Werner Wirth, Katharina Sommer, Martin Wettstein, Jörg Matthes (Hrsg.): Qualitätskriterien in der Inhaltsanalyse

Einzelrezension
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Rezensiert von Hans-Dieter Kübler

Qualitätskriterien der InhaltanalyseEinzelrezension
Als “zentrale“ sozialwissenschaftliche Methode gilt die Inhaltsanalyse besonders für die Kommunikationswissenschaft, sie habe sogar “eine legitimatorische wie auch konstituierende Funktion für die Disziplin“ (9), so die  Herausgebenden in ihrem Vorwort für diesen Sammelband, der auf die Jahrestagung der Fachgruppe Methoden der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) im Jahr 2012 zurückgeht. Daher müssen die Reflexion wie die (Weiter-)Entwicklung dieser Methode nachdrücklich betrieben werden, zumal sich infolge des digitalen Wandels zum einen ihr Gegenstand, die Medieninhalte, gründlich verändern, diffuser, flüchtiger, aber auch multimedial komplexer werden und sich zum anderen neue Verfahren wie die automatische Inhaltsanalyse anbieten.

Die Beiträge darüber werden in einem eigenen Reader (vgl. z.B. Sommer et al. 2014) behandelt. Dieser Band befasst sich mit der “Gütesicherung“ der Inhaltsanalyse, und zwar vor allem bezogen auf die Kriterien Reliabilität und Validität. Sie würden bei vielen Studien ignoriert oder allenfalls selektiv expliziert. Vor allem am Prozess des (manuellen) Codierens ließe sich der Umgang mit besagten Qualitätskriterien exemplifizieren. Es steht daher im Mittelpunkt dieses Bandes. Dass damit andere, nicht weniger grundsätzliche Fragen, die immer wieder mit der Entwicklung der Inhaltsanalyse diskutiert wurden und werden, wie etwa die semantische Beschaffenheit von Medieninhalten, das Verhältnis von Text und Bild, die Frage der Repräsentativität, von Verallgemeinerbarkeit oder auch nur von Paradigmatik solcher Fallstudien mit Blick auf jenen fluiden ‘content‘ außen vor bleiben, muss erwähnt werden, sofern ein umfassendes Verständnis von Qualität der Inhaltsanalyse vorausgesetzt wird.

Auf zwei Schwerpunkte konzentrieren sich die zehn Beiträge, nämlich zum einen auf den “Einfluss von Codierer-Effekten auf die Qualität von Inhaltsanalysen“ (11) und zum anderen auf die schon angesprochene Reliabilität als Qualitätskriterium. Davor legen W. und H. Früh eine interessante “Metaanalyse“ vor: Anhand von sechs führenden sozialwissenschaftlichen Zeitschriften, primär aus der deutschen und amerikanischen Kommunikationswissenschaft, aber auch aus der deutschen Soziologie über einen Zeitraum von zehn Jahren (2000 – 2009), untersuchen sie, wie häufig die Inhaltsanalyse als Methode im Vergleich zu Befragung und Experiment verwendet wird und welche methodischen Qualitätsstandards eingehalten und dokumentiert werden. Eingangs befassen sie sich außerdem – gewissermaßen als methodologische Grundlegung – mit den verschiedenen Varianten der Inhaltsanalyse, nämlich der quantitativen, qualitativen und – als Kombination – der integrativen, mit ihrer theoretischen Fundierung, der Generierung von Kategorien und mit den unterschiedlichen Definitionen von Reliabilität und Validität.

Schon bei der Aufarbeitung einschlägiger Literatur stellen sich dafür ganz differierende Verständnisse und dementsprechend recht willkürliche Anwendungsweisen heraus. Für die analysierten Zeitschriften und die darin berichteten Studien bestätigen sich die vermuteten “unbefriedigenden“ (53) Befunde und Trends: Selten werden die Ableitungen der Kategorien (hinreichend) expliziert, meist fehlen auch wichtige Definitionen und Begründungen für die Validität; zwar werden Reliabilitätskoeffizienten gern angeführt, aber oft bleibt unklar, worauf sie sich beziehen: etwa nur auf formale oder auch auf inhaltliche Kategorien. Erwartungsgemäß wird in der Kommunikationswissenschaft die Inhaltsanalyse häufiger angewandt als in der Soziologie, die vorzugsweise mit Befragung und Experiment arbeitet, und inzwischen werden vielfach Kombinationen mehrerer Methoden bevorzugt.

Die vier folgenden Beiträge befassen sich aus verschiedenen Perspektiven mit der Motivation, Erfahrung und Arbeitssituation der Codierer, also mit so genannten Codierer-Effekten, die im universitären oder kommerziellen Umfeld dieser weitgehend standardisierten und fehlerbehafteten Tätigkeit nachgehen. Denn diese als (nur) “intersubjektiv nachvollziehbare“ Methode ( 78) kann solche subjektiven, ungenauen, wenig steuerbaren Einflüsse nicht gänzlich eliminieren; sie sind aber für die Qualität der Inhaltsanalyse bzw. der Daten entscheidend. Allerdings ergeben weder die gesichtete Forschungsliteratur noch die hier berichteten Fallstudien hinreichend sicheren und umfassenden Aufschluss. Die Datenerhebung durch die Codierer dürfte daher noch weiterhin eine “black box“ (96, 140) bleiben, deren Erschließung weiterer Forschung und auch praktischer Maßnahmen bedarf, die in den Beiträgen mehrfach eingefordert wird.

Für die Methodenreflexion ist bemerkenswert ist, dass Reliabilität eher noch und strikter kontrolliert wird als Validität. Etliche Beiträge im zweiten Teil fokussieren sich auf sie, stellen etwa einen neuen, strikter gemessenen Koeffizienten vor oder fragen sich nach dessen Reichweite bei der Datenauswertung. Immerhin diskutieren die drei letzten Beiträge anders oder weiter adressierte Fragestellungen: nämlich die nach der Konstruktion und Begrenzung von Analyseeinheiten, die nach möglichen methodischen Kombinationen bei der Erfassung visueller Inhalte (deren Medienpräsenz bekanntlich ständig zunimmt) und die nach Strategien, um Befunde repräsentativer Befragung mit inhaltsanalytischen Daten bei langjährigen Mediennutzungsstudien zu verknüpfen. Solche komplexeren Ansätze eröffnen Perspektiven, da keine Methode ohne Einschränkungen und Fehlerquellen ist. Sicher lässt sich für die Inhaltsanalyse noch vieles verbessern, vor allem die monierte fehlende Dokumentation bei der Berichterstattung ließe sich schnell beheben. Doch für die immer wichtiger werdende Qualität der jeweiligen Forschung wird es künftig noch mehr darauf ankommen, dass mit klugen, transparenten Kombinationen von Methoden tatsächlich möglichst viel von dem erkundet wird, was in der Theorie, mit den Hypothesen, geeigneten Methoden und letztlich mit dem auswertenden Verallgemeinerungsanspruch avisiert wird.

Literatur:

  • Sommer, K.; M. Wettstein; W. Wirth; J. Matthes (Hrsg.): Automatisierung in der Inhaltsanalyse. Köln [Herbert von Halem] 2014.

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Über das BuchWerner Wirth, Katharina Sommer, Martin Wettstein, Jörg Matthes (Hrsg.): Qualitätskriterien in der Inhaltsanalyse. Reihe: Methoden und Forschungslogik der Kommunikationswissenschaft, Bd. 12. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2015, 294 Seiten, 29,50 Euro.Empfohlene ZitierweiseWerner Wirth, Katharina Sommer, Martin Wettstein, Jörg Matthes (Hrsg.): Qualitätskriterien in der Inhaltsanalyse. von Kübler, Hans-Dieter in rezensionen:kommunikation:medien, 12. Januar 2016, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/18868
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