Rezensiert von Doris Mosbach
Das Lehrbuch Bildsemiotik von den Design- und Kommunikations-wissenschaftlern Thomas Friedrich und Gerhard Schweppenhäuser ist eine Ausarbeitung von Vorlesungsmaterial und richtet sich explizit an Studierende und in der Gestaltung arbeitende Praktiker und Lehrende (6). Die Autoren haben das Buch als ein “übersichtliches Kompendium” konzipiert, in dem “bewährte” bildsemiotische Analysemethoden vorgestellt und vorgeführt werden (ebd.).Aus der Sicht von Kommunikationsgestaltern betonen Friedrich und Schweppenhäuser zunächst die kommunikative Einheit von Text und Bild, deren pragmatische Faktoren (wie etwa Kontextabhängigkeit) sie gleich zu Beginn anhand von prägnanten Beispielen deutlich machen (19ff.). Die darauf folgende Einführung in semiotische Grundbegriffe beschränkt sich auf die wenigen Konzepte, die als semiotisches Allgemeingut gelten dürfen: den integrativen Begriff des Zeichens als etwas, das für etwas anderes steht, den strukturalistischen Zeichenbegriff nach Saussure bzw. Barthes, die Dimensionen der Semiotik (Semantik, Syntaktik, Pragmatik) im Sinne von Morris sowie die triadischen Zeichenrelationen nach Peirce, allen voran die eingängige Trichotomie des Objektbezugs (Ikon, Index, Symbol). Dabei werden Gegensätze (etwa des Ansatzes von Peirce im Vergleich zu Saussure) bewusst ausgeblendet. Stattdessen folgen Analysen verschiedenartiger visueller Zeichen (Firmenlogos, Plakate, Titelbilder, Piktogramme, Emoticons), in denen die eingeführten Grundbegriffe ertragreich angewendet werden (36ff.).
Die nachfolgenden Kapitel thematisieren die Rhetorik des Visuellen. Die Autoren resümieren den antiken Bestand rhetorischer Mittel und spüren diese – ursprünglich nur für die Sprache konzipierten – Stilelemente in Werbeanzeigen auf. Unverständlich bleibt dabei, dass sowohl die frühen Arbeiten von Durand, der schon ab dem Ende der 1960er Jahre zu genau dieser Palette bildrhetorischer Mittel gearbeitet hat (vgl. z. B. Durand 1970, 1987) sowie auch die umfangreichen neueren Arbeiten von Stöckl (z. B. 2004) völlig unerwähnt und unzitiert bleiben, obwohl gerade letztere sowohl methodologisches Rüstzeug zur Verfeinerung der Text-Bild-Analyse als auch gleichfalls reichhaltige Beispiele geliefert haben.
Ausführlicher widmen sich Friedrich und Schweppenhäuser dem Analyseschema von Roland Barthes, das dieser in seinem Aufsatz “Rhetorik des Bildes” (vgl. Barthes 1969) skizziert hat, dem wohl bekanntesten (aber auch meist kritisierten) Aufsatz der Bildsemiotik überhaupt. Barthes nimmt darin für jeden Text-Bild-Komplex drei Arten von “Nachrichten” an (die linguistische, die nicht kodierte ikonische sowie die kodierte ikonische Nachricht) und ermittelt diese in einer exemplarischen Analyse einer Spagetti-Werbung. Um bildsemiotische Fragestellungen in der Lehre zu erarbeiten, ist Barthes’ Aufsatz in der Aufarbeitung von Friedrich und Schweppenhäuser außerordentlich gut geeignet, wobei allerdings Problematisierungen und Präzisierungen wünschenswert wären. So weisen die Autoren zwar zurecht auf Schwächen bei Barthes hin (80) und ergänzen ihn um seine Rezeption und Adaption durch Eco (1972), trennen in den nachfolgenden Beispielanalysen aber genauso wenig wie Barthes die rein bildlichen Konnotationen (hervorgerufen durch Mittel wie Unterperspektive, Schwarz-Weiß, Anschnitt von Motiven) von den Konnotationen der ausgewählten (und inszenierten) Bildinhalte (Kleidung der Personen, Landschaftshintergrund).
Schwächen zeigen die Autoren des Buchs auch an Stellen, wo sie dem eigenen Anspruch, verständlich zu schreiben, ohne zu simplifizieren, dann doch nicht gerecht werden. Die Diskussion über die definitorische Frage, was ein Bild sei (21ff.), hätte entweder noch reduzierter und entschiedener oder eben ausführlicher geführt werden müssen. So verbleibt nach der Lektüre des mit Kurzzitaten gespickten (fast beiläufig eingefügten) Abschnitts eher der Eindruck, dass der Begriff zwar hoch kompliziert und vor allem uneindeutig ist, dass es aber einer genaueren Klärung nicht wirklich bedarf. Die Literaturauswahl ist insgesamt sparsam und beschränkt sich weitgehend auf die klassischen Texte, wodurch etwas der Eindruck entsteht, die Bildsemiotik sei in den 1970er Jahren stehen geblieben. So hätte auf ebenfalls rhetorisch orientierte Ansätze wie den von Groupe µ (1992) zumindest irgendwo hingewiesen werden sollen.
Das Buch besticht aber letztlich, ganz wie von den Autoren beabsichtigt, durch seine angewandte Ausrichtung. Beispiele finden sich eben nicht nur vereinzelt, sondern in großer Zahl und Ausführlichkeit. Sage und schreibe acht vollständige und detaillierte Werbebildanalysen nach dem (leicht modifizierten) Muster von Barthes sind beigefügt, was sicherlich dazu führen wird, dass besonders Studierende das Buch zu schätzen wissen werden. Das Buch wird insofern seiner Zielgruppe und Zielsetzung vollkommen gerecht.
Die ansprechende Typografie des Buchs verrät den eigenen hohen Anspruch an das Kommunikationsdesign, geht aber teilweise zu Lasten der doch so gewünschten Übersichtlichkeit. So sind die Großkapitel kaum sichtbar voneinander getrennt und deren Titel – zumindest in dem mir vorliegenden Exemplar – am Blattrand so weit angeschnitten, dass sie gar nicht mehr lesbar sind.
Literatur:
- Barthes, R.: “Rhetorik des Bildes”. In: Schiwy, G. (Hrsg.): Der französische Strukturalismus. Reinbek bei Hamburg [Rowohlt Verlag] 1969, S. 158-166.
- Durand, J.: “Rhétorique et image publicitaire”. In: Communications 15 (1970), S. 70-95.
- Durand, J.: “Rhetorical Figures in the Advertising Image”. In: Umiker-Sebeok, J. (Hrsg.): Marketing and Semiotics. Berlin u. a. [Mouton de Gruyter] 1987, S. 295-318.
- Eco, U.: Einführung in die Semiotik. München [Wilhelm Fink Verlag] 1972.
- Groupe µ: Traité du signe visuel. Paris [du Seuil] 1992.
- Stöckl, H.: Die Sprache im Bild – das Bild in der Sprache: Zur Verknüpfung von Sprache und Bild im massenmedialen Text. Berlin [Mouton de Gruyter] 2004.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
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