Die rechtliche Diskussion um die deutsche Rundfunkgebühr

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Rezensiert von Herbert Bethge

Sammelrezension
Die Rechtsnatur und die normativen Begleiterscheinungen der Rundfunkgebühr beschäftigten bislang nicht nur die nationale Rechtswissenschaft in ungewöhnlichem Maße. Sie waren auch unverwüstlicher Bestandteil der juristischen Promotionskultur in Deutschland. Wieso die verbale Vergangenheitsform? Nun, zumindest die Medienkenner wissen, dass die Tage der Rundfunkgebühr als vorrangiges Finanzierungsmittel des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gezählt sind. Die Länder sind den Vorschlägen des ehemaligen Bundesverfassungs- richters Paul Kirchhof gefolgt. Der neue Rundfunkstaatsvertrag sieht ab 2012 als künftige Alimentationsform an Stelle der jetzigen gerätebezogenen Gebühr den haushalts- bzw. betriebsbezogenen Beitrag vor. Da stellt sich doch eine Reihe von Fragen. Hat sich nun juristische Kirchhofsruhe über die Rundfunkgebühr als ein nunmehr bloßes Auslaufsmodell gelegt? Genügt eine Anordnung der Landesgesetzgeber, um zwei Doktorarbeiten ‑ die eine aus Mainz, die andere aus Bochum ‑ zur Makulatur werden zu lassen? Natürlich nicht.

Mehrere Gründe sind für diese Gelassenheit maßgebend. Zum einen ist noch gar nicht klar, ob das neue Finanzierungsmodell vor den prüfenden Augen des Bundesverfassungsgerichts verfassungs- rechtlichen Bestand haben wird; Verfassungsbeschwerden wurden schon angekündigt. Zum zweiten war immer schon die Rechtsnatur der Rundfunkgebühr innerhalb des Kanons der öffentlichen Abgaben umstritten; das juristische Definitionskartell operierte seit jeher u. a. auch mit einer Gebühr mit beitragsähnlichem Charakter; Beitragselemente waren also immer schon im Spiel. Mit Sicherheit werden in Zukunft dem neuen ‘Beitrag’ gebührenähnliche Charakteristika zugeordnet werden.  Und last but not least: Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch eine vom Staat verantwortete öffentliche Abgabe ‑ bisher Gebühr genannt ‑ war seit geraumer Zeit auch ein Problem des Europäischen Gemeinschaftsrechts, das hinter dieser deutschen Eigentümlichkeit eine wettbewerbsverzerrende und darum unzulässige staatliche Beihilfe vermutete. Mittlerweile hat Brüssel zwar dem Grunde nach akzeptiert, dass die Gebühr trotz ihres gemeinschaftsrechtlichen Beihilfecharakters ausnahmsweise vom öffentlich-rechtlichen Grundversorgungsauftrag gedeckt ist. Doch geschah dies nur unter gemeinschaftsrechtlichen, nunmehr unionsrechtlichen Restriktionen, die mit Sicherheit auch die Diskussion über den Beitrag als neue Finanzierungsform begleiten werden.

Das thematische Spektrum war für die beiden Doktorarbeiten also breit. Die Aufgabe war nicht einfach. Schließlich musste auch die andauernde technische Revolution im Medienbereich berücksichtigt werden, die an die Entwicklungsoffenheit beider Rechtskreise ‑ des nationalen (Verfassungs-)Rechts und des Rechts der Europäischen Union ‑ unterschiedliche Anforderungen stellen. Die Autorinnen haben sich der vielschichtigen Problematik mutig und mit Erfolg gestellt. Die Lektüre beider Arbeiten vermittelt einen verlässlichen Überblick und  Eindruck von der komplexen Materie. Natürlich fallen bei einer ‘vergleichenden’ Rezension Unterschiede in der Schwerpunktsetzung und zum Teil in den Ergebnissen auf, was bei individuellen, sozusagen höchstpersönlichen Dissertationen aber gar nicht anders der Fall sein kann und darf.

Die von dem Mainzer Öffentlichrechtler Dieter Dörr betreute Doktorschrift von Annette Smith trägt zwar den pauschalen Obertitel System der deutschen Rundfunkgebühr. Wie so oft verschafft erst der Untertitel näheren Aufschluss über die konkrete Aufgabenstellung und die damit verbundene Einschränkung. Im Vordergrund steht eindeutig die gemeinschaftsrechtliche Beihilfe-Problematik der Materie. Der möglichen Einschätzung der Rundfunkgebühr als u. U. europarechtswidrigen Beihilfe wird der dem nationalen Rechtsverständnis folgende Grundrechtscharakter der Rundfunkfreiheit gegenübergestellt. Die Verfasserin behandelt die nationalrechtlichen Strukturen der Rundfunkgebühr vorwiegend und in der Hauptsache referierend nach den Vorgaben der dominierenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Der Fokus liegt indessen im gemeinschaftsrechtlichen Bereich. Im Ergebnis sieht Smith im deutschen Rundfunkgebührensystem eine unzulässige Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EGV. Das Ergebnis ist vertretbar, wenn man die Prämisse akzeptiert, dass die einer staatsfreien Rundfunkanstalt aus eigenem Grundrecht zustehende öffentliche Abgabe ‑ ob nun Gebühr oder Beitrag ‑ eine staatliche Beihilfe darstellt. Doch führt diese negative Einschätzung nicht zu einem automatischen Verstoß gegen Unionsrecht. Das Schluss-Resumee der primär einem anderen als dem deutschen Sprachenkreis verhafteten Autorin lautet: “Jedoch wird dieses Beihilfeverbot durch das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes gem. Art. 86 Abs. 2 EGV aufgrund des öffentlichen Auftrags der betreffenden öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten durchbrochen. Diese Ausnahme gilt jedoch nicht für die Überkompensation des öffentlich-rechtlichen Auftrags und die Verwendung der erhaltenen Rundfunkgebühren für nicht mehr vom öffentlich-rechtlichen Auftrag vorgenommene Tätigkeiten.”

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Einem anderen Prüfungsschema folgt die vom Frankfurter Öffentlichrechtler Helmut Siekmann betreute Arbeit von Annette W. Reuters. Dem Thema von der Rundfunkgebühr auf dem Prüfstand der Finanzverfassung entsprechend stehen die nationalstaatlichen Rechtsfragen im Vordergrund. Demzufolge wird das Gemeinschaftsrecht – im übrigen kenntnisreich und konsequent ‑ lediglich ergänzend herangezogen. Was die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes angeht, orientiert sich auch diese Verfasserin verständlicherweise an den vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Daten (Grundversorgung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks; Bestands-, Entwicklungs- und Finanzierungsgarantie; Rundfunkfreiheit als dienende Freiheit).

Im Rahmen einer umfangreichen Erörterung der finanzverfassungsrechtlichen Zulässigkeit der “Rundfunkgebühr” unter Einbeziehung der gegenwärtigen bereichsspezifischen, auch technisch bedingten Besonderheiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nimmt sie einen radikalen Schnitt vor: Die “Rundfunkgebühr” sei aufgrund ihres materiellen Gehalts überhaupt keine Gebühr (darum auch die permanenten Anführungszeichen). Sie kann ‑ so die Verfasserin weiter – auch nicht als Beitrag, als Sonderabgabe oder als eine sonstige, nicht-steuerliche Abgabe eingeordnet werden. Sie sei vielmehr eine (Zweck-)Steuer, für die den Ländern ‑ als den bislang für die Gebühr verantwortlichen Trägern der Finanzierungsregelung ‑ die bundesstaatliche Gesetzgebungskompetenz fehlt. Als Ausgleich votiert sie für den Fall des Festhaltens am öffentlich-rechtlichen Anstaltsfunk für eine auf Bundesebene zu regelnde Steuer. Besser wäre es allerdings ‑ so die Verfasserin ‑ die “als überholt anzusehende” duale Rundfunkordnung als Ganzes zu überdenken und die kostenaufwendige Rundfunkveranstaltung überhaupt dem privaten Rundfunk zu überlassen.

Wird hingegen der zweitbeste Weg der Steuerfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gewählt, muss nicht nur der Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks beachtet werden. Auch der gemeinschaftsrechtliche Beihilfe-Vorwurf gegenüber einer Steuerfinanzierung ließe sich ausräumen, wenn die Beteiligung des Staates auf das Minimum der reinen Mittelzuweisung beschränkt und ein Verfahren nach Art der KEF beibehalten wird. Die Gebührenfinanzierung des gegenwärtigen Zuschnitts qualifiziert Reuters als verbotene Beihilfe nach Art. 87 Abs. 1 EGV, für die Ausnahmetatbestände nicht Platz greifen.

Beide Arbeiten bereichern das aktuelle rechtswissenschaftliche Schrifttum. Sie liefern auch für die Praxis  bedenkenswerte Anhaltspunkte. Der nichtjuristische Leser wird freilich mit dem komplexen Rechtsstoff einer vielschichtigen Rechtsmaterie konfrontiert. Aber so ist es nun einmal beim Medienrecht, dessen freiheitliche Struktur in einem hochdifferenzierten Mehrebenensystem (Deutschland und Europa) auf schwierige juristische Zuarbeit angewiesen ist. Sie lohnt sich für den juristischen Nachwuchs und ist ‑ auch wenn das Wort verpönt ist ‑ alternativlos.

Links:

Über das BuchAnnette W. Reuters: Die Rundfunkgebühr auf dem Prüfstand der Finanzverfassung. Europäische Hochschulschriften, Reihe II: Rechtswissenschaft, Band 4871. Frankfurt am Main [Peter Lang] 2009, 227 Seiten, 47,80 Euro.

Annette Smith: Das System der deutschen Rundfunkgebühr. Unzulässige Beihilfe oder berechtigte Unterstützung der Rundfunkfreiheit? Reihe: Schriften zum Medienrecht, Band 21. Hamburg [Verlag Dr. Kovac] 2010, 288 Seiten, 88 Euro.Empfohlene ZitierweiseDie rechtliche Diskussion um die deutsche Rundfunkgebühr. von Bethge, Herbert in rezensionen:kommunikation:medien, 7. April 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/2671
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