Rezensiert von Konrad Dussel
Die Bedeutung, die die Massenmedien in der Gegenwart besitzen, führt naheliegenderweise zu der Frage nach den diesbezüglichen Gegebenheiten in der Vergangenheit. Zwanglos lässt sich dies mit der in den letzten Jahren zunehmend in den Vordergrund tretenden Kulturgeschichte des Politischen verbinden und auf die Weimarer Republik anwenden. Zum so umrissenen Themenfeld lud die Heidelberger Ebert-Gedenkstätte im Herbst 2008 zu einer Tagung ein. Der nun erschienene Sammelband präsentiert nach der obligatorischen Einleitung der Herausgeber dazu elf Beiträge.Der Band steht unter einem gewissen Spannungsverhältnis. Als zentrale Frage wurde von den vier Herausgebern nicht nur die “nach der Prägung der politischen Kultur nach dem Ersten Weltkrieg durch die intensivierten Wechselwirkungen zwischen politischer und medialer Sphäre” (11) formuliert, sondern damit ein noch viel weiter gehender Anspruch verknüpft: “Die leitende Fragestellung ist die nach den Prägungen der politischen Kultur durch die Art und Weise der symbolischen, literarischen oder massenmedialen Vermittlung von Bedeutungszusammenhängen.” (13) Was so gewichtig einherkommt, muss sich jedoch einen gewissen Vorbehalt gefallen lassen, den Dirk van Laak gleich im ersten Beitrag (“Symbolische Politik in Praxis und Kritik”) an den Anfang stellt: “Erreicht man mit der Ausweitung auf Mediatisierungs- und Vermittlungsprozesse des Politischen tatsächlich eine neue Dimension des Verständnisses vom Schicksal und Scheitern der ersten deutschen Demokratie?” (26) Studiert man die danach folgenden zehn Aufsätze, fällt eine klare Antwort schwer – zu unterschiedlich sind die Themen, Ansätze und Ansprüche.
Den wahrscheinlich größten Anspruch erhebt Wolfram Pyta. Unter dem auf Hitler und Hindenburg anspielenden Titel “Die Privilegierung des Frontkämpfers gegenüber dem Feldmarschall” geht es ihm – so der Untertitel – um nichts weniger als die “Politikmächtigkeit literarischer Imagination des Ersten Weltkriegs in Deutschland”. Erreicht man mit Pytas komplexen Erörterungen aber tatsächlich eine “neue Dimension des Verständnisses” des Wahlsiegs des Amtsinhabers gegen seinen Herausforderer bei der Reichspräsidentenwahl im Frühjahr 1932? Zu Recht weist der ausgewiesene Hindenburg-Kenner darauf hin, dass der Hindenburg-Mythos am Verblassen war und Hitler durchaus mit neuartigen symbolischen Qualitäten aufwarten konnte. Aber letztlich muss er doch auch einräumen, dass bei politischem Katholizismus und Sozialdemokratie “die Verarbeitung des Weltkrieges keine konstitutive Rolle für das politische Selbstverständnis” einnahm (170). Als eigentliche Zielgruppe bleiben in Pytas Modell damit die den Marxismus ablehnenden Protestanten. Sicherlich wären von ihnen etliche seiner Argumentation gefolgt. Aber für die meisten waren womöglich ganz andere Überlegungen ausschlaggebend, zum Beispiel die, ob in einer Krisenzeit wirklich ein mittlerweile 81-Jähriger auf sieben Jahre ins höchste und wirklich wichtigste Amt der Republik gewählt werden sollte. Vielleicht wurde Hitler vor diesem Hintergrund als der Leistungsfähigere (oder nur als das kleinere Übel?) betrachtet. Überlegungen dieser Art sind hoch problematisch und ziemlich spekulativ, zumal sie bei Pyta durch eine Reihe nicht unbedingt überzeugender Zusatzannahmen abgestützt werden müssen (vor allem über die “Vorzugsstellung der Literatur gegenüber dem Film”, 154).
Eine Art methodologischer Gegenposition bezieht Thomas Welskopp, indem er “Das Phantom der öffentlichen Meinung” näher zu fassen sucht – allerdings nicht am Beispiel Deutschlands. Er behandelt die “Massenmedien und die Verschiebung des Parteiensytems in den USA der 1920er Jahre”. Auch Welskopp geht es im Kern um die Erklärung von Wahlerfolgen – von denen der Republikaner 1920 bis zu denen der Demokraten 1932. Und ähnlich wie Pyta rückt er ein zentrales Thema in den Vordergrund, in diesem Falle die Auseinandersetzungen über das Alkoholverbot. Anders als Pyta steht Welskopp dazu jedoch eine Menge zeitgenössisches empirisches und zum Teil auch quantifizierendendes Material zur Verfügung, das er in eine stringente, gleichwohl ihre Ziele nicht überdehnende Interpretation einzufügen vermag. Seine Pointe entging jedoch sogar zum Teil den Herausgebern. Es waren eben nicht nur “die traditionellen Massenmedien” (d. h. Zeitungen), die sich in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre auf der öffentlichen Bühne zurückmeldeten (so in der Einleitung, 15) – es waren neue Varianten, die “die ältere parteigebundene Presse weitgehend verdrängt” hatten (145).
Es ist zu einfach, die übrigen acht Beiträge nur ganz pauschal diesen beiden Schwerpunkten zuzuordnen, gleichwohl mag es der Kürze halber geschehen: Welskopps eher empirischem Ansatz (mit entsprechend beschränktem Anspruch) folgen auch die Beiträge von Martin Geyer zum Barmat-Kutisker-Skandal; von Riccardo Bavaj zum Münzenberg-Konzern, von Oliver Janz zu Gefallenenkulten in Italien und Deutschland und von Dirk Schumann zur Darstellung politischer Gewalt in der deutschen Tagespresse der frühen Republik. Pytas viel abstrakterem Vorgehen verwandt sind die von Michael Wildt zu den breit in den Parteiprogrammen zu konstatierenden Führererwartungen, von Ulrich Fröschle zum speziellen Aspekt der “literarischen Verhandlung von Führung” und von Heidi Hein-Kircher über den Pilsudski-Kult in Polen. Der Philosoph Thomas Meyer beschränkt sich leider nicht nur auf eine eigentlich überfällige Analyse von “Grenzen und Möglichkeiten des Symbol-Begriffs”, sondern hängt auch noch ein paar Bemerkungen über das Echo der Verfassungsfeiern in der jüdischen Tagespresse an.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Ute Daniel an der TU Braunschweig
- Webpräsenz von Inge Marszolek an der Universität Bremen
- Webpräsenz von Wolfram Pyta an der Universität Stuttgart
- Webpräsenz Thomas Welskopp an der Universität Bielefeld
- Webpräsenz von Konrad Dussel an der Universität Mannheim