Rezensiert von Harald Hillgärtner
Gleich im Vorwort dieser als Dissertationsschrift eingereichten Studie weist der Betreuer der Arbeit, Jens Schröter, darauf hin, womit es der Leser zu tun haben wird. Es handele sich nicht um einen Beitrag zu der in den Game Studies mitunter polemisch geführten Debatte um die Vorherrschaft eines ludologischen bzw. narratologischen Ansatzes und gerade deswegen um einen eminent wichtigen Beitrag zu den Game Studies. Nicht die “Verallgemeinerung” (Schröter), sondern die materialreiche Analyse stehe im Zentrum. Dies darf sicherlich als ein Versprechen verstanden werden, das zudem von Benjamin Beil hervorragend eingelöst wird. Dennoch bleibt nach der Lektüre der Monografie ein Rest an Unsicherheit, in welchem Kontext sich die Arbeit verorten lässt.Der Autor selbst gibt einleitend “Filmwissenschaft, Game Studies, Intermedialitätsforschung” in einer Absatzüberschrift vor, um diese drei Aspekte gegen Ende unter der gleichen Überschrift wieder aufzugreifen. Deutlich wird hier vor allem der hybride Charakter der Arbeit, da Beil entsprechend drei unterschiedliche Ergebnisse präsentiert. Im Bereich der Filmwissenschaft will er seine Studie als Beitrag zum “postmodernen/postklassischen” Film verstanden wissen, für die Game Studies hingegen sieht er einen Beitrag zum “Feld der Avatar-Theorien”, bezogen auf die Intermedialitätsforschung will er drittens zeigen, dass diese “als Analyse von Formentransfers betrieben werden kann” (260). So bleibt es mithin dem Erkenntnisinteresse des Lesers überlassen, welche der Perspektiven ihm als die fruchtbarste erscheint.
Davon abgesehen verfügt Beil jedoch vor allem über einen filmwissenschaftlich – oder besser: filmanalytisch – interessierten Blick, angereichert um eine auf hohem Niveau geführte Einordnung innerhalb der Intermedialitätsdebatte. Die Game Studies erscheinen demgegenüber etwas unterrepräsentiert. So werden zwar tatsächlich die einschlägigen Diskussionsbeiträge zum Status des Avatars (handelt es sich hierbei lediglich um eine werkzeughafte Extension der Spielenden oder kommt dem Avatar nicht gar eine größere, narrativ motivierte Eigenständigkeit zu?, wofür Beil optiert) aufgegriffen und teilweise kritisiert, der eingangs erwähnte ‘Flügelstreit’ zwischen den ‚Narratologen‘ und den ‚Ludologen‘ wird jedoch nicht eigens Thema. Dabei liefert der Autor doch gerade zu diesem Aspekt ein aus dem Material gewonnenes und hoch spannendes Ergebnis: Deutlich wird, dass der im Spiel erzählten Geschichte ebenso wie bereits den handelnden Charakteren bzw. Avataren eine große, die Spielmechanik nicht unwesentlich determinierende Eigenständigkeit zukommt. So ließe sich Benjamin Beils Arbeit in einem gewissen Rahmen als ein Korrektiv zu Jesper Juuls Half Real lesen. Hierin unternimmt Juul den Versuch, die gegenläufigen Positionen zu schlichten, degradiert jedoch – wie von einem ‘ausgewiesenen’ Ludologen nicht anders zu erwarten – die Narration eines Spiels zu einer Art ‘Hilfsfunktion’. Diese gebe in erster Linie ‘Hinweise’ (Cues) auf die zugrunde liegenden (Spiel-)Regeln und ersparen es so den Spielenden, sie zunächst erlernen zu müssen.
Mit Rolf F. Nohr ließe sich formulieren, dass die Narration die Regeln ‘naturalisiert’. Sie erscheinen qua erzählter Geschichte dem Spiel immanent und daher – vermittelt über die Handlung – als ‘evident’. Beide Ansätze werden, neben anderen, von Beil kurz aufgegriffen, sie führen jedoch nicht zu einer breiteren Einbettung in die Game Studies. So findet sich zwar generell eine beeindruckend umfassende theoretische Basis, doch auch hier müsste nach den drei in der Arbeit verhandelten Diskursen differenziert werden.
Nun ist bisher wenig zum eigentlichen Fokus der Arbeit gesagt, die das Potenzial hat, eine Klammer für die divergierenden Ansätze zu bilden. Wie bereits der Titel vermuten lässt, steht eine bestimmte Figurenperspektive im Zentrum der Analyse: die “First Person Perspective”. Im Bereich der Computerspiele ist sie vor allem im Genre der ‘Shooter’ verbreitet bzw. ist dort prägendes Merkmal des Untergenres der ‘Ego-Shooter’ mit der korrespondierenden Funktionslogik des Zielen und Schießens. Doch auch im Spielfilm finden sich historische, vor allem aber eine ganze Reihe von aktuellen Beispielen, was den Rückschluss zuließe, dass sich der Film am Dispositiv der Computerspiele zu orientieren scheint. Auch wenn eine solche Diagnose sicherlich nicht falsch ist, so ist es doch die besondere Stärke von Beils Studie, dass sie nicht bereits an dieser Stelle halt macht, sondern die unterschiedlichen “Funktionslogiken” dieses formalen Merkmals auf Basis einer imposanten Vielzahl von Beispielen untersucht. Dabei stellt sich schnell heraus, dass diese Parallelität zwischen Spiel und Film häufig trügerisch ist. Vielmehr ist der durch den ‘Point of View’ erzielte Effekt je unterschiedlich zu bewerten. Dies resultiert gar darin, dass das umfangreiche und ansonsten ebenso blendend verfasste wie höchst informative Analysekapitel in film- und gamespezifische Abschnitte auseinander zu brechen droht. Wenn auch die dahinter liegende Systematik gerechtfertigt erscheint, so leidet doch die Prägnanz der Darstellung am Versuch der abschnittsweisen Gegenüberstellung von Film und Spiel.
Dennoch bezieht die Arbeit ihre Originalität gerade aus ihrer Konzentration auf die Formanalyse der “First Person Perspective”, die allererst einen Gewinn bringenden Vergleich zwischen Film und Spiel erlaubt, ohne dabei vorschnell Identitäten zu behaupten oder eine kategorische Unvereinbarkeit der Medien zu proklamieren. Insofern findet sie zweifellos ihren Platz sowohl in der Film- als auch in der Medienwissenschaft.
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Über das BuchBenjamin Beil: First Person Perspectives - Point of View und figurenzentrierte Erzählformen im Film und im Computerspiel. Reihe: Medien'welten. Braunschweiger Schriften zur Medienkultur, Band 14. Münster, Berlin [LIT Verlag] 2010, 336 Seiten, 29,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseBenjamin Beil: First Person Perspectives. von Hillgärtner, Harald in rezensionen:kommunikation:medien, 11. Juni 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/4304