Frank Bösch, Constantin Goschler (Hrsg.): Public History

Einzelrezension
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Rezensiert von Martina Thiele

bösch&goschlerEinzelrezension
Mit der Vergangenheit beschäftigt sich nicht nur der Historiker, der einen Lehrstuhl für Geschichte innehat. Auch “fachfremde” Wissenschaftler sowie Zeitzeugen, Schriftsteller, Juristen und Journalisten schreiben über geschichtliche Themen. Mit dem Band “Public History” spüren die Autorinnen und Autoren den Trennlinien nach zwischen Wissenschaft, Publizistik und Schriftstellerei, zwischen Fakten und Fiktionen. Das Besondere an diesem Buch aber besteht darin, dass die Herausgeber Frank Bösch und Constantin Goschler – beide Inhaber von Lehrstühlen für Geschichte – nun gerade nicht beklagen, wie sehr die universitäre Geschichtsforschung durch “Laienhistoriker” gestört wird, sondern im Gegenteil die Anstöße, die durch Public History erfolgt sind, als außerordentlich wichtig erachten für die Geschichtswissenschaft und die Gesellschaft insgesamt.

Den Begriff “Public History” erläutern Bösch und Goschler einleitend: Es geht um die nicht-akademische Bildung historischer Wissensbestände, um den öffentlichen Umgang mit Geschichte. Im Deutschen wird das häufig mit “Wissenschaft und Öffentlichkeit” umschrieben. In den USA etablierte sich der Begriff “Public History” in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts und mittlerweile gibt es dort an 125 Universitäten und Colleges Public-History-Studiengänge oder Studienschwerpunkte. Der erste deutsche Studiengang namens “Public History” besteht seit 2007 an der FU Berlin. Damit setzt sich die Institutionalisierung einer Bewegung fort, die unabhängig von der etablierten Geschichtswissenschaft geschichtliche Themen bearbeiten wollte. Trotz der Beteuerung, das Wechselspiel zwischen Fachwissenschaft und Public History zunächst nur untersuchen zu wollen, verstärkt auch der vorliegende Band die Tendenz, die Public History zu verwissenschaftlichen, zumal die Autorinnen und Autoren alle mindestens promovierte Historiker sind.

Zwei der neun Beiträge wählen insofern einen etwas anderen Zugang zum Thema, als sie die Gedenkstättenpolitik (Habbo Knoch) als Teil der Public History untersuchen oder speziell die Arbeit der Zeithistorischen Forschungsstelle in Ludwigsburg in den Blick nehmen (Annette Weinke). Andere Beiträge fragen nach massenmedialen Repräsentationen – so der Rolle des Printjournalismus (Jan Erik Schulte), des Dokumentarfilms (Frank Bösch) und des Radios (Inge Marßolek). Letzteres war in den ausgehenden 40er und 50er Jahren “Leitmedium” und Mittel der Reeducation. Der Hörfunk ließ die Deutschen unmittelbar teilhaben an den frühen NS-Prozessen in Belsen und Nürnberg. Von beiden Prozessen, aber auch 18 Jahre später vom Frankfurter Auschwitz-Prozess, berichtete der NWDR-Reporter Axel Eggebrecht – ein Vorbild für Generationen von Journalistinnen und Journalisten. Marßolek analysiert die Sendeprotokolle und legt dar, worin sich die frühen Gerichtsverfahren von den späteren unterschieden, wie sich die Sicht auf Täter, Zeugen und Opfer veränderte.

Diesen Themen- und Perspektivenwandel untersuchen auch Schulte und Bösch. Schulte erkennt in der Presse der frühen Bundesrepublik eine Konzentration auf die Haupttäter und die Tendenz zur Entschuldung. Erst in den 60er Jahren seien die “großen Namen” als Vehikel für weitergehende Analysen genutzt worden. Ähnlich wie im Printjournalismus verhielt es sich im Film- und Fernsehjournalismus. Auch hier, so Bösch, sind verschiedene Phasen der Auseinandersetzung erkennbar. Anfang der 60er Jahre gewann das Fernsehen als Vermittler historischen Wissens zunehmend an Bedeutung – ein Trend, der bis heute anhält.

Andere Medien aber wie das Buch, so Olaf Blaschke und Erhard Schütz, fänden viel zu wenig Beachtung in der Diskussion um medialisierte Geschichte. Blaschke, der das Verlagsgeschäft betrachtet, verweist auf die ökonomische Seite, darauf, dass sich die Publikation zeitgeschichtlicher Sachbücher auch lohnen muss. Längst nicht alles, was publikationswürdig war, wurde verlegt, und längst nicht alles, was verlegt wurde, war publikationswürdig. Lobenswert ist Blaschkes Versuch, die Behauptung, dass Zeitgeschichtliches boomt, auch empirisch zu untermauern. Den fehlenden Daten zu Auflagen, Rezeption, gar Wirkung belletristischer Literatur mit zeithistorischem Bezug begegnet Schütz durch eine umfassende Angebotsübersicht. Mit Blick auf die Skandalisierung von Werken wie Schlinks “Der Vorleser” und Walsers “Ein springender Brunnen” plädiert er für eine Literatur, die auf “ästhetischen Eigensinn und künstlerische Riskanz” setzt. Das provoziert Nachfragen, ebenso das von Schütz angesprochene “Phänomen, das selbst noch der historiographischen Reflexion bedarf, nämlich das der je zeitgeschichtlichen kollektiven Erwartungsnormen der veröffentlichten Meinung generell und des Kulturjournalismus im Speziellen” (279).

Um Zeugnisse der Täter oder aber der Opfer geht es in den Beiträgen von Oliver von Wrochem und Constantin Goschler. Letzterer distanziert sich in seinem Aufsatz über die “Stimmen der Opfer” vom Begriff “Holocaust-Literatur”, ihn interessiere vielmehr, “in welchem Verhältnis diese Erzählungen zur akademischen Forschung standen”. Goschler skizziert zwei Positionen, vertreten durch Hans Günter Hockerts und Nicolas Berg: Während sich die Zeitgeschichtsforschung nach Hockerts tapfer der Deutungshoheit von Generalsmemoiren in den Weg gestellt habe, seien nach Berg die Erinnerungen jüdischer Zeitzeugen und Historiker lange Zeit von der akademischen Forschung nicht beachtet worden. Wie dominant in den ersten Jahren die Memoiren-Literatur der militärischen Eliten war, belegt von Wrochem eindrucksvoll. Goschler vermeidet die Stellungnahme und verweist auf das “Dazwischen”, Personen wie Hans Rothfels, der nicht als “jüdischer Historiker” gesehen werden wollte. Im Zuge der Professionalisierung und Institutionalisierung der Zeitgeschichte in den 60er Jahren sei jedenfalls eine deutliche Trennlinie zwischen Zeithistorikern und Zeitzeugen gezogen worden. Der massenmedial forcierte “Boom der Zeitzeugen” in den 70er und 80er Jahren habe dann aber zu einer “komplexen Symbiose zwischen NS-Opfern und akademischer Zeitgeschichte” geführt, die “auch durch das Abtreten der letzten Erlebnisgeneration nicht automatisch” beendet sein müsse, weil, so Goschler, vermutlich die “second generation” die Rolle der Zeitzeugen nach deren Ableben übernehmen werde (154). Hier klingt dann doch eine gewisse Skepsis gegenüber Vermischungen von Opferstatus und akademischer Forschung an.

Prinzipiell zuzustimmen ist Olaf Blaschke, der es “sehr begrüßt”, “wenn wie in diesem Buch, jenseits der Schriften und Meinungen von Berufshistorikern die in bloßer Nebenrolle wahrgenommenen Journalisten, Filmemacher, Publizisten, Juristen und anderen Akteure kollektiv ins Blickfeld geraten.” (224) Doch reicht es, wenn diese ins Blickfeld der Historiker geraten? Was spricht dagegen, die anderen Akteure und auch Akteurinnen selbst zu Wort kommen zu lassen?

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Über das BuchFrank Bösch, Constantin Goschler (Hrsg.): Public History. Öffentliche Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft. Frankfurt am Main, New York [Campus Verlag] 2009, 290 Seiten, 29,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseFrank Bösch, Constantin Goschler (Hrsg.): Public History. von Thiele, Martina in rezensionen:kommunikation:medien, 27. September 2009, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/553
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