Rezensiert von Vera Katzenberger


Der Journalismus steckt im Umbruch. Ein hart umkämpfter Werbemarkt, teils nachrichtenmüde Publika, rasanter technologischer Wandel und stetig hoher Innovationsdruck durch Künstliche Intelligenz, Big Data und Co. – das alles sind nur kurze Stichworte für den aktuellen Wandel. Wie verändert sich Journalismus im digitalen Zeitalter? Was sind langfristige Trends, was nur kurzlebige Hypes? In vielen Medienorganisationen setzt die stete Unsicherheit kreative Energie frei, sie experimentieren in der Berichterstattung mit interaktiven Formen und multimedialen Formaten, erproben innovative Strategien zur Refinanzierung ihrer Angebote oder integrieren Algorithmen in ihre redaktionellen Prozesse.
Das ist die Ausgangslage für Lorenz Lorenz-Meyer in seinem Lehrbuch Digitaler Journalismus, erschienen im transcript Verlag. Das Einführungswerk erstreckt sich über 354 Seiten und ist in drei Teile gegliedert. Im ersten wird die Entwicklung des Journalismus unter dem Einfluss der Digitalisierung nachgezeichnet. Der zweite Teil konzentriert sich auf verschiedene journalistische Tätigkeiten. Hier behandelt Lorenz-Meyer grundlegende Aktivitäten wie Themenfindung, Recherche, Wissens- und Projektmanagement sowie innovative Bereiche wie Multimedia, Social Media, Datenjournalismus und die Automatisierung der Berichterstattung. Der dritte Teil fokussiert sich auf redaktionelles Marketing und thematisiert Aspekte wie Content Management oder die (Re-)Finanzierung von journalistischen Angeboten. Über alle 17 Kapitel hinweg setzt das Lehrbuch einerseits auf konkrete Anwendungsbeispiele aus der Medienbranche, andererseits auf eine didaktische Aufbereitung der Inhalte. Hier zeigt sich das Profil des Autors, der als Onlineredakteur für den Spiegel, die Zeit oder die Deutsche Welle tätig war und heute an der Hochschule Darmstadt in den Studiengängen Onlinejournalismus, Medienentwicklung und Media, Technology and Society unterrichtet.
Wie wird der Digitale Journalismus in dem Lehrbuch definiert? Lorenz-Meyer geht – wie die meisten Autorinnen und Autoren – davon aus, dass die “Effekte der Digitalisierung” (13) den Journalismus transformiert haben. Während sowohl in der Praxis als auch in der Forschung lange vom Onlinejournalismus die Rede war und das Internet als ein Ausspielkanal unter vielen galt, hat sich mittlerweile der Digitale Journalismus als Schlagwort und mit ihm eine ganzheitlichere Perspektive durchgesetzt. Auch Lorenz-Meyer begreift den Digitalen Journalismus als eine facettenreiche Praxis unter den Rahmenbedingungen der Digitalisierung, die die gesamte Wertschöpfungskette von der Produktion bis zur Distribution und Rezeption erfasst. Er geht von einem bunten “Medienkosmos” (34) aus, der sich in seiner Vielfalt auf allen digitalen Plattformen ausbreitet und weiterentwickelt. Bestehen muss der Digitale Journalismus dabei in einem dynamischen Spannungsfeld zwischen Kreativität, Konsum, Kommerz und neuen Technologien. Dazu gehört zum Beispiel die Verbreitung von Falschinformationen oder Deep Fakes, aber auch die Abhängigkeit von großen Plattformen wie Facebook, Google, YouTube und Co.
Im ersten Teil blickt Lorenz-Meyer auf die Ursprünge des Digitalen Journalismus zurück. Die erste Dekade der Entwicklung findet ihre Ansatzpunkte demnach im Precision Journalism der 1950er Jahre (vgl. 18). Den Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung verortet Lorenz-Meyer in der Öffnung des Internets und der Etablierung von Suchmaschinen, sozialen Netzwerken und mobilen Geräten. In der dritten Dekade stehen die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Journalismus ab Mitte der 2010er Jahre im Zentrum. Ausgerechnet diesen Zeitabschnitt beschreibt Lorenz-Meyer leider nur kurz auf einer halben Seite. Der Einfluss von Künstlicher Intelligenz und Algorithmen bleibt an dieser Stelle unerwähnt. Immerhin widmet Lorenz-Meyer der Automatisierung im Journalismus später ein ganzes Kapitel.
Ein hoher Praxisbezug und eine entsprechende Dichte an Anwendungsbeispielen zeichnen den zweiten Teil aus, der sich mit dem journalistischen Handwerk befasst. Wer lernen möchte, wie man eine Nachricht, einen Kommentar, eine Reportage oder eine Glosse verfasst, wird in diesem Lehrbuch keine Anleitung finden, was Lorenz-Meyer aber gleich zu Beginn selbst ankündigt (vgl. 13). Glücklicherweise gibt es genug andere Einführungswerke, die sich den klassischen Stil- und Darstellungsformen, auch im digitalen Raum, widmen (z. B. Liesem 2014, Hooffacker 2020, Matzen 2024). Stattdessen stellt Lorenz-Meyer neue Verfahren wie Open Source Intelligence (OSINT) (vgl. 62) und Formate bzw. Kanäle wie Social Media Stories (vgl. 123), Newsgames (vgl. 125) und Podcasts (vgl. 179) vor. Ausführlicher diskutiert werden zum Beispiel verschiedene Formate auf Youtube, Instagram oder Tiktok des Content-Netzwerks Funk von ARD und ZDF (vgl. 141), datenjournalistische Stories von der Zeit oder der Berliner Morgenpost (vgl. 208), aber auch der Austausch mit den eigenen Publika und neue Interaktionsformate wie “Spiegel Debatte” von Spiegel Online finden Erwähnung (vgl. 306). Im zweiten Teil ist auch das angesprochene Kapitel zur Rolle von Automatisierung im Journalismus positioniert. Lorenz-Meyer versteht Automatisierung im Journalismus als “die redaktionelle Anwendung von Technologien aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz” (223). Das Kapitel bietet größtenteils definitorische Bestimmungen, z. B. zu symbolischer und subsymbolischer bzw. diskriminativer und generativer KI (vgl. 225 ff.).
Die strategische Integration von Marketingmethoden in redaktionelle Inhalte, um sowohl die Reichweite als auch die Bindung der Leserinnen und Leser zu erhöhen, bildet schließlich den Kern des dritten Teils. Lorenz-Meyer spricht Bereiche wie Community Management (vgl. 297), redaktionelle Analytics (vgl. 320) oder digitale Bezahlinhalte (vgl. 339) an. Dabei besteht seiner Meinung nach die große Herausforderung darin, eine Balance zwischen informativen Inhalten und werblichen Elementen zu finden, ohne die journalistische Integrität zu gefährden. Wie Medienorganisationen diese Balance meistern können, macht Lorenz-Meyer wieder an anschaulichen Beispielen aus der Praxis plastisch. Hier nennt er zum Beispiel die Krautreporter mit ihrem Crowdfunding in der Gründungsphase (vgl. 343) oder die Riffreporter mit ihrer Mischung aus Vertriebserlösen, Privat- und Institutionenspenden (vgl. 344).
Insgesamt kann das Lehrbuch mit seiner didaktischen Aufbereitung punkten. In jedem Kapitel bietet Lorenz-Meyer zu Beginn einen kurzen Überblick über die jeweilige Lerneinheit und die verschiedenen Lernziele. Begriffserklärungen und Merksätze fassen die Darstellungen immer wieder kompakt zusammen. Zu jedem Kapitel stehen Tests auf der Website des Verlags bereit, die über einen Link im E-Book oder über einen QR-Code aufgerufen werden können. Der Zugang zu den Quizzes ist teils noch etwas umständlich (ein entsprechender Account muss angelegt und freigeschaltet werden). Lorenz-Meyer stellt zudem Übungsaufgaben zur Verfügung, die Ideen und Impulse für Dozierende und Studierende bieten. Am Ende der Themenkomplexe findet sich schließlich jeweils eine Liste mit ausgewählten Literaturempfehlungen, mit denen die verschiedenen Themen aus theoretischer bzw. forschungsorientierter Perspektive erschlossen werden können. Für Leserinnen und Leser, die ihr Fachwissen vertiefen möchten, bieten die handverlesenen Empfehlungen einen guten Ausgangspunkt für weitere Recherchen. Denn abgesehen von diesen Literaturhinweisen verzichtet Lorenz-Meyer in seinem Praxisbuch vollständig auf Quellenhinweise.
Die Formate und Tools im Digitalen Journalismus entwickeln sich ständig und in rasantem Tempo weiter. Ein Lehrbuch ist deswegen immer eine Momentaufnahme und kann dementsprechend auch nur den aktuellen Stand abbilden. Lorenz-Meyer hat ein vielseitiges Praxisbuch vorgelegt. Es beleuchtet die zentralen Begriffe und Ansätze, die mit der digitalen Transformation des Journalismus verbunden sind, darunter Interaktivität, Multimedialität und die zunehmende Personalisierung von Inhalten. Die didaktische Aufbereitung und die praktischen Anwendungsbeispiele machen das Lehrbuch zu einer guten Ressource für die Ausbildung von Journalistinnen und Journalisten in einer immer unberechenbareren, schnelleren Medienbranche.
Literatur:
- Liesem, Kerstin: Professionelles Schreiben für den Journalismus. Wiesbaden [Springer Fachmedien] 2014
- Hooffacker, Gabriele: Online-Journalismus. Wiesbaden [Springer Fachmedien] 2020
- Matzen, Nea: Online-Journalismus für die Praxis. Köln [Herbert von Halem] 2024
Links:
Über das BuchLorenz Lorenz-Meyer: Digitaler Journalismus. Bielefeld [transcript] 2024, 354 Seiten, 29,- EuroEmpfohlene ZitierweiseLorenz Lorenz-Meyer: Digitaler Journalismus. von Katzenberger, Vera in rezensionen:kommunikation:medien, 23. Januar 2025, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/25292