Rezensiert von Stefan Schenk-Haupt
Der Band Future Worlds ist entstanden als Begleitbuch zur Ausstellung “Things to Come” (2016) des Museums für Film und Fernsehen sowie des Einstein Forums. Zur Vorbereitung der Beiträge wurde im Vorfeld ein Symposium abgehalten. Während sich die Ausstellung ganz allgemein um Zukunftsentwürfe sowohl aus dem künstlerischen Bereich als auch aus den Natur- und Sozialwissenschaften drehte, bleibt das Buch “aus pragmatischen Gründen“, wie die Herausgeber sagen, auf Darstellungen “im filmtheoretischen Bereich“ beschränkt (11).Doch geht es in den Beiträgen nicht so sehr um Filmtheorie oder um Filmanalyse, sondern um die Produktionsumstände und die Bewerkstelligung von Zukunftsvisionen in Film und Fernsehen. An die Stelle des Entwurfs von Zukunft tritt mithin der Entwurf der Inszenierung von Zukunft im Medium Film. Dass dem im vorliegenden Band so ist, nimmt sich eher als ein glücklicher Zufall aus: Der Fokus auf das Moment der Inszenierung wird nirgendwo explizit zum Ausdruck gebracht. Glücklich ist dies, da dem Band dadurch eine größere Geschlossenheit zuteil wird, die Sammelbände bekanntlich nicht oft erreichen. Auch im vorliegenden Buch gibt es einige Beiträge, die etwas aus der Reihe tanzen, doch dem Buch kommt es zugute, dass es sich von der zu begeleitenden Ausstellung lösen und so eigene Schwerpunkte setzen kann.
Die vier Herausgeber haben neun Beiträge zusammengestellt, die sich grob in zwei Sektionen gliedern. Die ersten vier Beiträge beschäftigen sich mit dystopischen und utopischen Darstellungen der filmischen Science Fiction. Die anderen fünf setzen den Schwerpunkt jeweils programmatisch auf nationale Ausprägungen bezüglich der Produktion von Beiträgen zur Science Fiction. Dies sind in Reihenfolge der Beiträge historische Perspektiven auf die Erträge im deutschen, sowjetischen, schwedischen, afrikanischen und chinesischen Kulturbereich.
Die Klammer zwischen den beiden Sektionen des Bandes bildet der Beitrag von Andreas Rauscher zu Star Wars und Star Trek. Obwohl der Beitrag als solcher einen “transmedialen Vergleich“ (50) vornimmt, bildet er gewissermaßen die Brücke zwischen den utopischen Zukunftsentwürfen (hier mit dem Beispiel Star Trek) und den nationalen Perspektiven, da mit Star Wars eines der einflußreichsten Franchises der US-amerikanischen Science Fiction exemplarisch herangezogen wird. Eine sinnvolle Darstellung der umfangreichen und vielschichtigen Science Fiction in US-Amerika im Rahmen eines Einzelbeitrags wäre ohnehin nicht zu bewerkstelligen gewesen.
Der Beitrag von Rauscher ist jedoch derjenige, der sich am wenigsten in das Ensemble einfügt. Die Beschäftigung mit dem Utopischen bleibt stark begrenzt, da aufgrund der Themenstellung des Beitrags der Vergleich zwischen den Franchises naturgemäß den meisten Platz für sich beansprucht. Darüber hinaus können die beiden Franchises trotz ihres jeweiligen Gewichts kaum die US-amerikanische Science Fiction als solche repräsentieren. Von seinem Gehalt fällt der Vergleich, den Rauscher im übrigen nicht zum ersten Mal vornimmt, hinter andere Beiträge von ihm zurück. (Vgl. etwa die Beiträge zum Reclam-Band Science Fiction der Reihe Filmgenres.)
Ganz grundsätzlich darf man aber behaupten, dass es den Herausgebern nicht darum geht, Problembereiche der akademischen Forschung zu lancieren. Die Beiträge verstehen sich durchweg als kritische Aufarbeitungen zu aktuellen und historischen Vorgängen im populärkulturellen Bereich filmvisueller Zukunftsdarstellungen. Als solche fallen sie durchweg anregend aus, so etwa die Darstellung der komplizierten produktionstechnischen Verschränkungen im Disney-Film Tomorrowland (2015, Regie Brad Bird, dt. vertrieben unter dem Titel A World Beyond). Dieser basiert wie das populäre Franchise Pirates of the Caribbean (USA 2003-) auf einem Themenpark. Ebenso aufschlussreich, um ein zweites Beispiel zu nennen, sind Harald Hamrells Ausführungen zu der von ihm gestalteten schwedischen SF-Serie Real Humans (2012-2014).
Im Bereich der Erörterungen zu den nationalen Ausprägungen der Zukunftsdarstellung im Film ist neben Mingwei Songs Erörterung des chinesischen SF-Kinos auf den konzisen Artikel zum Afrofuturismus von Ytasha L. Womack eigens hinzuweisen. In der Sowjetunion konnten sich hingegen keine überzeugenden Beiträge zur filmischen Science Fiction entwickeln. Matthias Schwartz macht in seinem besonders kritischen Beitrag bürokratische Probleme und insbesondere künstlerische Vorbehalte seitens der Regisseure dafür verantwortlich. Der bedeutende Beitrag Solaris (1972, Regie A. Tarkowski) bildet die sprichwörtliche Ausnahme von der Regel. Die Russen waren maßgeblich an der praktischen Umsetzung von Zukunftsvisionen beteiligt, an der überzeugenden Inszenierung von Zukunftsvisionen sind sie – Schwartz’ Bilanz zufolge – nahezu durchweg gescheitert.
In diesem Zusammenhang fällt übrigens das Fehlen der französischen, japanischen und auch der britischen Science Fiction letzten Endes schmerzlich auf. Dies gilt um so mehr als die Beiträge zu Utopie und Dystopie mit wenig Neuem aufwarten und erwartungsgemäß im soziologischen Bereich Akzente setzen. Darüber hinaus scheint in jenen Beiträgen immer wieder ein Grundproblem des ambitionierten Zukunftsentwurfs im fiktionalen Rahmen durch, welches allerdings nicht in wünschenswerter Weise weiterverfolgt wird: Je komplexer und weitreichender das Design der Vision ausfällt, desto stärker muß auf der Seite des Plots, der Charakterisierung und der Dialoge ‘gespart‘ werden.
Gute Science Fiction ist rar – das gilt mehr noch für die Literatur im Speziellen als für andere mediale Umsetzungen. Um vom Design nicht zu sehr abzulenken und um genügend Freiraum zur Ausgestaltung des vom Alltäglichen und Gegenwärtigen Abweichenden zu erlangen, ziehen sich Autoren und Scriptwriter nur zu gerne und oftmals gezwungenermaßen auf stereotype Handlungs- und Charakterisierungsmuster zurück. Nicht nur Real Humans scheitert letzten Endes (als Format einer auf Fortsetzung angelegten Serie) am mediokren, seifenopernartigen Script der letzten Folgen schon der ersten Staffel. Auch Beiträge aus anderen phantastischen Genres kämpfen mit derlei gearteten Problemen: Was anderes ist etwa Game of Thrones (USA 2011 –) als die Fantasyversion der in den achtziger Jahren so überaus populären Formate Dallas (USA 1978-1991) und Dynasty (USA 1981-1989, dt. Der Denver-Clan)?
Literatur:
- Rauscher, Andreas. “Star Trek.“ In: Koebner, Thomas. (Hg.) 2003. Science Fiction. (Filmklassiker.) Stuttgart: Reclam. Aktualisierte Auflage, 2007. S. 356-372.
- Rauscher, Andreas. “Star Wars.“ In: Koebner, Thomas. (Hg.) 2003. Science Fiction. (Filmklassiker.) Stuttgart: Reclam. Aktualisierte Auflage, 2007. S. 300-323.
Links:
Über das BuchKristina Jaspers, Nils Warnecke, Gerlinde Waz, Rüdiger Zill (Hrsg.): Future Worlds. Science - Fiction - Film. Berlin [Bertz + Fischer] 2017, 144 Seiten, 16,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseKristina Jaspers, Nils Warnecke, Gerlinde Waz, Rüdiger Zill (Hrsg.): Future Worlds. von Schenk-Haupt, Stefan in rezensionen:kommunikation:medien, 5. Oktober 2017, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/20663