Rezensiert von Anna-Katharina Höpflinger
Romane haben, wie Anne Buck hervorhebt, den Vorteil, dass Kleider darin “in action within the novelist’s world” präsentiert werden (vgl. Buck 1983: 89). In einem solchen literarischen Werk ist Kleidung in einen zeitgeschichtlichen und gesellschaftlichen Kontext eingebettet, der es ermöglicht, das semantische Potenzial von Kleidung in einem (fiktiven) sozialen Rahmen zu analysieren. In diese Richtung argumentiert auch Nina Maria Niederl in ihrem Buch Körper, Kleider, Kommunikation. Ausgehend von einem literaturwissenschaftlichen Ansatz nähert sie sich der semantischen Bedeutung von Kleidung in vier ausgewählten Werken des marokkanischen Autors Tahar Ben Jelloun an. Ausgehend von der Grundannahme, dass Kleidung “nicht bloss die künstliche Hülle eines Körpers” ist, sondern “seine Definition” (7), fragt sie nach Interdependenzen zwischen vestimentärem Handeln und Genderrollen.Nach einer Einleitung (7ff.) nähert sich Niederl dem Phänomen Kleidung zunächst theoretisch an (11–20), wobei sie Kleidung als Medium non-verbaler Kommunikation umreißt. Danach wirft die Autorin einen theoretischen Blick auf die Wechselwirkung von Kleidung und Geschlecht (21–26) und macht sich auf die Suche nach Ausprägungen muslimischer Frauenkleidung (27–30). Nach einem forschungsgeschichtlichen Abriss (31–35) widmet sie sich Fragen der methodischen Herangehensweise, wobei sie eine Methodentriangulation aus Ansätzen der Gender Studies, der literarischen Anthropologie und der Semiotik vertritt (37–43).
Der Hauptteil des Buches widmet sich der Analyse von vier Romanen des auf Französisch schreibenden marokkanischen Autors Tahar Ben Jelloun. Niederl untersucht in chronologisch nach Erscheinungsdatum geordneter Reihenfolge zunächst L’enfant de sable, danach La nuit sacrée, La nuit de l’erreur sowie Sur ma mère (47–106). Zuletzt wird das Buch mit einem kurzen Resümee geschlossen.
Nina Maria Niederl hat ein spannendes Feld literaturwissenschaftlicher Auseinandersetzung gewählt und argumentiert zu Recht, dass der Kleidung zur Konstitution von Geschlecht in Romanen bis anhin zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Die von ihr betrachteten Werke von Tahar Ben Jelloun bestechen durch einen kritischen und reflektierten Blick auf (traditionelle) Frauenrollen, wobei Kleidung darin immer wieder eine signifikante Bedeutung zur Einordnung und Konstruktion von Geschlecht spielt. Die von Niederl getätigte Analyse dieser ausgewählten Werke, und damit der Hauptteil des Buches, bietet den Lesenden eine interessante und nachvollziehbare Interpretationen einer faszinierenden Romanwelt.
Etwas weniger überzeugen dagegen die Rahmenkapitel. Sowohl der theoretische Zugang als auch die Erläuterung der methodischen Herangehensweise sowie das Resümee sind eher knapp gehalten. Man wünscht sich als Leserin hier mehr Tiefe sowie eine stärkere Reflexion der gewählten Konzepte. Beispielsweise fragt man sich bereits zu Beginn, weshalb die Autorin umstrittene Kategorien wie “Urmotive” (11) oder “Naturvölker” (13) wählt, obwohl ihre Romananalyse auch ohne diese gut funktionieren würde.
Zusammenfassend kann deshalb festgehalten werden, dass die Stärke des Buche in der Analyse der ausgewählten literarischen Werke liegt, die eine Bandbreite an interessanten Beobachtungen bietet und spannende weiterführende Fragen generiert.
Literatur:
- Buck, A.: Clothes in Fact and Fiction, 1825 – 1865. In: Costume, 17, 1983, S. 89–104
Links:
Über das BuchNina Maria Niederl: Körper, Kleidung, Kommunikation. Kleidung als Vehikel für das Frauen-Bild in muslimischer Literatur. Reihe: Wissenschaftliche Beiträge Literaturwissenschaft, Band 22. Marburg [Tectum Verlag] 2011, 120 Seiten, 24,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseNina Maria Niederl: Körper, Kleider, Kommunikation. von Höpflinger, Anna-Katharina in rezensionen:kommunikation:medien, 5. August 2013, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/13867