Rezensiert von Hans-Dieter Kübler
Zu den populärsten Kommunikationsformen der digitalen Gesellschaft gehören der Shitstorm und das Bashing. Bashing ist öffentliche Diffamierung, fokussiert sich gegenwärtig gern auf den Google-Konzern und geht so: Google ist die lukrative Profitmaschine des teuersten Internetkonzerns und unersättliche Datenkrake, die die Suche mit geheimen Algorithmen zu ihren Gunsten manipuliert, die Privatsphäre kassiert, die Persönlichkeitsrechte unterläuft, mit Geheimdiensten kungelt, das Werbegeschäft durch Datenverkauf ständig individualistischer und damit effizienter macht sowie die Geschäftsmodelle von Verlagen und Journalismus schleift. Andererseits ist Google aber auch hybride Ideenschmiede mit innovativen Projekten, deren Folgen allerdings unkalkulierbar sind. Ein unheimlicher Konzern, immer noch von den Gründern gesteuert, mit humanen Ambitionen, aber gänzlich verborgenem Geschäftsgebaren, der neue Formen des digitalen, anonymen und neoliberalen Kapitalismus durchsetzt, Macht über die ganze Welt beansprucht und sie nach seinen Strategien gestalten will (vgl. S. 269f.).Mit diesen Worten geißeln Kritiker, erklärte Kulturpessimisten ebenso wie US-Wettbewerbsbehörden, europäische Politiker und Verlagschefs bis zum Europäischen Gerichtshof das Unternehmen bzw. seine 2015 gegründete Holding Alphabet Inc., wie Wirtschaftskorrespondent Thomas Schulz in den letzten Kapiteln seines populären ‘Spiegel-Buches’ den anhaltenden „Kulturkampf“ (S. 286) schildert.
Immerhin befasst er sich damit. Denn Google – so seine durchgängige Gegenrede – habe längst verstanden, sei nicht mehr arrogant oder naiv abwehrend, suche den Dialog, weil Google gemocht werden wolle (vgl. S. 307). Und da das Kerngeschäft stagniere oder gar schrumpfe, mindestens in absehbarer Zeit, werde es auf Dauer wohl nichts mit der jahrzehntelangen monopolen Übermacht. Und überhaupt: Viele der Vorwürfe würden stellvertretend gegen Google vorgebracht, betont Schulz, richteten sie sich doch eigentlich gegen die Digitalisierung als ganze, die vorrangig von US-Konzernen wie Apple, Facebook, Microsoft und Amazon vorangetrieben werde und Zukunftsängste schüre. Sie müssten politisch entschieden werden, wofür es breiter gesellschaftlicher Debatten und Mehrheiten und ungewohnter Konzepte bedürfe. Dafür habe man die Google-Protagonisten an der Seite. Denn sie seien maßgeblich Ingenieure, die sich beharrlich dem Fortschritt durch Technologie widmen und von dem Glauben beseelt sind, „an etwas Besonderem, Weltbewegendem, ,Coolem‘“ zu arbeiten (S. 324). Das Sammeln, Ordnen, Aufbereiten und Verkaufen von Daten, mit dem sich das viele Geld verdienen lässt, sei letztlich nur noch Mittel zum größeren Zweck, nämlich zur Optimierung des Lebens und Verbesserung der Welt.
Dieses technokratische, zweckoptimistische Credo (Google-Motto: „Don’t be evil“) hat es Schulz angetan; es durchzieht trotz kritischer Hinweise die gesamte Darstellung, so dass die üblich großspurigen Werbeankündigungen für sein Buch – „exklusive Einblicke in den mächtigsten Konzern der Welt“ – davor verblassen. Ob der Autor dabei den geschickten PR-Strategien – er durfte, wie er eingangs betont, Dutzende von Google-Protagonisten interviewen, was sonst fast nie erlaubt werde – verfiel oder selbst von der Mission und der Betriebskultur Googles nachhaltig überzeugt ist, sei dahingestellt. Jedenfalls charakterisiert er in bewährter Spiegel-Personalisierung und im flotten, angenehm zu lesenden Duktus zunächst die jeweils für die Entwicklung und die Projekte Verantwortlichen, darunter viele deutschstämmige. Im Anschluss charakterisiert der 43-Jährige die meist als genial, mindestens außergewöhnlich beurteilten Ideen und ihre operative Umsetzung (die nicht selten misslingt). Ohne Frage erfährt man dabei viel Neues und Spannendes, bekommt Einblicke in technische und naturwissenschaftliche Experimente, auch in kühn angelegte Visionen, die bei Google erdacht und erprobt werden – ohne freilich ihre Substanz und empirische Realität überprüfen zu können. Denn Quellen gibt der Autor überhaupt keine an. Allerdings werden die vielfach angekündigten „Einblicke“ in die betriebswirtschaftlichen Innereien des Konzerns, in seine Personalführung (offenbar ist die Fluktuation unter den Mitarbeitern hoch) und Betriebsstrukturen (angeblich flache Hierarchien ohne Prestigesignale) meist nur gestreift. Da ließ sich aus etlichen Zeitungsartikeln und manchen Publikationen davor schon Gründlicheres und Detailliertes erfahren.[1]
„Moonshots“ heißen die diversen Innovationen. Entweder stammen sie aus Geistesblitzen der fast schon legendären Gründer, Larry Page und Sergey Brin, oder entstehen durch den kollektiven Drang der im Silicon Valley Arbeitenden (deren Firmen und Vorhaben Google bei Erfolgsaussichten umstandslos aufkauft und sich einverleibt), die unentwegt die Probleme der Welt durch technologische Lösungen beheben wollen. So läuft die Innovationsmaschine ständig, wird in Geheimlaboren etwa an einem Internet mithilfe von Ballons („Project Loon“), an Clouds und Vernetzungen gewerkelt, an Therapien und Medikamenten gegen Krebs und andere Zivilisationskrankheiten geforscht, das intelligente Heim designt oder die Welt vermessen und mit künstlicher Intelligenz durchzogen und gesteuert. Smartphones schaffen – dank Googles Betriebsnetz Android – mobile, weltumspannende Konnektivität und Roboter die Produktion von morgen. Vieles bleibe Idee, werde nur bis zum Prototyp entwickelt oder scheitere schon davor, aber vieles Substanzielle wie die fortwährende Erweiterung der Suchmaschine, ihre mobile Anwendung, Android und selbstfahrende Autos („der größte Schritt für die menschliche Mobilität seit Jahrzehnten“ [S. 310]) werde nach der Marktreife versiert oder auch brachial auf den Weltmarkt gebracht und sorge für (noch) steigenden Umsatz, wachsenden Profit und explodierende Aktienkurse. Aber unermesslicher Reichtum interessiere die Google-Cracks allenfalls am Rande, allein praktisch und pragmatisch an erforderlichen Lösungen zu arbeiten, leite sie: Utopische Ziele möglichst schnell, unerschrocken, jenseits von ausgetretenen Pfaden und ohne Rücksicht auf Kosten zu testen und dann umzusetzen, treibe sie an; lange zu diskutieren, das Für und Wider abzuwägen oder gar auf die lange Bank zu schieben, sei nicht Googles Ding.
Na, dann können wir unsere paradoxe Haltung zwischen Vielnutzung und grundsätzlichem Unbehagen ja endlich begraben. Willkommen ins Googles Welt, selbst wenn die Kulissen, hinter die zu schauen die Publikation anfangs versprach, weiter geschlossen bleiben und die „Denke, Strategien und Protagonisten des Konzerns“ (S. 28) nur in technischer und personeller Hinsicht blass durchleuchtet werden.
[1] Zum Beispiel: Vise, David A.; Mark Malseed: Die Google-Story. Hamburg [Murmann] 2006; Röhle, Theo: Der Google-Komplex. Über Macht im Zeitalter des Internets. Bielefeld [Transcript] 2010; Fricke, Torsten; Ulrich Novak: Die Akte Google. Wie der US-Konzern Daten missbraucht, die Welt manipuliert und Jobs vernichtet. München [Herbig] 2015; Schmidt, Eric; Jonathan Rosenberg; Alan Eagle: Wie Google tickt. Frankfurt/M. [Campus] 2015.
Links:
Über das BuchThomas Schulz: Was Google wirklich will. Wie der einflussreichste Konzern der Welt unsere Zukunft verändert. München/Hamburg [DVA/Spiegel-Verlag] 2015, 336 Seiten, 19,99 Euro.Empfohlene ZitierweiseThomas Schulz: Was Google wirklich will. von Kübler, Hans-Dieter in rezensionen:kommunikation:medien, 20. Juli 2016, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/19296