Klaus Arnold; Walter Hömberg; Susanne Kinnebrock (Hrsg.): Geschichtsjournalismus

Einzelrezension
8336 Aufrufe

Rezensiert von Saskia Handro

Einzelrezension
Angesichts der wiederholt beschworenen Medialisierung oder gar Mediatisierung der Geschichtskultur drängt sich die Frage nach der Eigenlogik geschichtsjournalistischer Wissensproduktion auf. Wenngleich die Herausgeber auf eine theoretische Konzeptionalisierung verzichten, sondern sich eher induktiv dem Phänomenfeld nähern, fokussiert der Band eben nicht allein Medien als Speicher und Zulieferer des kollektiven Gedächtnisses, sondern modelliert in einem weiteren Sinne Geschichtsjournalismus als geschichtskulturelles Teilsystem, das eigenen Regeln folgt. Dabei betreten die Beiträge nicht in jedem Fall Neuland, aber sie führen zentrale, bislang eher getrennt betrachtete Aspekte massenmedialer Geschichtsproduktion zusammen. Schon vorab: Die Vernetzung von Produzenten- und Rezipientenperspektive mit inhaltlichen und formalen Aspekten geschichtsjournalistischen Erzählens gehört zu den Stärken des Bandes. Gerade in Zusammenschau der Beiträge erweisen sich diese systemspezifischen Zusammenhänge als konstitutiv für die Eigenart, Heterogenität und Dynamik geschichtsjournalistischen Erzählens. In forschungsmethodischer Hinsicht stellt jedoch die Vernetzung dieser Perspektiven eine große und bislang selten eingelöste Herausforderung dar. Folglich wenden sich auch die Beiträge dieses Sammelbandes zumeist einzelnen Dimensionen zu.

Die erste Gruppe von Beiträgen lotet die inhaltlich-formale Dimension des Verhältnisses von Geschichte und Journalismus aus. Während Walter Hömberg Geschichtsjournalismus phänomenologisch beschreibt, wendet sich Horst Pöttker Formen journalistischer Re-Aktualisierung zu und entfaltet die Konstruktion lebensweltlicher Anschlussfähigkeit als konstitutives Merkmal geschichtsjournalistischen Erzählens, das die Qualität medialer Rezeptionsprozesse beeinflusst. Den Blick für Medien als eigenständige Konstrukteure von Geschichte, denen nicht nur eine mediale Transferfunktion zukommt, sondern die gerade im Feld der Zeitgeschichte auch Impulse für historische Forschung setzten, schärft der Beitrag von Frank Bösch. Aus der Akteursperspektive entfaltet Jochen Kölsch die Interdependenz von Inhalt und Darstellungsform. Die Diskussion der Möglichkeiten und Grenzen televisueller Geschichtserzählungen zwischen Dokumentation und Fiktion verdeutlicht, dass für eine adäquate Beurteilung filmischer Inszenierungen systemfremde, d. h. wissenschaftlich normative Kriterien kaum taugen.

Einzelrezension
Susanne Kinnebrock: Worum geht es in dem Band?

Den Akteuren geschichtsjournalistischer Kommunikationsprozesse widmet sich eine zweite Gruppe von Beiträgen. Klaus Arnold begibt sich auf die Suche nach dem Typus des Geschichtsjournalisten und seine quantitative Befragung von Redakteuren offenbart den Widerspruch zwischen medialem Geschichtsboom und geringem Professionalisierungs- und Institutionalisierungsgrad. Nicht allein die Binnenperspektive journalistischer Arbeit, sondern mediale Kommunikation als Interaktion von Produzenten und Rezipienten, als wechselseitige Vergewisserung von Identität und historischer Orientierung, entfaltet die Münchener Forschergruppe Pfaff-Rüdiger/Riesenberger und Meyen entlang qualitativer Befunde. Während die Grenzen zwischen wissenschaftlichem und journalistischem Erzählen den impliziten Vergleichshorizont vieler Beiträge bilden, verfolgt Jürgen Wilke die Konstruktion dieser Grenzen in historischer Perspektive und charakterisiert an biografischen Fallbeispielen zweier Grenzgänger das Spannungsverhältnis zwischen Produzenten und Publika.

Das theoretische Konzept der Erinnerungskultur verbindet die dritte Gruppe von Beiträgen. Hier gewinnen die Modi geschichtsjournalistischer Selektion an Kontur. Während Ilona Ammann mit dem Gedenktagsjournalismus systemspezifische Rekonstruktionsleistungen im Feld der Erinnerungskultur theoretisch entfaltet, charakterisiert Martin Krieg am Beispiel der wandelnden Berichterstattung über den 20. Juli 1944 Gedenktagsjournalismus als “Collective-Memory-Setting” und betont unter Vernachlässigung geschichtskultureller Diskursstrukturen den Aspekt medialer Selbstreferentialität. Auch wenn Inhaltsanalysen weniger Aufschlüsse über gesellschaftliche Diskursstrukturen versprechen, bieten sie dennoch Einblicke in Prozesse medialer Kanonisierung von Ereignissen und Bildern, wie der Beitrag von Andre Donk und Martin Herbers zur Darstellung des 11. September in deutschen und amerikanischen Tageszeitungen zeigt. Doch auch in kulturvergleichender Perspektive drängt sich die Frage nach der Sinnstiftungsfunktion der Selektion, nach den zeitgebundenen Identifikations- und Orientierungsbedürfnissen auf.

Susanne Kinnebrock: An wen richtet sich der Band?

Geschichtsjournalistische Popularisierungsstrategien im Fernsehformat untersucht die vierte Gruppe von Beiträgen. Stefanie Samida rekonstruiert Authentizität, Dramatisierung und Emotionalisierungseffekte am Beispiel archäologischer Dokumentationen. Dramaturgische Strategien historischer Re-enactments als Nivellierung von kultureller und zeitlicher Alterität und damit als Brücke historischen Verstehens und Identifikationsangebot für Zuschauer analysieren Manuel Glaser, Bärbel Garsoffsky und Stephan Schwan. Die Interaktion geschichtskultureller Felder interessiert Alexander Schubert, der kulturhistorische Großausstellungen als Form populärer Geschichtsvermittlung begreift, aber leider nur in Ansätzen Strategien geschichtsjournalistischer Vermarktung aufzeigt.

Dass die Historisierung des Geschichtsjournalismus vor scheinbaren Neuentdeckungen ebenso schützt wie vor der Wiederholung stereotyper Vorurteile gegenüber historischen Dokumentationen zeigen die letzten Beiträge, die die Etablierung und Entwicklung historischen Erzählens im Fernsehformat als Experimentieren mit Darstellungsformen, als Reflexion von Publikumserwartungen und Fernsehkritik, als Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen filmischer Rekonstruktion entlang ästhetischer Konventionen vergegenwärtigen. Ob im Blick auf die Anfänge der Geschichtsdokumentation (Edgar Lersch) oder auf die Geschichte des Dokumentarspiels (Christian Hißnauer) – aus wissenschaftlicher Perspektive gezogene Grenzen zwischen Fiktionalität und Faktizität, zwischen Dokumentation und Spielfilm erscheinen als Gradmesser für die Qualität filmischen Erzählens, das medieneigenen Konventionen, Traditionen und Funktionen folgt, ungeeignet. Folglich stellt die Beschäftigung mit dem Geschichtsjournalismus eine interdisziplinäre Herausforderung dar, die nicht nur angesichts des medialen Geschichtsbooms, sondern auch mit Blick auf neue, in diesem Band weniger berücksichtigte Trends der Medialisierung von Geschichte – wie Visualisierung, Segmentierung der Angebotsstrukturen und damit auch Publika, Interaktivität in den neuen Medien – als produktives Forschungsfeld erscheint.

Links:

Über das BuchKlaus Arnold; Walter Hömberg; Susanne Kinnebrock (Hrsg.): Geschichtsjournalismus. Zwischen Information und Inszenierung. Reihe: Kommunikationsgeschichte, Band 21. Berlin [LIT Verlag] 2010, 320 Seiten, 29,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseKlaus Arnold; Walter Hömberg; Susanne Kinnebrock (Hrsg.): Geschichtsjournalismus. von Handro, Saskia in rezensionen:kommunikation:medien, 23. Juni 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/4548
Getagged mit: , , , , , ,
Veröffentlicht unter Einzelrezension