Rezensiert von Christoph Jacke
Kaum ein Begriff hat speziell in Medien- und Kommunikationswissenschaft für so viele Diskussionen gesorgt wie der der Unterhaltung. In Differenz zu Information oder als Konzept an sich zwischen Finanzierung, Gespräch und Vergnügen ziehen sich vielfältige Überlegungen und auch anschließende Bewertungen durch die letzten Jahrzehnte deutschsprachiger Medienbeobachtung. Der freiberufliche Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger analysiert bereits seit geraumer Zeit Phänomene und Mechanismen um das vermeintlich Leichte der Medienkultur und setzt den Haupttitel seines neuen Sammelbands bewusst als fragenden Ausruf: “Gute Unterhaltung?!” Denn, so Hallenberger selbst zum gängigen Vorurteil im Vorwort: “[W]enn etwas nur Unterhaltung ist, kann es nicht ‘gut’ sein; ist es ‘gut’, dann ist es mehr als Unterhaltung.” (7)Dass nicht nur in den Unterhaltungsindustrien, sondern auch in den Wissenschaften mittlerweile ein besonderes Augenmerk auf diesen Sektor gelegt wird, dürfte mittlerweile unbestritten sein: “Genaugenommen sind es sogar zwei Fragen, die in Diskussionen nicht nur über das Fernsehen lange Zeit allenfalls gestreift wurden. Der Frage, was man sich denn unter ‘guter Unterhaltung’ vorstellen kann, geht diese voraus: Was ist überhaupt ‘Unterhaltung’?” (7) Hier haben sich längst – ausgelöst durch Cultural Studies, Mediensoziologie und Popjournalismus – Ansätze jenseits von normativem, elitistischem, wenn auch nicht unbegründetem Medien-Bildungsbürgertum à la Marcel Reich-Ranicki entwickelt und für eine genauere Betrachtung der so zugänglichen Sparten gesorgt.1
Aus diesen Grundlagen und im Wissen um die (nicht nur quantitative) Bedeutung von Unterhaltungsangeboten für Medien und Rezipienten hat Hallenberger eine illustre Schar von Experten um ihre Einschätzung gebeten, und zwar sowohl hinsichtlich ihrer ganz persönlichen Meinung zum scheinbaren Widerspruch guter Unterhaltung als auch zu konkreten Kriterien dieser Art Fernsehunterhaltung in Formaten wie Comedy, Sitcom, Castings, Reality TV, Talkshows etc. Der Herausgeber selbst bewegt sich zwischen Fernsehproduktions-, Wissenschafts- und Gutachterpraxis und hat somit einen multiperspektivischen Blick ausgebildet, der für ein derartig komplexes und wirksames Phänomen vonnöten erscheint.
So geschult hat Hallenberger Forscher, Kritiker, Produzenten und weitere Akteure der Fernsehunterhaltung (u. a. Claudia Gerhards, Uwe Kammann, Wolfgang Mühl-Benninghaus, Wolfgang Thaenert, Norbert Schneider) um eine Reflexion ihres vermeintlich reflexionslosen – und deswegen ja oftmals in erster Rezeptionsinstanz reibungslos amüsierenden – Feldes gebeten, also eine Beobachtung zweiter Instanz eingefordert, die sich konzentriert mit dem Begriff der Qualität auseinandersetzt, der bekanntlich und nachvollziehbar von Gutachtern anders gemessen wird als von Produzenten. Die Ambivalenz des Unterhaltenden zwischen Kunst und Massenkultur formuliert der Filmwissenschaftler Klaus Kreimeier in seinem “Lob der langen Weile” von der Commedia dell’arte bis zu Wetten, dass..?: “Man besuchte das Spektakel nicht, um etwas Neues, sondern um das Bekannte mit einigen neuen Garnierungen zu sehen.” (17) Kurz darauf rutscht Kreimeier allerdings in sehr apokalyptische Argumentationsgefilde ab, die zwar prinzipiell bedenkenswert sind, hier aber arg nach Angst vor neuen Medientechnologien und ihren gespenstischen Auswirkungen klingen: “Spaß-Diktatur zerhackt die Zeit und zerlöchert das Hirn, fördert Herzrhythmusstörungen und pubertäre Hysteriezustände. Gleichzeitig breitet sich, flächendeckend und schichtübergreifend, ein seltsames Desinteresse an der Wirklichkeit aus. Die Sucht nach Flachbildschirmen und Spielkonsolen hat einen Sozialtypus ausgeprägt, in dem die Gesellschaft ihr Versagen – vordergründig: das Versagen ihrer Sozial- und Bildungspolitik – wiedererkennt: den intellektuell und emotional erschöpften, im weichen Pfuhl der Apathie versunkenen, in den Zustand des ennui gekippten Menschen.” (20-21) Oder wie es die Hamburger Band Die Goldenen Zitronen in ihrem Song “Mila” (vom Album “Lenin”, 2006) noch pointierter und weniger pauschalisierend und larmoyant formuliert: “Eine aufgeladene Pre-Paid-Karte macht noch keinen eingeladenen Freundeskreis”.
Wesentlich sachlicher geht der Kulturwissenschaftler Hans-Otto Hügel in seinem Beitrag “Qualitätskriterien oder Kritik – Messen oder Werten der Unterhaltung” an den Begriff der Unterhaltung. Er bescheinigt ihm eine “Zwischenstellung der Unterhaltung” (71), wie er sie als Ambivalenz des Populären an anderer Stelle bereits beschrieben hat: “In der massenmedialen Unterhaltung ist die Bedeutung des Handwerklichen stets bemerkbar, in der Kunst nicht. […] denn Durchsichtigkeit des Ästhetischen, die zentrales Kriterium des Populären ist – weil sie erst Rezeption ohne Aufwand ermöglicht –, verlangt das Einhalten gewohnter Ausdrucksformen und damit auch handwerkliche Qualität.” (70) Und weiter: “Unterhaltende Artefakte […] sind nie ganz individuell, aber zugleich nie ganz genormt; vielmehr darauf angelegt, Serialität und Individualität in Einklang zu bringen.” (71) Neben diesem nur vordergründigen Widerspruch zwischen Oberfläche und Tiefe, Entspannung und Anspannung betont Hügel allerdings eine andere wichtige Unterscheidung, die auch die gesellschaftliche Bedeutung von Unterhaltungsangeboten bezeugt: “Zu unterhalten bedeutet doch gerade, Entlastung von Sinnproduktion anzubieten […]. Und deshalb ist auch zwischen Unterhaltsamkeit – das ist jede Art des Vergnügens […] – und Unterhaltung zu unterscheiden. Unterhaltsamkeit gibt es, seitdem es Menschen gibt, Unterhaltung erst seit der industriellen Revolution, seitdem die Unterhaltung sich von ihrer sozialen Bestimmtheit emanzipierte. Die Unterhaltung ist […] ästhetisch zweideutig […]. Sie bietet Sinn an, der aber nicht realisiert werden muss. Sie ist nicht leer, aber auch nicht zwanghaft bedeutend.” (78-79) Inwiefern Populäres und Unterhaltung allerdings gleich oder ähnlich gelagert sind, erörtert Hügel hier nicht.
Um einen weiteren, sehr renommierten Forscher zu erwähnen, sei hier auch auf den Beitrag des Medienkultur- und Fernsehwissenschaftlers Knut Hickethier hingewiesen (“Gute Unterhaltung ist nachhaltig”), der gerade im Spielhaften, im Übungscharakter der Fernsehunterhaltung dessen Charakteristikum sieht, eine vielen Populärkulturforschungen nicht unbekannte Argumentation: “Fernsehunterhaltung – sowohl die fiktionale wie die nicht fiktionale Unterhaltung – stellt eine Form von kultureller Kommunikation dar, die sowohl unter gesellschaftlichen Aspekten – also von ihren Funktionen, die sie für die Gesellschaft insgesamt erfüllt – als auch unter individuellen Aspekten, die für die einzelnen Zuschauer von Bedeutung sind, betrachtet werden kann.” (103) Hickethier legitimiert hier sogleich die (Kommunikations-)Forschungen zum Feld der Unterhaltung als Weltzugang: “Wenn Unterhaltung als eine spezifische Form der Kommunikation zu verstehen ist, dann liegt die Kennzeichnung ihrer Qualität darin, ob und in welcher Weise sie zur gesellschaftlichen Selbstverständigung beiträgt, es also für die Zuschauer einen Zugewinn an Welterkenntnis und Welterfahrung gegeben hat.” (108) Wenn Hickethier schließlich im Anspruch an gute Fernsehunterhaltung mündet, als eine Form der gesellschaftlichen Kommunikation zum besseren Zusammenleben beizutragen, entspinnt sich sogar ein erster Ansatz von Unterhaltungsethik.
Der wohl namhafteste Vertreter der Akteure auf den Unterhaltungsbühnen, Jürgen von der Lippe, verschiebt in seinem Beitrag “Unterhaltung: Theorie versus Praxis”, wenn auch studiert und sehr belesen, die Formate und lässt aus einem Sammelband- und somit auch Fachdiskurs-Beitrag leider einen auch noch augenzwinkernden Essay voller Trivialitäten und Anekdoten zur Schwierigkeit der Erforschung von Unterhaltung werden – für das wissenschaftliche Zielpublikum in Form des Rezensenten nicht besonders amüsant, sondern etwas arg alltagsempirisch und besserwisserisch. Von der Lippes Plädoyer für eine Vereinfachung von Sprache und gegen die Vereinfachung von Unterhaltung hinterlässt daher einen etwas faden Nachgeschmack – wenn auch durchaus unterhaltsam provozierend, wie die vorliegenden Zeilen belegen – und eignet sich eher als einführender, nicht ganz ernst gemeinter Text und schlecht gelaunter Einblick in die Unterhaltungsforschung der Geistes- und Sozialwissenschaften. Besonders ärgerlich ist von der Lippes, im Untertitel seines Beitrags erwähnte Gegenüberstellung aus Theorie und Praxis, da er Äpfel mit Birnen vergleicht und nicht berücksichtigt, dass Wissenschaft eine andere Praxis und Theorie hat als der humoristische Medienberuf und somit auch anderen sprachlichen Regeln unterliegt und nicht die bessere Witze-Schmiede sein kann und möchte: “[…] all die Erklärungsmodelle werden niemals jemanden in die Lage versetzen, mit ihrer Hilfe gute Gags zu erzeugen.” (151) Das ist bekanntlich auch gut so. Verteidigend muss allerdings gesagt werden, dass der Herausgeber den Beitragenden weitgehend – auch in der anschließenden Redaktion – Freiheit gelassen hat und eben gerade sehr unterschiedlich angelegte Ausführungen erhoffte.
Im abschließenden Beitrag (“Gute Unterhaltung – eine kartografische Annäherung”) entwirft Hallenberger anknüpfend an sein Vorwort eine kurze, sehr hilfreiche und auch auf die Mediengeschichte der DDR bezogene Landkarte deutscher Fernsehunterhaltungsreflexion (Obacht, ‘Futter’ für Jürgen von der Lippe) und schlägt anstelle eines Fazits als Kriterien für Unterhaltungsqualität vor: Menge der Sinnangebote, Vielfalt der Sinnangebote, Tiefe bzw. Komplexität der Sinnangebote und Vernetzung der Sinnangebote. Das damit verbundene Desiderat an weitere, neue Forschungen zwischen Medien- und Populärkultur verwundert da kaum und sollte intensiv betrieben werden.
Ein unspektakulärer Nebeneffekt von Hallenbergers lesenwertem Sammelsurium sei nicht unerwähnt gelassen: Seine Zusammenführung eher geisteswissenschaftlicher Medienwissenschaft und sozialwissenschaftlicher Kommunikationswissenschaft mündet in einer treffenden Skizze von deren Perspektiven zur Unterhaltung, wobei aus letzterem Bereich i.w.S. im vorliegenden Band lediglich Lothar Mikos und Jörg-Uwe Nieland vertreten sind. Die in Deutschland getrennten Disziplinen und vor allem ihre Standesgesellschaften beharren weiterhin auf ihren Grenzen und Unterschieden. Dagegen kann man sich nur noch mehr Borderliner wie Hallenberger wünschen, denen es um die Sache geht und nicht um die Stellenbörse: “Genaugenommen entstand die Idee zu diesem Buch sogar aus dem Eindruck eines doppelten Mangels: Neben dem allgemeinen Defizit bezüglich des Nachdenkens über Unterhaltung gibt es auch einen Mangel an diskursiver Vernetzung. Anders formuliert: Es gibt heute zwar zahlreiche Diskursorte, an denen mal mehr, mal weniger, mal episodisch, mal kontinuierlich über Unterhaltung nachgedacht wird, aber die einzelnen Diskurse wissen relativ wenig voneinander. Da es in der realen Welt sehr selten geschieht, dass sich Vertreter/-innen der Medienproduktion, der Medienkritik, der Medienaufsicht und der Wissenschaft gleichzeitig am selben Ort begegnen, sollte dieses Buch wenigstens ein virtueller Ort der Begegnung werden.” (8)
Natürlich interagieren die Beiträge nicht, aber ein erster Schritt der gemeinsamen Präsentation ist geschehen. Weitere Schritte werden alleine schon deshalb folgen, weil zahlreiche Medien- und Kommunikationswissenschaftler selbst reflektiert in der Medienpraxis und – wie Hallenberger – auch immer wieder im Akademischen per Vortrag oder Lehrauftrag agieren und von Wissenschaftlern Einblick auch in die Berufspraxis erwartet wird.2
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Gerd Hallenberger an der Hamburg Media School
- Private Homepage von Christoph Jacke
- Webpräsenz der AG “Populäre Kultur und Medien” der “Gesellschaft für Medienwissenschaft”
- Vgl. zum Überblick Jacke, Christoph (2009): “‘Rektales Reinigungserlebnis’. Unterhaltung und Medienkritik in Zeiten des latenten Als-ob”. In: Merten, Klaus (Hrsg.): Konstruktion von Kommunikation in der Mediengesellschaft. Festschrift für Joachim Westerbarkey. Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, 175-194. ↩
- Aus ähnlicher Motivation hat sich 2008 die AG Populärkultur und Medien in der Gesellschaft für Medienwissenschaft gegründet. ↩