Rezensiert von Michael Schaffrath
Christoph Bertling widmet sich einem Thema, das in der sportpublizistischen Literatur bisher nur rudimentär berücksichtigt wurde, womit der Arbeit ein gewisses Maß an Originalität zu attestieren ist. Die Relevanz der Fragestellung ist sicher gegeben, die zu ihrer Beantwortung gewählten theoretischen wie empirischen Herangehensweisen sind aber mit einigen Defiziten behaftet. Auffallend ist zunächst das eklatante Missverhältnis zwischen dem theoretischen Teil mit 219 Seiten und dem empirischen Part mit “nur” 43 Seiten. Zu Beginn wird der zentrale Begriff der “nichtfiktiven Unterhaltung” facettenreich und quellenmäßig gut verortet aufgearbeitet, um auf dieser Basis neue Begriffsbestimmungen zu entwickeln.Das im Kapitel “Hochleistungssport als Objekt nichtfiktiver Unterhaltungsproduktion in den Massenmedien” vorgestellte “Veränderungsmodell des Hochleistungssports” (76) ist wenig überzeugend. Zum einen fehlt der wichtige Bereich “Recht”, der seit Jahren – man denke z.B. an das Bosman-Urteil oder an kartellrechtliche Bestimmungen bezüglich der Vermarktung von Sportevents – einen erheblichen Einfluss auf den Spitzensport besitzt. Zum anderen erschließt sich bei der Vielzahl hier markierter Pfeile nicht, warum es z.B. keine Verbindungslinien zwischen den Systemen “Wirtschaft” und “Sport” oder zwischen “Wirtschaft” und “Medien” gibt. Die Ausführungen zur “Ökonomisierung” fokussieren zwar detailliert diverse staatliche Fördermittel zur Unterstützung des Spitzensports, unterbelichten aber den relevanteren Bereich privatwirtschaftlicher Finanzierungsvarianten.
Die “Ausrichtung des Deutschen Hochleistungssports als Unterhaltungsangebot für die Massenmedien” sowie seine “Darstellung in den Massenmedien” stellen eine systematische Aufarbeitung unterhaltungsorientierter Input- und Verwertungsstrategien dar. Im Kontext der “medialen Aufbereitung des Sports als Unterhaltungsangebot” wird über das Referieren vorliegender Befragungen die gestiegene Akzeptanz der Unterhaltungsfunktion bei Sportjournalisten nachgewiesen, woraus abgeleitet wird, “dass Sport im Sportressort in starkem Maßen im Modus der Unterhaltung dargestellt” werde (202, 205). Der Autor übersieht dabei, dass in der Kommunikationswissenschaft äußerst umstritten ist, welchen Einfluss Rollenselbstzuschreibungen auf die tatsächliche Medienberichterstattung besitzen. Innovativ erscheint das Analysemodell zur Produktion nichtfiktiver Unterhaltungsangebote in den Massenmedien. Dabei werden die Produktionsbereiche “Reported-Entertainment” und “Konzept-Enterainment” identifiziert, die sich zwar in ihren Produktionsmustern unterscheiden, aber über Push- und Pull-Mechanismen sinnvoll in Verbindung gebracht werden. Warum dieses Modell jedoch durch viele sportferne Beispiele exemplifiziert wird (beispielsweise Dschungelcamp oder Prominenten-Kochen), erschließt sich kaum.
Im zweigeteilten Empirieteil werden diese beiden Produktionsbereiche mit einer Zeitschriften- und einer TV-Analyse untersucht. In einer Längsschnittbetrachtung werden von den beiden Magazinen Bunte und Revue 678 Artikel ausgewertet. Die folgende Querschnittuntersuchung berücksichtigt noch zwei weitere Zeitschriften (Max und GQ), was die Analyse von zusätzlich 275 Artikeln nötig machte.
Ein wesentliches Problem der Zeitschriftenanalyse besteht darin, dass die zentrale Untersuchungseinheit “Artikel” nicht klar definiert wird und damit offen bleibt, ob z.B. ein vierseitiges Porträt genauso in diese Kategorie fällt wie eine 5-zeilige Kurzmeldung. Zudem fehlen operationale Definitionen der Begriffe “Leistungsbezug”, “private Bezüge”oder “positiver Tenor”. Ein Abdruck des Codebuches wäre notwendig gewesen.
Dies gilt auch für die TV-Analyse, bei der nicht das tatsächlich ausgestrahlte Programm untersucht wurde, sondern Sendeformate mit Sportbezug über Programmhefte, was als wenig geeignetes Instrumentarium für dieses Sujet angesehen wird. Bei acht TV-Sendern wurden 1.616 Formate mit Sportbezug erfasst. Die Wahl uneinheitlicher Untersuchungszeiträume (Zeitschriftenanalyse von 1983 bis 2003 vs. TV-Analyse 1984 bis 2006), unterschiedlicher Messabstände (Zeitschriftenanalyse im Intervall von 10 Jahren, TV-Analyse alle fünf Jahre) und verschiedener Untersuchungskriterien (Zeitschriftenanalyse von Artikeln aus sportfernen Ressorts vs. TV-Analyse von Sendungen mit Sportbezug) hätte erklärt werden müssen.
Da zudem nicht eindeutig nachvollziehbar ist, wie konkret was gemessen wurde, sind die gewonnenen Ergebnisse mit Zurückhaltung zu interpretieren. Dies gilt auch für einige im abschließenden Fazit formulierte Behauptungen: Dass potenzielle Einnahmequellen “in Millionenhöhe” ignoriert würden, dass durch die Kürzung “starker staatlicher Subventionen” die “Implosion des Sportssystems” drohe oder dass Athleten “ohne eine strategische kommunikative Ausrichtung eine lange erfolgreiche Karriere nicht mehr möglich” sei (267-270), wirken überdramatisierend. Ein auf 57 Seiten aufgeblähtes Literaturverzeichnis enthält eine Reihe Publikationen, bei denen der Bezug zum Thema kaum herstellbar ist. Ein stringenteres Lektorat hätte eine Vielzahl an unnötigen Redundanzen deutlich reduzieren können.
Der Nutzwert des Buches für die Wissenschaft ist aufgrund der vielen offenen Fragen im Empirieteil eingeschränkt. Der Nutzwert der Studie für die sportjournalistische Praxis dürfte gering sein, weil sich Journalisten mit verklausulierter Wissenschaftssprache wie zum Beispiel “Polysemie” (27), “molar” (30), “extradiegetischer Sound” (48), “Negentropie” (62), “laterale Integration” (72) oder “Hyperinklusion” (92) schwer tun.
Das Buch von Christoph Bertling fällt hinter die Qualität der sonst in der Reihe Sportkommunikation vom Herbert Halem Verlag veröffentlichten Publikationen um Einiges zurück.
Links
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Michael Schaffrath an der Universität München
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