Ralf Hohlfeld; Philipp Müller; Annekathrin Richter; Franziska Zacher (Hrsg.): Crossmedia

Einzelrezension
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Rezensiert von Ilona Wuschig

Einzelrezension
Ausgerechnet in Passau, einem Städtchen in geografischer Randlage, Medientage abzuhalten, klänge nach einem Widerspruch in sich – schreibt im Vorfeld Ralf Hohlfeld, Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikations- wissenschaften an der dortigen Universität, und Mitherausgeber des vorliegenden Sammelbands. Ein etwas schräger Einstieg in ein Buch, das den Titel Crossmedia trägt. Denn Crossmedia – das hat etwas mit Digitalisierung und Web, mit Computern und Netbooks, mit Smartphones und Tablets zu tun; mit all den netten Dingen, Gadgets und Devices (um im Slang der Kenner zu bleiben), die eines gemeinsam haben: Sie machen uns immer unabhängiger von dem Ort, an dem wir leben. Sie vernetzen New York und Berlin, genauso wie Potsdam, Peseckendorf, Pirmasens – und Passau.

Die “Speaker’s Corner” der Netzwelt-Zeit kann überall stehen. Die Frage ist, wie sich in der optimistisch “Noospähre” (nach griechisch nous, das Wissen) getauften Netzwelt alte Ideale, Ansprüche an die Medien und ihre Teile, wandeln – und wie sich dieser Wandel beeinflussen lässt. Doch – für den eiligen Leser sei es gleich gesagt: Der Erwerb des Bands lohnt sich; auch wenn die genannten Themen nur angerissen werden. Der Erwerb lohnt für Wissenschaftler und Studenten, für Praktiker und schlicht am Thema Interessierte.

Denn die gut 20 Aufsätze bieten erst einmal einen interessanten und ziemlich umfassenden Überblick über das, was unter dem Begriff Crossmedia so alles verstanden werden kann. Eine abschließende, alle zufriedenstellende Definition wird gar nicht erst versucht – und das ist auch gut so, denn Journalisten, Marketing- und Technikexperten belegen ihn je aus ihrer Profession heraus anders. Das macht nichts – so lange alle Beteiligten sich dessen bewusst sind und Begrifflichkeiten klären. Zum Beispiel kann die diskutierte “Konvergenz” meinen, dass ARD-Nachmittagssendungen verdächtiger Weise aussehen, als könnten sie auch bei RTL laufen. Oder es ist gemeint, dass Fernsehkonsum in der jüngeren Zielgruppe vermehrt über die Plattform “Rechner” läuft (was blöder Weise eine verlässliche Quotenmessung schwieriger macht). Beides ist richtig; nur eben für eine andere Spezialisierung.

Knapp die Hälfte der Aufsätze bietet einen eigenen Zugriff, interessante Fragestellungen, weiterführende Definitionsversuche, interessante Querschnitte. Mehr geht nicht in diesem wissenschaftlich wabernden Gebiet, im dem nur Eines sicher ist: Viele Sicherheiten… sind eben nicht mehr sicher! Zum Beispiel wandelt sich die Berufsrolle des Journalisten gerade vom Gate-Keeper zum Tourguide.

Das Einzige was hilft, ist sich diesem Wabern entschlossen und mit intellektuellem Spaß an evtl. auch schrägen Thesen zu stellen – und das versucht dies Buch höchst respektabel (etwas mehr Traute zur Schrägheit, z. B. mit Blick auf Richard David Prechts Medien-Thesen oder die interessanten Versuche (ausgerechnet!) des Oldie-Senders ZDF bei crossmedialen Sendungen und seinen Digitalablegern hätten den genannten Spaßfaktor bei mir noch erhöht). Da ich 25 Jahre als Fernsehjournalistin im Öffentlich-Rechtlichen gearbeitet habe und jetzt TV, Öffentlichkeit und Crossmedia unterrichte, greife ich einige Aufsätze heraus, die mich besonders interessierten.

Klaus Meier und Elfriede Fürsich wissen, dass Technik nur die Voraussetzung ist und mit einem schicken Newsroom allein nichts gewonnen. Ob Journalisten und Medien erfolgreich crossmedial agieren, hängt davon ab, dass man vom Thema her denken muss – und dass sie aufhören, dass Lokale zu unterschätzen. Gutes Denkfutter für Technikfreaks und Großjournalisten, die denken, dass Themen umso spannender werden, je weiter weg sie spielen.

Gabriele Goderbauer-Marchauer räumt mit der Vorstellung auf, dass Crossmedia gleichzusetzen sei mit journalistischem Ramsch, Schnelligkeit als Maßstab aller Dinge, und Medienarbeitern, die Alles ein bisschen, aber nichts wirklich können. “Eilerlegende Wollmilchsäue„ sind etwas ganz Anderes als Journalisten mit einem Verständnis für mehrere Medien.” Dazu passt der Beitrag von Holger Feist, Myriam Karsch und Julia Scheel. Ihr Credo: Quality never goes out of Style – oder: Kernkompetenzen werden eher noch wichtiger; und der Beitrag von Christian Jakubetz: Das “Cross” in Crossmedia heißt, über Kreuz denken und planen können. Er plädiert dafür, jeden in der Redaktion nach seinen Fähigkeiten einzusetzen: die jüngeren, netz-affinen Redakteure für alles Crosse, die Erfahrenen, die das neue Strukturieren als Herausforderung begreifen als (Neu-)Strukturierer, die Journalisten, die vermehrt Inhaltsmanagement machen wollen, eben genau dort, und die Hardcore-Rechercheure bringen die guten Geschichten, die andere crossmedial weiterdenken.

Malte Burdekat fragt, wie sich die eine gemeinsame Öffentlichkeit, in der eine demokratische verfasste Gesellschaft sich zusammendenkt, überhaupt noch schaffen lässt, wenn jeder sein persönliches Programm selbst zusammenstellt. Die guten alten “Push”-Medien, bei denen Redakteure klug Ausgewähltes dem Publikum rüberschoben, werden (notgedrungen bis begeistert) zu “Pull”-Medien, aus denen sich längst zum Nutzer evolutionierte Leser/Seher/Hörer das zu dem Zeitpunkt und in der Reihenfolge holt, das sie gerade interessiert.

“Crossmedia” ist, wie eingangs erwähnt, ein Begriff, an dem Journalisten und Medienwissenschaftler Anderes interessiert als Marketingexperten und Technik-Freaks. Der Band enthält Aufsätze, die “Crossmedia” von der technischen Seite her untersuchen (siehe oben – Tablets, Apps, etc.). Er enthält ebenso Aufsätze, die “Crossmedia” von der werblichen und Managementseite her untersuchen. Beide Arten waren für mich mehrheitlich informativ.
Nur drei Aufsätze frönen der Untugend des pseudointellektuellen Blähdeutsches. Eine gute Quote für einen Tagungsband. Sprachpapst Wolf Schneider wäre weitgehend zufrieden. Ich bin zufrieden.

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Über das BuchRalf Hohlfeld; Philipp Müller; Annekathrin Richter; Franziska Zacher (Hrsg.): Crossmedia. Wer bleibt auf der Strecke?. Reihe: PSK - Passauer Schriften zur Kommunikationswissenschaft, Band 1. Berlin [2010] LIT Verlag, 352 Seiten, 29,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseRalf Hohlfeld; Philipp Müller; Annekathrin Richter; Franziska Zacher (Hrsg.): Crossmedia. von Wuschig, Ilona in rezensionen:kommunikation:medien, 14. August 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/5549
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