Klaus Sachs-Hombach, Jan-Noël Thon (Hrsg.): Game Studies

Einzelrezension
5058 Aufrufe

Rezensiert von Anne-Kristin Langner

Game StudiesEinzelrezension
Mit dem Sammelband Game Studies. Aktuelle Ansätze in der Computerspielforschung legen Sachs-Hombach und Thon eine umfangreiche Bestandsaufnahme vor, mit der sie einen “Beitrag zur weiteren Ausdifferenzierung sowohl der wissenschaftlichen als auch der journalistischen Diskurse über Computerspiele“ (14) anstreben. Einleitend verweisen die Herausgeber auf die immer noch mangelhafte Anerkennung von Computerspielen als Teil der Medienkultur. Dass Games und ihre Nutzer immer noch marginalisiert werden, erstaunt im Hinblick auf die zunehmende Vielzahl der Formen seit der Jahrtausendwende, was sowohl ein gesellschaftliches als auch ein sich auf die Ausdifferenzierung der Plattformen beziehendes Phänomen ist (vgl. 9 f.). Diese Vielfalt benennen sie als einen Grund des vermehrten Interesses der Wissenschaft am Medium Computerspiel in den letzten Jahren und Jahrzehnten und als Kennzeichen für die Interdisziplinarität der Game Studies.

Der Sammelband vereint und strukturiert verschiedene Disziplinen in ihren je spezifischen Perspektivierungen und methodischen Herangehensweisen. Unter Teil I mit dem Titel “Spiel” finden sich artefaktorientierte Ansätze. Beil nimmt auf Basis filmwissenschaftlicher Genre-Begriffe eine Spezifizierung und Erweiterung von genretheoretischen Zuordnungen für die Game Studies vor. Freyermuth schlägt in seinem Text zu Game Studies und Game Design “die Integration künstlerischer Perspektiven“ (16) des Game Designs in die Computerspielforschung vor. Thon entwickelt mit den Kennzeichen Interaktivität und Nonlinearität narrative Besonderheiten von Games in Anlehnung an eine transmediale Narratologie.

Der Text von Fahlenbach und Schröter zur Rezeptionsästhetik leitet in Teil II zur Nutzung von Computerspielen über. Denn medienwissenschaftliche Rezeptionsästhetik beschäftigt “sich mit textuellen Gestaltungsaspekten medialer Artefakte“ (166) und intendierten Wirkungen bei den Rezipienten. In Games nimmt man durch das Interaktivitäts-Paradigma “die Verwirklichung einer alten Medienutopie […]“ (Mertens 2004: 275) an. Die Autoren fragen nach einem ästhetischen Dialog zwischen Rezipiat und tatsächlichen Rezipienten, indem sie sich “empirisch fundierte Wahrnehmungs- und Kognitionsforschung zunutze machen“ (174). Die Orientierung am Gegenstand stellt laut Freyermuth eine Chance zur disziplinären Manifestation dar. Game Studies sollten ihren “Ausgangspunkt nicht länger in importierten Ansätzen, sondern in Erkenntnisinteressen und Methoden ha[ben], die in der direkten Auseinandersetzung mit Computerspielen entwickelt werden“ (72 f.).

Ein Anspruch an Einheitlichkeit ist eine interdisziplinäre wichtige Leitlinie des Buches. So schlägt Fromme in seinem medienpädagogischen Ansatz zum Potenzial von Games in Erziehung und Bildung eine Begriffsschärfung in Form von Digital Game Studies vor (vgl. 281). Müller-Lietzkow sieht im Sinne einer medienökonomischen Kontextualisierung in einer einheitlichen Theoriebildung die Chance, disruptive und technologische Innovationen auf Nachhaltigkeit zu überprüfen (vgl. 475).

Die Beiträge zu Medienpsychologie, Mediensoziologie und Geschlechterforschung in Teil II nehmen den aktiven Nutzer in den Blick. Reinecke und Klein rekurrieren auf die individuellen Muster von Selektion, Rezeption und Nutzung. Wimmer und Schmidt widmen sich mediensoziologisch dem Computerspiel “als Vermittlungsinstanzen zwischen Individuum und Gesellschaft“ (19). Wilhelm betrachtet in ihrem Beitrag die geschlechterspezi-fische Nutzung von Games als auch die Geschlechterdarstellung in denselben.

Computerspiele werden als eigene Kulturtechnik benannt und als solche in Teil III in verschiedene Kontexte gesetzt. In einem kulturwissenschaftlichen Ansatz schlägt Adamowsky eine medienhistorische und intermediale Betrachtung von Computerspielen sowie “ihre Verortung in einer Kultur- und Mediengeschichte des Spiels“ vor (344). Game sei hierbei ein mögliches Artefakt, um zum Play einzuladen. Über die kritische Diskursanalyse macht Nohr Computerspiele in ihrer Gemachtheit sichtbar und somit als “diskursive Formationen“ (374) beschreibbar, die im funktionalen Modus des Spiels in der Regel unsichtbar sind. Schwarz setzt Computerspiele in einen geschichtsdidaktischen und geschichtswissenschaftlichen Zusammenhang und macht das Medium als historische Quelle plausibel.

Trotz aller Klarheit, Computerspiele als Kulturgut zu definieren, finden sich stellenweise Unklarheiten und Verallgemeinerungen hinsichtlich des Konzepts der Unterhaltung. Wimmer und Schmidt betonen, dass Computerspiele nicht ‘nur‘ Unterhaltungsangebote seien, “sondern auch als soziale Kommunikationsmedien erscheinen […]“ (259). Medienpsychologisch wird Unterhaltung u. a. als “Alltagskonzept ‘Spielspaß‘“ (227) benannt und rein auf der Rezeptionsseite verortet. Die Rezensentin sieht gerade hier Potenzial zur Einbindung des Gegenstands. Gerade wenn Unterhaltung als stets auf ihr Genre bezogen verstanden wird, formuliert sie Sinn, die Bedeutung bleibt fraglich (vgl. Hügel 2007: 28).

Die Erwähnung, wenngleich nicht ausführliche Würdigung aller Beiträge skizziert den umfassenden Überblick über den Status Quo der Game Studies aus verschiedenen Perspektiven, teilweise deren Zusammenspiel. Dieser lesenswerte Sammelband regt zu einer eher wissenschaftlichen denn journalistischen Anschlusskommunikation an. Aufbauend auf der “detaillierte[n] Kartierung des inter- und transdisziplinären Feldes der Game Studies“ (475) wird die Forderung einer einheitlichen Theoriebildung plausibel. Es bleibt die Frage nach einer Umkehrung der Verhältnisse: Anstelle der Übertragung und Modifizierung von Konzepten aus Literatur- oder Filmwissenschaft ist es möglicherweise lohnenswert, Disziplinen auf ihre Durchdringung von spielerischen Strukturen zu überprüfen (vgl. Raessens 2014). Hier ist eine spezielle Herausforderung erkennbar. Denn Phänomene wie Serious Games oder Gamification sind nicht per se einer genuinen Computerspielkultur zuordbar (vgl. 374).

Literatur:

  • Fuchs, M.; S. Fizek; P. Ruffino; N. Schrape (Hrsg.): Rethinking Gamification. Lüneburg [meson press] 2014.
  • Hügel, H.-O.: Lob des Mainstreams. Zu Begriff und Geschichte von Unterhaltung und Populärer Kultur. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2007.
  • Leggewie, C.; C. Bieber (Hrsg.): Interaktivität. Ein transdisziplinärer Schlüsselbegriff. Frankfurt [Campus Verlag] 2004.
  • Mertens, M.: Computerspiele sind nicht interaktiv. In: Leggewie, C.; C. Bieber (Hrsg.): Interaktivität. Ein transdisziplinärer Schlüsselbegriff. Frankfurt [Campus Verlag] 2004, S. 273-288.
  • Raessens, J.: The Ludification of Culture. In: Fuchs, M.; S. Fizek; P. Ruffino; N. Schrape (Hrsg.): Rethinking Gamification. Lüneburg [meson press] 2014, S. 91-114.

Links:

 

Über das BuchKlaus Sachs-Hombach, Jan-NoëlThon (Hrsg.): Game Studies. Aktuelle Ansätze zur Computerspielforschung. Köln [Herbert von Halem] 2015, 504 Seiten, 36,- Euro.Empfohlene ZitierweiseKlaus Sachs-Hombach, Jan-Noël Thon (Hrsg.): Game Studies. von Langner, Anne-Kristin in rezensionen:kommunikation:medien, 4. Januar 2016, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/18834
Getagged mit: , ,
Veröffentlicht unter Einzelrezension