Rezensiert von David Arn
Spätestens seit den politischen Umbrüchen des ‚Arabischen Frühlings’ ist die Dynamik arabischer Medien – insbesondere der neuen digitalen und Sozialen Medien – auch ins Bewusstsein einer breiten internationalen Öffentlichkeit getreten. Davon zeugt die Virulenz von Begriffen wie ‚Facebook-Revolution’ für die Ereignisse in Tunesien und Ägypten oder ‚Youtube-Revolution’ für den Konflikt in Syrien.Der von Carola Richter und Asiem El Difraoui 2015 herausgegebene Sammelband Arabische Medien nimmt deren globale Sichtbarkeit zum Anlass, die tatsächliche gesellschaftspolitische Bedeutung arabischer Medien vor dem Hintergrund ihrer historischen Entwicklung kritisch zu durchleuchten. Die Publikation erliegt dabei nicht der Versuchung, monokausale und deterministische Erklärungen für das komplexe Phänomen zu suchen, sondern diskutiert differenziert und übersichtlich vielfältige nationale wie regionale Unterschiede und Gemeinsamkeiten der arabischen Medien.
Der Sammelband vereint maßgeblich die führenden Vertreter der deutschsprachigen Forschung zu diesem Thema, bietet jedoch auch jüngeren Nachwuchsforschenden die Möglichkeit zu interessanten Beiträgen.
Die Publikation formuliert eingangs den ambitionierten Anspruch, das „erste umfassende Überblickswerk“ (S. 16) im – nicht ausschließlich – deutschen Sprachraum zum Thema zu sein, ein Versprechen, das die Lektüre als bravourös eingelöst bestätigt. Tatsächlich gibt es gegenwärtig kein vergleichbares Werk, das die regionale Vielfalt arabischer Medien mit analytischem Blick auf transnationale strukturelle Gemeinsamkeiten auf so komprimierte und wesentliche Weise vereint. Theoretische Positionen der aktuellen Medienforschung stehen bei einem solchen Übersichtswerk naturgemäß eher im Hintergrund, werden jedoch gerade im Bereich der digitalen Medien regelmäßig einbezogen. Der Begriff ‚Medien’ wird dabei bewusst breit definiert und berücksichtigt neben traditionellen Nachrichtenmedien (speziell Presse und Rundfunkmedien) und neueren Medien (das meist transnationale Satelliten-Fernsehen und die digitalen und Sozialen Medien) mit Kinofilmen, Satirezeitschriften, Büchern und Mobiltelefonen auch weitere Formate.
Der Sammelband ist folgerichtig in zwei Teile gegliedert: Der erste Teil untersucht überregionale strukturelle Gemeinsamkeiten der (pan-)arabischen Medienlandschaft, während der zweite Teil spezifische Länderstudien vereint. Dabei lesen sich die systematischen Kapitel des ersten Teils erwartungsgemäß flüssiger en bloc, die Länderanalysen empfehlen sich vorzugsweise der gezielten Einzellektüre.
Den Auftakt des Bandes macht Bettina Gräf vom Zentrum Moderner Orient (ZMO) in Berlin mit einem historischen Rückblick auf die Entwicklung arabischer Massenmedien von 1860 bis 1950 (S. 25-38). Dabei wird insbesondere deren zentrale Funktion als Träger wichtiger Ideologien (Anti-Kolonialismus, die Nahda-Bewegung, Pan-Arabismus oder Pan-Islamismus) sichtbar; gleichzeitig offenbart sich der panarabische Charakter schon der frühesten arabischen Publikationen, wie die von syrischen Christen in Ägypten herausgegebene Zeitschrift al-Muqtataf beispielhaft veranschaulicht.
Der zweite Beitrag der Herausgeber Richter und El Difraoui behandelt die Entwicklung des transnationalen arabischen Satelliten-Fernsehens, dessen bekanntester und populärster Kanal weiterhin Al Jazeera ist (S. 39-50). Al Jazeera hat maßgeblich zur Ausweitung einer panarabischen Öffentlichkeit beigetragen, zugleich aber auch eine höchst fragwürdige aktivistische Rolle in den jüngsten politischen Umwälzungen der Region gespielt. Der Beitrag zeigt die komplexe Verflechtung der panarabischen Nachrichtensender mit den regional konkurrierenden Machtzentren – besonders im Fall von Qatar (Al Jazeera) und Saudi-Arabien (Al Arabiya), aber auch der westlichen Sender (wie BBC Arabic und France 24) – und akzentuiert das enorme ökonomische Potenzial der Unterhaltungssender (etwa der saudi-arabischen Medienkonglomerate MBC und Rotana Group).
Almut Wollers Artikel über die Media Cities, eine Innovation des Nahen Ostens, greift die wirtschaftliche Bedeutung arabischer Medien auf (S. 51-62). Die Wirkungsfähigkeit dieser steuerbegünstigten Zonen für eine Vielzahl von transnationalen Medien und verbundenen Dienstleistern nutzen heute vor allem die arabischen Emirate Dubai und Abu Dhabi, die gleichzeitig oft substanziell an den Unternehmen beteiligt sind. Nebenbei wurde auf diese Weise vielen arabischen Medien ein relativ zensurfreies ‚Exil’ ermöglicht, das sie früher nur in London oder Rom gefunden hatten.
Maria Röder-Tzellos Beitrag über die politische Bedeutung Sozialer Medien in den arabischen Ländern (S. 63-74) warnt mit Blick auf deren kontrovers diskutierte Rolle in den Ereignissen des ‚Arabischen Frühlings’ vor einer vorschnellen Kausalität zugunsten eines demokratiefördernden Potenzials. Gleichzeitig hebt der Rückblick in die 1990er Jahre, als in den meisten arabischen Ländern die digitalen Medien Verbreitung fanden, dennoch deren wichtige Funktion zur Ausweitung öffentlicher sozialer Räume sowie zur Hinterfragung etablierter Autoritäten hervor – politischer wie religiöser Art. Besonders anhand der Entwicklungen der vergangenen Jahre werden aber auch die Fallstricke Sozialer Medien, etwa verstärkte staatliche Online-Überwachung oder das kontroverse Phänomen des Bürger-Journalismus, offenbar.
Von herausragender Relevanz ist der Artikel über Alltag und Medien von Ines Braune vom Centrum für Nah- und Mitteloststudien in Marburg (S. 75-86). Gerade die jüngsten gesellschaftspolitischen Veränderungen in der arabischen Welt haben die zentrale Rolle neuer Kommunikationsmittel (insbesondere auch des Mobilfunks) zur individuellen Rekonstituierung des gesellschaftspolitischen Alltags unterstrichen. Anhand von Ägypten und Marokko zeigt die Autorin, wie die neuen Medien in lokalem wie globalem Kontext marginalisierte Gesellschaftsschichten und insbesondere Frauen dazu ermächtigen, dominierende Diskurse und Ideologien kritisch zu hinterfragen und eigene Identitäten zu formulieren.
An das Thema Ermächtigung knüpft der umsichtige Beitrag von Xenia Thabita Gleissner über Gender und Geschlechterkonstruktion in und durch arabische Medien an (S. 87-98). Sowohl Frauen wie auch sexuell orientierten Minderheiten bieten gerade die neuen Medien beispiellose Möglichkeiten zur Schaffung eigener Gegenöffentlichkeiten. Gleichzeitig werden arabische Frauen aber weiterhin von nationalen wie internationalen Medien im Rahmen gesellschaftspolitischer, oft modernistisch verbrämter Ideologien vereinnahmt, so dass ihre größere Sichtbarkeit nicht automatisch eine aktivere öffentliche Teilhabe einschließt.
Gerade angesichts des Buchtitels dient der Artikel über die Medien von Minderheiten in der arabischen Welt als wichtiges Korrektiv. Zusätzlich zu den nationalen Medienunterschieden wird hier deutlich, wie komplex die demographische und damit politische und mediale Situation selbst innerhalb einzelner Länder ist: etwa in Ägypten mit der großen religiösen koptischen Minderheit, in Nordafrika mit der bedeutenden ethnischen Minderheit der Berber oder im Irak mit der heute weitgehend autonomen kurdischen Minderheit.
Den Abschluss des ersten Teils bildet ein Beitrag über islamistische und dschihadistische Medien, der wissenschaftlichen Kernkompetenz von Asiem El Difraoui (S. 117-130). Der Autor dokumentiert, wie die Entwicklung islamistischer und salafistischer Strömungen von den Muslimbrüdern über die Wahhabiten hin zum ultra-radikalen Dschihadismus des so genannten ‚Islamischen Staats’ (IS) zentral vom strategischen Gebrauch der jeweils aktuellsten Medienformate geprägt wurde. Diese ‚Missionierung’, zentraler Bestandteil aller islamistischen Ideologien, hat mit zunehmender Individualisierung und Globalisierung der Kommunikationsmittel besonders durch al-Qaida oder den IS einen bedrohlichen Aufschwung erlebt. Davon zeugen auch die aktuellen Diskussionen über die crossmediale Propaganda des IS in Deutschland, das mit Denis Cuspert einen bedeutenden Vertreter dieses E-Jihads, also des über das Internet forcierten Kriegs, hervorgebracht hat.
Plausibel gelingt es dem Sammelband im ersten Teil aufzuzeigen, wie medientechnische Neuerungen regelmäßig zu gesellschaftspolitischen Veränderungen führen, die stets mit neuen Chancen und Risiken für die arabische zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit verbunden sind. So dienen arabische Medien immer sowohl als Spiegel von als auch Motor für solche Umgestaltungen.
Der zweite Teil der Publikation (S. 131-340) offenbart in 18 Länderanalysen auf den ersten Blick vor allem die nationale Varianz der ‚arabischen Welt’, wobei die spezifischen Medienlandschaften ausschlaggebend von der jeweiligen politischen Kultur und der ökonomischen Situation der einzelnen Länder abhängig sind. Solche Unterschiede zeigen sich vor allem im aktuellen gesellschaftspolitischen Umgang mit den neuen Medien. So kontrastiert das lange Zeit relativ liberale Ägypten mit dem fast hermetisch geschlossenen Syrien; aber auch nationale Vorlieben für bestimmte soziale Medien werden augenfällig: etwa Twitter in Saudi-Arabien, Kuwait und Katar; während Facebook und Linkedin in den Vereinigten Arabischen Emiraten favorisiert werden.
Trotzdem offenbart die Lektüre der Länderstudien auch historische und strukturelle Ähnlichkeiten, die allerdings meist nationaltypisch ausgeformt wurden. Leider fehlt diesem zweiten Teil – wie dem Band insgesamt – ein abschließendes Fazit, das solche Bindeglieder noch einmal strukturiert für die Leserschaft aufbereitet und daher für eine künftige Neuauflage empfehlenswert wäre.
In praktisch allen arabischen Ländern ist die Entstehung der modernen Massenmedien mit der kolonialen Geschichte verknüpft, die meist französisch oder englisch, vereinzelt auch osmanisch geprägt ist. Aufschlussreich zeigen die Länderberichte hierbei, wie sich selbst im Fall derselben Kolonialmacht die Mediensysteme der Länder doch individuell entwickelt haben.
Eine weitere Übereinstimmung der arabischen Länder – mit Ausnahme des Libanons – ist die engmaschige staatliche Kontrolle und Zensur, welche die Medien spätestens seit den 1950er Jahren grundlegend durchdrungen hat. Gesetzliche Regelwerke und vollziehende Aufsichtsbehörden sind zwar national unterschiedlich gestaltet, wie die Beiträge darstellen. Dennoch war fast allen Ländern bis vor Kurzem ein absolut staatlich monopolisierter Rundfunkbereich sowie eine umfassende Kontrolle aller anderen Medien sowie der Medienschaffenden gemein, die oft auch subtiler über Selbstzensur wirkt. In den 1990er Jahren fand eine ökonomische Liberalisierung der Medienlandschaft statt. Diese zog allerdings nur selten eine politische Liberalisierung nach sich, nicht zuletzt, da diese privaten Medien in der Regel in den Händen von Wirtschaftsmoguln liegen, die eng mit der politischen Elite verbündet sind. Im Zug der jüngsten politischen Umwälzungen wurden viele Informationsministerien abgeschafft, in den meisten Fällen aber schlicht durch neue Zensur-Instanzen ersetzt oder durch Kontrollorgane von Online-Medien ergänzt.
Schließlich wird in den Ausführungen des Buches auch die Bedeutung von Medien als Sprachrohr verschiedener Parteien und Interessensgruppen ersichtlich. Insbesondere im Libanon und im Irak stehen die Medien so auch im Dienst konfessioneller Konflikte, speziell zwischen Sunniten und Schiiten. Solche religiöse Bruchlinien haben sich seit des Irakkriegs 2003 stark ausgeweitet und bilden heute ein dominierendes Element in fast allen regionalen Konflikten. Auch dieser Aspekt würde eine systematischere Behandlung verdienen.
Abschließend formuliert, löst der Sammelband sein Versprechen souverän ein, die neue Standardeinführung zum Thema zu sein – allemal in deutscher Sprache. Eine englische Übersetzung könnte auf internationale Resonanz hoffen. Dem Band gelingt es, die Differenziertheit des arabischen Mediensystems inklusive aller Golfstaaten und des Sudans zusammenzufassen. Dabei liegen die größten Stärken in den strukturellen Kapiteln des ersten Teils sowie der ausführlichen Diskussion nationaler gesetzlicher und institutioneller Rahmenbedingungen für die digitalen Medien. Lücken ergeben sich bei einem solch umfassenden Projekt notgedrungen; dennoch wäre eine systematische Berücksichtigung weiterer struktureller Gemeinsamkeiten – staatliche Zensur, Konfessionalismus oder zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit – wünschenswert. Spezialisten mag ein ausführlicher Anmerkungsapparat fehlen, die kurzen Bibliographien zum Schluss jedes Kapitels sowie die allgemeinen Literaturhinweise in der Einleitung verweisen jedoch verlässlich auf den aktuellen Forschungsstand.
Links:
Über das BuchCarola Richter, Asiem El Difraoui (Hrsg.): Arabische Medien. Konstanz/München [UVK] 2015, 344 Seiten, 44;- Euro.Empfohlene ZitierweiseCarola Richter, Asiem El Difraoui (Hrsg.): Arabische Medien. von Arn, David in rezensionen:kommunikation:medien, 30. Juni 2016, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/19199