Rezensiert von Hans-Jörg Trenz
Im deutschen Verlagswesen finden sich neuerdings auffallend viele Veröffentlichungen studentischer Qualifikationsarbeiten, die, wie im vorliegenden Fall, als wissenschaftliche Beiträge angepriesen werden, ohne auf die Eigenart dieser Publikationen hinzuweisen. Dabei muss Kalkulation unterstellt werden. Verleger rechnen mit der Vielzahl von Neuerscheinungen und nicht mit der Auflage. Für die Autoren bietet sich die Möglichkeit, gute Examensnoten mit einer Buchpublikation zu verbinden und vielleicht auch noch über Google und Amazon öffentlich sichtbar zu werden. Die Investition in Druckkostenzuschüsse mag sich dann auch für eine außeruniversitäre Karriereplanung schon einmal auszahlen. Lediglich die akademische Gemeinschaft kann von dieser Aufblähung des wissenschaftlichen Buchmarkts kaum profitieren und auch die Bibliotheken sind oftmals die Verlierer, wenn sie als potentielle Käufer ihre begrenzten Budgets für die Anschaffung dieser Werke zur Verfügung stellen.Über diese kleine, eigenständige von Ellen Dietzsch vorgelegte Studie sei deshalb nur so viel gesagt, dass sie den Qualifikationskriterien einer Masterarbeit vollauf genügt. Die Arbeit ist von ihren Prüfern offensichtlich wohlwollend aufgenommen worden, und dieses Urteil soll hier auch gar nicht erst in Frage gestellt werden. Der Autorin ist Sorgfalt und Fleiß in der Abfassung ihrer Studie zu bescheinigen und das anspruchsvolle Forschungsdesign zeugt von einem ernsthaften wissenschaftlichen Bemühen. Auch das Thema der Arbeit ist ansprechend.
Die Massenmedien haben für die Politikvermittlung und Generierung von Legitimität des europäischen Integrationsprozesses an Bedeutung gewonnen. Insbesondere in der Ratifizierung des europäischen Verfassungsvertrags sind die Wirkungszusamenhänge und Dynamiken massenmedialer Öffentlichkeit in Erscheinung getreten. Frankreich und Deutschland bieten sich dabei als Vergleichsstudien an, um unterschiedliche an institutionelle Gelegenheitsstrukturen und Verfahren (Referendum und parlamentarische Ratifizierung) geknüpfte Dynamiken der medialen Vermittlung aufzuzeigen. Die Autorin stützt dabei ihre Bewertung der Berichterstattung auf ein breites Set von Qualitätskriterien medialer Politikvermittlung (Informationsmenge, Relevanz, Vielfalt, Ausgewogenheit, Abgrenzung journalistischer Meinungsbildung), die an den Prozess der Europäisierung angepasst werden. Damit kann auf das begrenzte Potential der Massenmedien in der Förderung einer europäischen Demokratie und als Katalysator einer europäischen Öffentlichkeit verwiesen werden.
Der Anspruch der Autorin, mit dieser Studie ein Forschungsdefizit aufzugreifen und wichtige Impulse für die vergleichende Medienforschung zu geben, sollte allerdings in wichtigen Punkten relativiert werden. Die Frage nach den Möglichkeitsbedingungen von Öffentlichkeit jenseits des Nationalstaats ist sehr wohl in einer Reihe von Vergleichsstudien behandelt worden, an welche die vorliegende Studie weder konzeptionell noch methodologisch heranreichen kann. Der Umstand, dass sich das Thema nun wachsender Beliebtheit in Masterarbeiten erfreuen darf, zeugt von der Existenz einer soliden Forschungsbasis, die auch in der Lehre zugrundegelegt werden kann. Gerade das Thema der Europäisierung politischer Nachrichtenberichterstattung ist erschöpfend behandelt worden und in der Tat kann die Autorin dem Stand der Forschung kaum neue Erkenntnisse hinzufügen. Hier liegen dann auch die Defizite der Arbeit begründet. Es zeigt sich, dass auch qualifizierte Masterarbeiten eben nur bedingt als wissenschaftliche Publikationen gelten können und auch für eine allgemeine Leserschaft nur schwer zugänglich sind.
Die Ambition der Autorin, einen eigenständigen wissenschaftlichen Beitrag zu leisten, wird durch die notwendiger Weise geringe Reichweite der Studie ausgebremst. Die Diskrepanz zwischen dem anspruchsvollen methodologischen Design der Studie und der geringen Ernte an explikativen Aussagen und theoretischer Erkenntnis ist überdeutlich. Eine sechswöchige Erhebung von Qualitätszeitungen schafft keine solide empirische Grundlage, um die Vergleichbarbeit und Verallgemeinbarkeit der Befunde begründen zu können. Leider ist auch der Forschungsstand nur unzureichend wiedergegeben. Gerade wichtige Vergleichsstudien zum Thema der Europäisierung der Nachrichtenberichterstattung und der massenmedialen Vermittlung des europäischen Verfassungsgebungsprozesses werden nicht rezipiert und überhaupt bleibt die aktuelle Literatur in dieser im Jahre 2009 publizierten Arbeit weitgehend unberücksichtigt. Eine Kontextualisierung der Befunde ist deshalb schwierig, und die Arbeit ist für das wissenschaftliche Fachpublikum nur von geringem Interesse.
Links:
Über das BuchEllen Dietzsch: Europas Verfassung und die Medien. Deutschland und Frankreich im Vergleich. Marburg [Tectum Verlag] 2009, 180 Seiten, 24,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseEllen Dietzsch: Europas Verfassung und die Medien. von Trenz, Hans-Jörg in rezensionen:kommunikation:medien, 29. März 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/2406