Juliane Voigt: Nachrichtenqualität aus Sicht der Mediennutzer

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Rezensiert von Katja Mehlis

Juliane Voigt: Nachrichtenqualität aus Sicht der MediennutzerEinzelrezension
Nachrichten besitzen eine große Bedeutung für die Gesellschaft und deren Kommunikation. Sie dienen der tagesaktuellen Information der Bevölkerung und liefern damit die Grundlage zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und politischen Prozess (vgl. Köster/Wolling 2006: 75). Wenn eine funktionierende Demokratie auch von einer informierten Bürgerschaft abhängt, ist die Qualität der journalistischen Berichterstattung von zentralem Belang. Die Dissertation der Kommunikationswissenschaftlerin Juliane Voigt, die im Rahmen des DFG-geförderten Forschungsprojekts Nachrichtenqualität aus Rezipientensicht entstanden ist, setzt an diesem Punkt an und fragt nach der Qualität der Nachrichten vor dem Hintergrund des sich wandelnden Angebots und Mediennutzungsverhaltens. Dabei ist zu begrüßen, dass sie eine rezipientenorientierte Sichtweise einnimmt, die jedoch auch Perspektiven der normativen Qualität integriert und so Schnittstellen zwischen Journalismus- und Rezeptionsforschung aufzeigt.

‚Kann das Publikum wollen?‘ fragte bereits Adorno (1963) über die Autonomie der Mediennutzer mit Blick auf das Fernsehen. Bis heute konnten Zweifel an der Urteilsfähigkeit des Publikums nicht ganz ausgeräumt werden. Das Argument, Mediennutzer seien nicht in der Lage, die Qualität von Medienprodukten einzuschätzen, hat dazu geführt, dass publikumszentrierte Qualitätsmaßstäbe lange Zeit keine und bis heute eine untergeordnete Rolle in der Qualitätsdiskussion spielen. Darüber hinaus hat sich die empirische Forschung kaum mit der Kompetenz von Mediennutzern auseinandergesetzt, die Qualität bei einzelnen Nachrichtenbeiträgen wahrnehmen zu können. Die Arbeit von Juliane Voigt fokussiert deshalb explizit auf das Qualitätsbewusstsein der Rezipienten und fragt, ob und in welchem Maß sie kundig sind, Nachrichtenbeiträge zu beurteilen.

Hierzu stellt die Autorin ausgehend von einer Definition des Qualitätsbegriffs die zwei zentralen Perspektiven zur Beurteilung der Qualität von Nachrichten vor: die normative Perspektive, die sich mit universellen publizistischen Qualitätsansprüchen auf Basis der gesellschaftlichen Funktion von Medien beschäftigt, und die Rezipientenperspektive, welche die Qualitätsansprüche der Mediennutzer in den Blick nimmt. Aus den theoretischen Überlegungen der normativen Perspektive extrahiert Voigt fünf Qualitätsdimensionen (Vielfalt, Relevanz, Unparteilichkeit, Sachgerechtigkeit, Verständlichkeit). Sie arbeitet sehr gründlich zentrale theoretische Konzepte und den aktuellen Forschungsstand zu Medienqualität aus Rezipientensicht auf und führt schließlich ein auf der heuristisch-systematischen Informationsverarbeitung basierendes Modell ein, mit der sich die Fähigkeit der Rezipienten zur Qualitätswahrnehmung analysieren lässt.

Die umfangreiche empirische Untersuchung umfasst zum einen eine quantitative Online-Befragung mit rund 2800 Personen im Alter von 18 bis 65 Jahren, die über einen kommerziellen Panelanbieter als Quotenstichprobe rekrutiert wurden. Die Verteilung der Quotenmerkmale hinsichtlich Alter, Geschlecht und Bildung orientierte sich an der Gesamtheit der deutschen Internetnutzer. Im Rahmen dieser Befragung wurde eine Serie von fünf Experimenten realisiert, für die die Versuchspersonen zufällig einer Gruppe zugeordnet wurden. Jedem Teilnehmer wurde ein aktueller Nachrichtenbeitrag aus einer deutschen Tageszeitung bzw. deren Online-Ausgabe präsentiert, der nachträglich hinsichtlich der Qualitätsdimensionen manipuliert worden war und von der Versuchsperson bewertet werden sollte. Innerhalb der Befragung wurden auch intervenierende Variablen wie das Medienmarkenimage erhoben. Zum anderen erfolgte eine Inhaltsanalyse der Stimulusbeiträge zur Beurteilung der normativen Gesamtqualität.

In den Ergebnissen zeigt sich, dass Rezipienten prinzipiell die Fähigkeit besitzen, Qualitätsaspekte wahrnehmen zu können, wobei das Gesamturteil über einen Beitrag vor allem von ihrer Einschätzung der Verständlichkeit abhängt. Darüber hinaus wird deutlich, dass die Qualitätswahrnehmung der Rezipienten nur zum Teil von der normativen Qualität des Beitrags beeinflusst wird. Am bedeutsamsten für die Bewertung hat sich das Image der Medienmarke erwiesen: Je positiver die Einstellung der Rezipienten hinsichtlich der Medienmarke, desto besser wird die Qualität des Beitrags eingeschätzt. Die Autorin fasst zusammen, dass Rezipienten in der Lage sind, grobe Qualitätsmängel mit Blick auf die fünf untersuchten Qualitätsdimensionen zu erkennen. Am leichtesten falle es ihnen, die Relevanz eines Beitrags angemessen einzuschätzen, problematisch sei hingegen die Bewertung der Sachgerechtigkeit. Zudem würden kleinere Unterschiede, wie sie im Alltag auftauchen, kaum erkannt, auch weil Rezipienten von sich aus wenig auf die normative Qualität achten würden. Juliane Voigt zieht aus den Ergebnissen der Untersuchung vor allem zwei Schlüsse: Erstens benötigen Rezipienten das entsprechende Wissen, um die Qualität von Medienangeboten adäquat beurteilen zu können. Hier sieht sie Schwachpunkte im derzeitigen Schulsystem und verweist auf die Medienkompetenz, die durch schulische Medienbildung frühzeitig gefördert werden sollte. Zweitens sieht sie die Notwendigkeit für Veränderungen im Journalismus selbst, aber auch aus diesem heraus, wie journalistische Projekte, die sich für mehr Qualität engagieren oder auf alternative Finanzierungsmodelle setzen und sich damit unabhängiger machen.

Leider fällt ihr Fazit damit sehr knapp aus und hält nur wenige praxisrelevante Schlüsse oder forschungsbezogene Ausblicke bereit. Die Ergebnisse und deren Interpretation überzeugen zudem nur zum Teil davon, dass Rezipienten eine zentrale Rolle zukommt, wenn es darum geht, journalistische Qualität einzuhalten oder zu verbessern, wie es eine der Eingangsthesen der Dissertation ist. Hier wäre es zielführend gewesen, auf die strukturellen Bedingungen und aktuellen Entwicklungen des Nachrichtenmarkts einzugehen, wie die Vielfalt und Heterogenität der Anbieter infolge der fortschreitenden Digitalisierung: Angesichts der neuen Nachrichtenformate des partizipativen Journalismus lässt sich tatsächlich ein wachsender Einfluss der Rezipienten beobachten. Irritierend wirkt die immer wieder von der Autorin verwendete ‚Wir‘-Form, die insbesondere im Kontext von Qualifikationsarbeiten unüblich ist.

Insgesamt kann die Arbeit aufgrund der ausführlichen und aufschlussreichen Aufarbeitung des Theorie- und Forschungsstands zur bisher wenig beachteten ‚Nutzerqualität‘ sowohl Dozierenden als auch Studierenden der Sozial- und Kommunikationswissenschaften empfohlen werden. Für Medienmacher und deren Arbeit bietet die Studie hingegen kaum Nutzen.

Literatur:

  • Adorno, Theodor W.: Kann das Publikum wollen? In: Katz, Anne Rose (Hrsg.): Vierzehn Mutmaßungen über das Fernsehen. München [dtv] 1963, S. 55-60.
  • Köster, Jens; Jens Wolling: Nachrichtenqualität im internationalen Vergleich. Operationalisierungen und empirische Ergebnisse. In: Weischenberg, Siegfried; Wiebke Loosen; Michael Beuthner (Hrsg.): Medien-Qualitäten. Öffentliche Kommunikation zwischen ökonomischem Kalkül und Sozialverantwortung. Konstanz [UVK] 2006, S. 75-94.

Links:

Über das BuchJuliane Voigt: Nachrichtenqualität aus Sicht der Mediennutzer. Wie Rezipienten die Leistung des Journalismus beurteilen können. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2016, 289 Seiten, 39,99 Euro.Empfohlene ZitierweiseJuliane Voigt: Nachrichtenqualität aus Sicht der Mediennutzer. von Mehlis, Katja in rezensionen:kommunikation:medien, 12. Juli 2016, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/19282
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