Rezensiert von Anne-Kristin Langner
Medien lassen sich nicht hinreichend ohne ihren spezifischen Kontext analysieren. Denn eine vollumfassende Definition des Begriffs Medium an sich bleibt ein utopisches Ziel, wie verschiedene Herangehensweisen verdeutlichen: So kann ein Medium als Vermittler verstanden werden, der etwas wahrnehmbar macht. Der Medienbegriff kann aber auch auf Phänomene wie Luft oder Licht angewendet werden. Ein Medium verstanden als Kulturtechnik hat hingegen technisch-apparativen Charakter. Ausgehend von dieser Annahme sowie dem Zweifel daran, dass eine „vollständige Analyse eines einzelnen medialen Produkts“ (S. 11) möglich sei, treffen die Herausgeber für die Methodik ihrer Studie Playing in-between (2016) eine klare Entscheidung: die Betrachtung intermedialer Beziehungen zwischen Computerspielen und anderen Medien. So untersucht etwa Kevin Pauliks anhand von South Park und The Walking Dead, was Computerspiel und Fernsehserie in der Zeitlichkeit von Tod und Sterben gemeinsam haben (S. 16-44), während Thomas Bendels die transmediale Inszenierung des Krieges zwischen Videospiel und Musikvideo beleuchtet (S. 45-75).Als medientheoretische Grundlage dienen den Betrachtungen die Ansätze der „Intermedialität nach Rajewsky, die Remediation nach Bolter und Grusin sowie die Beschreibung von Transmedia Storytelling nach Jenkins“ (S. 11). Die Autoren nehmen dabei eine doppelte Perspektive ein und verbinden ihre konkrete Nutzungs- und Laborpraxis mit wissenschaftlicher Methode (S. 12). Der Gegenstand Computerspiel dient dazu, den heterogenen Diskurs zur Intermedialität sichtbar zu machen und anzureichern.
Diese Verbindung von Theorie und Praxis als methodische Basis birgt Chancen und Risiken gleichermaßen. Der Sammelband bietet jedoch spannende Grenzgänge. Exemplarisch ist der Beitrag von Sebastian Standke zu nennen (S. 76-95). In seinem Text widmet er sich der Remediation von Bürokratie am Beispiel des Computerspiels Papers, Please. Remediation bezeichnet die Übernahme eines Mediums in ein anderes. In diesem Fall stellt der Autor überzeugend dar, wie es Papers, Please „als digitales Spiel schafft, die Medialität von Bürokratie als solcher für sich zu vereinnahmen“ (S. 77). Dazu macht Standke drei argumentative Schritte: Bürokratie kann als Medium definiert werden, da ihr der Akt eines Vermittlungsvorgangs zu eigen ist. Zweitens basiert eine erfolgreiche Remediation auf der Medialitätslogik des Ausgangsmediums. Und letztlich ist diese Eingliederung innerhalb digitaler Spiele von Aktionen gekennzeichnet, wobei sich der Autor auf Essays von Alexander Galloway (2006) bezieht. Darüber hinaus zeigt Standkes Analyse, dass die Spielmechaniken eines Computerspiels und bürokratische Vorgänge viel gemeinsam haben, z. B. eine klare Regelgebundenheit.
Der Frage, wie verschiedene Genres im Computerspiel remediatisiert werden, gehen drei Texte nach: Bei Bernhard Runzheimer sind es Abenteuer-Spielbücher und Pen&Paper-Rollenspiele (S. 96-119). Während hier eine Störung lediglich durch die Autoren möglich ist, kann bei Computerspielen ein Bruch in der Softwarelogik den Spielfluss beeinträchtigen. Ebenso sind Rollenspiele die Basis im Beitrag von Daniel Heck, wenn er nachvollzieht, wie in einem Computerspiel ein Buch remediatisiert werden kann (S. 120-134). Sabrina Strecker erläutert schließlich, wie das Filmgenre Western in Open-World-Videospielen zum Einsatz kommt (S. 135-157). Sie stellt allerdings selbst fest, dass solche Gattungen schnell zu analytischen Grenzen führen. Denn während die Genreklassifizierung im Film häufig auch auf thematischer Ebene stattfindet, ist bei Videospielen „das Gameplay ausschlaggebendes Moment“ (S. 136). Und ist es bei Computerspielen nicht oft der Genremix, der dieses Medium kennzeichnet?
Zielführender erscheinen diejenigen Texte, die sich tiefenanalytisch nur auf ein Beispiel mit zugehörigen Spezifika beziehen, anstatt eine quantitative Streuung von gleichen Verweis- und Referenzbeziehungen anhand verschiedener Beispiele aufzuzeigen. Die gewählte Methodik ermöglicht eben genau diese Fokussierung. Stefan Simond widmet sich in seinem Text dem Webvideo-Format Let’s Play (S. 177-207), in dem Computerspieler ihr Spielerlebnis durch Videoaufzeichnung mit anderen Nutzern teilen. Dabei geht der Autor der Frage nach, ob die so genannte Interpassivitätstheorie auch für dieses Format gültig ist. Die Theorie besagt u.a., dass Handlungen an andere delegiert werden. Was bei Games mit ihrem interaktiven Anspruch nicht möglich ist, ist bei Let’s Plays unter Umständen sogar der wichtigste Genussfaktor.
Felix Liedel befasst sich auf Grundlage des Shooters Max Payne mit der „Bewertung des künstlerischen Potenzials von Computerspielen“ (S. 173). Ob Computerspiele – und dabei insbesondere die Ästhetisierung von Gewalt – als künstlerisch aufgefasst werden, ist Bestandteil eines gesellschaftlichen Diskurses (siehe dazu die Rezension zum Bildband The Art of Video Games). Dieser ändert sich je nach Zeit und abhängig davon, ob die Verwendung von Stilmitteln anderer Medien (wie Film und Comic) in Spielen als Verfremdungseffekt oder als sozial-ethisch fragwürdig eingestuft wird.
Insgesamt zeichnen sich die Texte in diesem Sammelband besonders durch ihre Nähe zu den jeweiligen Gegenständen aus. Die wissenschaftliche Anknüpfung hat bisweilen eher experimentellen Charakter: Von den Spielen ausgehend prüfen die Autoren, ob und inwieweit Theorien aus den verschiedensten Disziplinen dazu passen. Gerade das ist aber auch kennzeichnend für das Konzept der Publikation, die mit inter-, trans- und crossmedialen Verweisen Optionen für Diskussion und Weiterdenken bieten will. Die induktive Herangehensweise lässt den Leser am argumentativen Prozess teilhaben, speziell bei den rezeptionsnahen Texten von Stefan Simond und Felix Liedel. Ein lesenswertes Werk, das sowohl den Computerspiel- als auch den Intermedialitätsdiskurs bereichern kann. Die Autoren regen zu einem genauen Blick an, an welchen Stellen und in welcher Form die betrachteten Medien miteinander in Beziehung stehen, anstatt Computerspiele als das Tool zur Untersuchung von medialen Erfahrungen zu definieren.
Literatur:
- Galloway, Alexander R.: Gaming. Essays on Algorithmic Culture. Minneapolis/London [University of Minnesota Press] 2006
Links:
Über das BuchThomas Bendels, Bernhard Runzheimer, Sabrina Strecker (Hrsg.): Playing in-between. Intermediale Aspekte zeitgenössischer Computerspielpraxis. Glückstadt [Verlag Werner Hülsbusch] 2016, 218 Seiten, 25,40 Euro.Empfohlene ZitierweiseThomas Bendels, Bernhard Runzheimer, Sabrina Strecker (Hrsg.): Playing in-between. von Langner, Anne-Kristin in rezensionen:kommunikation:medien, 24. November 2016, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/19618