukturierung dem Leser nicht sofort klar erschließt, und dem ein starkes, diskursives Resümee fehlt.

Links:

  • Verlagsinformationen zum Buch
  • Webpräsenz von Axel Kuhn an der Universität Erlangen-Nürnberg
  • Webpräsenz von Gerit Götzenbrucker an der Universität Wien
Über das BuchAxel Kuhn: Vernetzte Medien. Nutzung und Rezeption am Beispiel "World of Warcraft". Konstanz [UVK] 2009, 367 Seiten, 34,- Euro.Empfohlene ZitierweiseAxel Kuhn: Vernetzte Medien. von Götzenbrucker, Gerit in rezensionen:kommunikation:medien, 18. Januar 2010, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/813
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