Rezensiert von Michael Jäckel


Dies gilt beispielsweise für Peter Burkes Studie über den Sonnenkönig. Die Verfasserin schreibt zu ihrer Vorgehensweise: “Die Leitidee ist dabei zu untersuchen, welche Bedeutung der Medienkommunikation in einer Gesellschaft zukommt, deren Sozialstruktur und Kommunikationskultur explizit auf Präsenz (und nicht auf physikalischer Distanzierung) aufbauen. Burkes Studie ist hier Grundlage für eine Art Sekundäranalyse, die anhand der von Burke präsentierten Daten jedoch eine andere Auswertungsperspektive annimmt.” (68) Was heißt nun Medienkommunikation im Ancien Régime? Für Hahn ist dies beispielsweise die bildnerische Darstellung des Königs, häufig in der Form eines Porträts. Dieses bringt sozusagen den entfernten König nahe. Wer sich dieses Porträt ansieht, ist aufgefordert, ihm die gleiche Ehrbezeugung entgegenzubringen wie dem wirklichen König. Man darf ihm beispielsweise nicht den Rücken zukehren. Miloš Forman hat diese höfische Regel in seinem Film “Amadeus” persifliert: Mozart sorgt an der Salzburger Residenz für Ärger, weil er sich verspätet und verlässt nach einem Streit das Zimmer des Fürst-Erzbischofs, öffnet die Tür zu einem Salon und streckt, dem applaudierenden Publikum zugewandt, dem Klerus den Hintern hin. Forman hat in seiner Biographie zur Auswahl seiner mit Vorliebe porträtierten Persönlichkeiten geschrieben: “Wir schaffen Institutionen, Regierungen und Schulen, um uns im Leben zu helfen, doch jede Institution entwickelt nach einer Weile die Tendenz, sich nicht mehr so zu verhalten, als sollte sie uns dienen, sondern als sollten wir ihr dienen. Das ist der Moment, wenn das Individuum mit ihnen in Konflikt gerät.”
Am Beispiel der Organisation des modernen Konsums wird der stellvertretende Konsum der Frau, wie er detailliert von Thorstein Veblen beschrieben wurde, als eine weitere Form ent-fernter Kommunikation interpretiert, weil die konsumierende Frau stellvertretend den Mann ins Spiel bringt. Am Beispiel der “Celebrity Culture” wird des Weiteren illustriert, wie sich aus der “Wechselwirkung von kopräsenter und mediengestützter Interaktion” (213) Prominenz entfaltet. Erstaunlicherweise wird in diesem Kapitel weniger darauf hingewiesen, dass die Nachahmung von Prominenz, und zwar im Hinblick auf ihre Launen und Moden, ebenfalls eine Form von ent-fernter Kommunikation ist, weil doch der Prominente durch Vorgänge, die Hubert Markl einmal “Medien-Cloning” genannt hat, permanent in der Öffentlichkeit und auch im Privaten “ent-fernt” zugegen ist.
Die Studie von Ponce de Leon, die hier eine Neuinterpretation erfährt, weist dagegen zunächst auf frühe Formen der Bildkommunikation hin, sei es “in Form von Medaillons, Porzellanwaren oder Tafelbesteck, die die Portraits prominenter Personen wie Rousseau, Diderot und Jefferson zeigen” (214). Eine moderne Variante von Nähe trotz Distanz seien Schnappschüsse, die als ein neuer “ästhetischer Code” (233) bezeichnet werden. Vermittelt wird darüber eine Form von Informalität, die dem Ereignis die Inszenierung nimmt, obwohl es sich von dieser nicht befreien kann. Die Fotografen wünschen ungestellte Aufnahmen, vor der Kamera muss man sich unbefangen geben. Um der medienvermittelten Kommunikation das Ent-fernte zu nehmen, kommt – soweit es das Format zulässt – dem Studiopublikum wiederum die Rolle eines Stellvertreters zu. Sei es der “laugh track” in einem humoristischen Programm oder die dem Zuschauer nicht ersichtliche Regieanweisung des Klatschens, die Teilhabe verstärken soll. Der geübte Zuschauer mag sich dennoch gelegentlich fragen, warum denn schon wieder gelacht wird, wohl wissend, dass kein Studiopublikum anwesend ist. Das kann man als Steigerung der Medienkompetenz interpretieren (243f.).
Hahn nutzt also in ihrer Analyse die Beobachtungen von Beobachtern und setzt diese für eigene Beschreibungen von fortgeschrittenen Medienkulturen ein – wann auch immer diese beginnen mögen (die christliche Ikonographie wäre doch beispielsweise auch eine ent-fernte Kommunikation). Der Begriff “fortgeschrittene Medienkulturen” taucht neben Formulierungen wie “Repräsentation abwesenden Sinns” oder “Streckfähigkeit des Geistes” ebenso häufig auf wie der Begriff “Sozialstruktur”, der wohl in einem sehr weit gefassten Sinn verwandt wird. Vermittelt wird eher eine Perspektive, aber noch kein theoretisches und methodisches Programm. Obwohl die Verfasserin Gemeinsamkeiten aller Kommunikationssituationen auflistet (362), helfen diese nicht wirklich weiter, um die latente Botschaft der zum Teil sehr detailreichen und unterschiedlich ausführlichen Einzelbeispiele näher zu bringen. Dennoch hat die Lesart, die hier für verschiedene Formen von Medienkommunikation vorgeschlagen wird, ihren Reiz. Sie hätte an Überzeugungskraft gewonnen, wenn am Ende etwas weniger an Wiederholungen, sondern mehr an Systematisierung erfolgt wäre. Dennoch ist das Buch in jedem Falle lesenswert.
Kommentare zu Bildwitzen runden die Analyse ab. Einer davon könnte auch von Loriot stammen, weil er auf eine Tonstörung während einer Fernsehübertragung hinzuweisen scheint: “We have temporarily lost our sound. Please talk to each other.” (364) Das Ehepaar in Loriots Fernsehabend ärgert sich zunächst darüber, warum der Fernseher denn gerade heute kaputtgehen muss. Der Dialog endet mit dem Satz: “Ich lasse mir von einem kaputten Fernseher nicht vorschreiben, wann ich ins Bett zu gehen habe.” Wer würde in diesem Zusammenhang nicht an Medienkompetenz in fortgeschrittenen Medienkulturen denken?
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Kornelia Hahn an der Universität Salzburg
- Webpräsenz von Michael Jäckel an der Universität Trier