Rezensiert von Oliver Fahle
Film ist längst nicht mehr nur analog, sondern auch digital. Diese Behauptung wird in den letzten Jahren mit ihren Auswirkungen auf Herstellung, Verbreitung und Ästhetik des Films zunehmend diskutiert. Im Zentrum stehen dabei vor allem die Produktionen Hollywoods, die diesen Prozess spektakulär, oft mit Verweis auf die neuesten technischen Möglichkeiten, ausstellen und vermarkten. Die Konzentration der Arbeit Mathias J. Ringlers gilt der Digitalisierung Hollywoods und hier besonders der Rolle von Industrial Light & Magic (ILM), des Post Houses (Firmen, die sich auf digitale Effekte spezialisiert haben) von Georg Lucas, das als Wegbereiter der Digitalisierung untersucht wird. Ziel des Autors ist es dabei “zu klären, unter welchen historisch-ökonomischen Bedingungen die Digitalisierung entstehen konnte und ihre Auswirkungen auf die Filmindustrie Hollywoods zu analysieren” (13).Methodisch orientiert sich Ringler an den inzwischen hinlänglich bekannten Initiatoren der “New Film History” Robert C. Allen und Douglas Gomery, die 1993 in Film History. Theory and Practice eine vermeintlich neue Orientierung der Filmgeschichte gefordert hatten, die nicht mehr einzelne Bereiche wie Ästhetik, Ökonomie und Technik isoliert voneinander betrachten sollte, sondern in ihrer wechselseitigen Bedingtheit und Interaktion. Insofern liegt es nahe, auch das Aufkommen der Digitalisierung als einen Prozess zu analysieren, der nicht nur technisch zu begründen ist, sondern Auswirkungen auf Ökonomie und Ästhetik hat oder von diesen selbst erst ermöglicht wird.
So einleuchtend die Arbeit mit dieser Trias klingt, so sehr liegen die Probleme in den Details der Ausführung. Zwei Gefahren sind stets präsent. Die erste besteht darin, den Bereich der Ästhetik so weit auf technische Aspekte zu reduzieren, dass von ihr als Analysegegenstand nicht mehr viel übrig bleibt. Die zweite liegt darin, innerhalb dieser Trias doch wieder ein Element vorrangig zu behandeln und die anderen diesem nachzuordnen. Der ersten Gefahr ist sich Ringler bewusst, wenn er von vornherein, den eigentlich zentralen Bereich der Ästhetik, den “kunsthistorischen oder philosophischen Begriff der Ästhetik” (19) aus seiner Untersuchung ausklammert, “da es hier den filmhistorischen bzw. wirtschaftlichen Kontext, der dem Zuschauer zumeist verborgen bleibt, zu untersuchen gilt” (19).
Der zweiten Gefahr, am Ende doch wieder die Filmgeschichte aus vorrangig ökonomischen Entwicklungen heraus zu erklären, was zugleich die Position der New Film History unterlaufen würde, scheint sich der Autor nicht in gleicher Weise bewusst zu sein. So stellt der Autor fest: “Bevor ein Kino Filme digital vorführen kann, gilt es wie so oft zunächst die finanziellen Aspekte zu betrachten, bevor man sich den dependenziellen Bereichen der Technik- und Ästhetikgeschichte widmet.” (125) Diese theoretischen Probleme entstehen, wenn die immanenten Widersprüche, die bei Allen und Gomery angelegt sind, nicht selbst einer sorgfältigen Reflexion unterzogen werden, sondern deren Theorie einfach angewendet wird, obwohl sie sich gerade diesen ‘Anwendungen’ entzieht.
Eine Ergänzung durch andere Theorien, etwa Brian Winstons Media Technology and Society. From the Telegraph to the Internet (Routledge, Chapman & Hall 1998), die ein komplexes Modell der Etablierung neuer Technologien entwirft (einschließlich der Möglichkeit ihres Scheiterns), wäre hilfreich, um die Durchsetzung der Digitalisierung im Film zu beschreiben. Auch ist die Argumentation des Autors nicht frei vom eigentlich überwundenen und durch neuere Filmhistoriographien strikt zurückgewiesenem Fortschrittsglauben: “Der Digitalisierungsprozess ist hier das ideale Beispiel”, schreibt Ringler, “da er in sämtlichen Bereichen der Trias den Motor hin zu einer fortschrittlicheren Filmindustrie darstellt.” (109). Und dies obwohl er an anderer Stelle feststellt, dass gerade die gegenwärtige Digitalisierung durch “spektakuläre Effekte besticht, nicht jedoch durch die Story” (113). Ein wesentlicher Aspekt der Ästhetik ist dann wohl doch nicht so fortschrittlich wie zunächst angegeben.
Ungeachtet dieser Inkohärenzen und des wackligen theoretischen Fundaments ist das Buch als Abhandlung über die Etablierung der Digitalisierung, die in den frühen 1970er Jahren mit den Arbeiten von Lucasfilm und ILM begann, dennoch lesenswert, da es eine gute Übersicht über die einzelnen Schritte der Erschließung der digitalen Filmkultur durch Hollywood bietet. Das Verdienst liegt vor allem darin, die Digitalisierung als vielfältigen und inhomogenen Prozess darzustellen, der angefangen von digitaler Nachbearbeitung des Films über die visuelle ‘Klonung’ von Schauspielern bis zur Rezeption durch DVD und Blue-Ray völlig unterschiedliche Bereiche umfasst. Es stellt dabei einen gelungenen Aufriss aktueller Probleme vor, dessen theoretische Bewältigung allerdings noch aussteht.
Links:
Über das BuchMathias J. Ringler: Die Digitalisierung Hollywoods. Zu Kohärenz von Ökonomie, Technik- und Ästhetikgeschichte und der Rolle von Industrial Light & Magic. Konstanz [UVK] 2009, 188 Seiten, 24,- Euro.Empfohlene ZitierweiseMathias J. Ringler: Die Digitalisierung Hollywoods. von Fahle, Oliver in rezensionen:kommunikation:medien, 14. Oktober 2010, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/2599