Rezensiert von Hannes Krämer
York Kautt widmet sich in seiner im Transcript-Verlag erschienenen Dissertation einem zentralen Bezugspunkt moderner Mediengesellschaft – dem Image. Sowohl Politikern, Schauspielern, Wissenschaftlern als auch Konsum-produkten, Firmen, ja sogar finanzökonomischen Anlagemöglichkeiten wird heutzutage ein Image zugesprochen. Kautt nimmt diese begriffliche Prominenz zum Anlass, nach der spezifischen soziokulturellen Konstellation zu fragen, die das Aufkommen des Image-Phänomens begünstigt. Da die im Untertitel angekündigte “Genealogie” aus system- und medientheoretischer Perspektive geschieht, wird diese Ausgangslage entsprechend übersetzt als die “Frage nach einer historischen Konstellation […], in der die Annahme und Akzeptanz bestimmter Mitteilungen zum Problem wird” (26).Inhaltlich gliedert sich die Arbeit in drei Teile. Zu Beginn werden einschlägige sozialwissenschaftliche Image-Konzepte (Kleining, Markt- und Konsumforschung, Goffman, Boorstin) dargestellt. Demnach wird Image zusammenfassend als eine “Typisierung des Sinnhaften zu Mustern” (24) beschrieben. Diese Typisierungen fungieren dabei als “kollektive Vorstellungsbilder” (ebd.) mit handlungsleitendem Charakter. Um auf die Entstehungsbedingungen der spezifischen Form der Image-Typisierung zu schließen, folgt Kautt der Systemtheorie Luhmann’scher Prägung. Insbesondere dessen Überlegungen zu den Massenmedien als Funktionssystem bilden den theoretischen Rahmen.
Der zweite Abschnitt ist der im eigentlichen Sinne genealogische – ganz entgegen den im Untertitel des Buches geweckten Erwartungen. Hier werden am Beispiel der zeitgenössischen Diskurse der Photographiegeschichte des 19. Jahrhunderts die Probleme rekonstruiert, die mit dem Aufkommen technischer Bildmedien einhergehen. Kautt nennt zum einen das “Oberflächen/Tiefen-Problem”: Damit bezieht er sich auf das Spannungsverhältnis zwischen Abbildungstreue und der damit einhergehenden Bedeutungssteigerung der Oberfläche einerseits und der mangelnden Erfassung der ‘Identität’ des Photographierten andererseits (Tiefe). Zum anderen entstehe damit hinsichtlich der Verbreitungsmöglichkeit unter den anonymisierten Kommunikationsbedingungen der Massenmedien das Problem der Anschlusswahrscheinlichkeit von Kommunikation. Als Lösung dieser Problemkomplexe bilde sich “Image-Kommunikation als eine themenorientierte Spezialsprache” (317) heraus, die eine “Sondersemantik” (79) im Umgang mit visuellen Objekten etabliere, welche erstens das Verhältnis zwischen Oberfläche und Tiefe reflektiere und zweitens durch die Regelgeleitetheit der Image-Bildsprache die Annahmewahrscheinlichkeit steigere. Image werde so zu einem “Erscheinungsbild”, welches “aus einer spezifischen Verkettung, Sortierung und Hierarchisierung bildlicher Erscheinungsformen” (80) resultiere.
Obwohl Image-Kommunikation zwar alle Gesellschaftsbereiche durchsetze, attestiert Kautt dem System der Massenmedien eine herausgehobene Rolle beim Umgang mit technischen Bildmedien. So diskutiert dann auch der dritte Teil empirisch die historische Entwicklung der Image-Kommunikation anhand der Werbung als das maßgebliche Programm der Massenmedien, in dem Images virulent werden. Als Datengrundlage dienen Printwerbungen von 1900 bis 2001. Diese materiale Analyse bildet das Herzstück der Arbeit und ist zugleich deren umfassendster Teil. Dort wird deutlich, wie “die Werbung bis zum Ende der 1950er Jahre auf die Kommunikation von Bildern umstellt und dabei ein komplexes Instrumentarium der spezifischen Beschreibung und Qualifizierung sozialer Objekte gewinnt” (161). So seien zu Beginn der modernen Werbung um 1900 die Darstellungsformen noch stark von einem Rahmen geprägt, der auf die Kommunikation unter Anwesenden abhebe: Annoncen werden etwa als fiktionale Gespräche zwischen Kunden und Verkäufer dargestellt oder klassische Werbeformen einfach bildlich kopiert. Mit ähnlichem Ergebnis zeichnet Kautt die Entwicklung und Funktion von z.B. Typographie, Rahmen, Ornament und Zeichnung, Photographie oder der Beziehung von Text und Bild nach.
Nach (leider nicht aufgrund!) dieser Analyse qualifiziert der Autor in einem theoretischen Zwischenresümee Werbung als Subsystem des Funktionssystems “Massenmedien”, dessen basales Prinzip “in der Differenzierung von Images” bestehe (168f.). Werbung stelle mit “Images im Sinne ‘guter’ Erscheinungsbilder” (169) eine Zweitcodierung bereit, über die das Funktionssystem der Massenmedien Information/Nichtinformation unterscheiden könne. Mit anderen Worten: Image wird bei Kautt als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium verstanden, welches die Regelgeleitetheit der Kommunikation über einen spezifischen Code (gutes Image/schlechtes Image) und eine spezifische Programmierung ermögliche. Für eine Medienanalyse spannend sind hierbei vor allem die Programmierungen, die festlegen, wann ein Image als gut/schlecht gelte. Die Programme leisten als “Kriterienkomplexe” (174), so Kautt, “die Anpassung an die in der jeweiligen Zeit vorherrschenden Vorstellungen (Geschmack, Mode, Werte, Normen usw.)” (175). Der Analyse solcher Programme ist das letzte Drittel des Buches gewidmet. Dort zeigt der Autor, wie sich über die vergangenen hundert Jahre stabile Kriterienkomplexe ausgebildet hätten (Status, Weiblichkeit/Männlichkeit, Natürlichkeit etc.), die in verschiedener Art und Weise inszeniert worden seien.
In diesen kleinteiligen Analysen liegt die Kraft der Studie. Insgesamt gut nachvollziehbar verknüpft Kautt den Wandel bildlicher Werbe-Ästhetik mit Studien zur (Alltags-)Kultur. Das ist meist interessant und wird durch beispielhafte Abbildungen anschaulich; sehr empfehlenswert: die Beispiele für Weiblichkeit und Männlichkeit. Weitestgehend unbegründet bleibt jedoch die Herleitung dieser Programmressourcen aus dem Material sowie die damit einhergehende Frage, ob bei solch groben Codierungen (Glaser/Strauss) nicht notwendig eine Stabilität von Programmressourcen unterstellt werden kann. Dem ist eine Perspektive entgegenzuhalten, die mehr auf die Brüche und (widerstreitenden) Veränderungen verweist und die unterstellte Konsistenz der Imagekonstruktionen in Frage stellt. So können auch werbefeldinterne Entwicklungen berücksichtigt werden, wie etwa die nachhaltigen Veränderungen im Zuge der CounterCulture der 1960er/1970er Jahre (man denke nur an die Aufsehen erregende Kampagne für VW), bei denen eine neue Ästhetik und Selbstverständlichkeit in die Werbung Einzug hält, die im klaren Gegensatz zur Werbeästhetik der 1950er Jahre steht (vgl. Frank 1997; Odih 2007). So etwas fehlt in Kautts Untersuchung beinahe völlig.
Trotz dieser Einschränkungen ist Kautt eine beeindruckende Studie gelungen, die einen originellen und anspruchsvollen Einblick in die Entstehung und ‘Wirkung’ von Images bietet. Obwohl der systemtheoretische Bezug den Lesefluss teilweise erschwert, ist es gerade derselbe, welcher Fragen der Entwicklung technischer Bildmedien in einen komplexen Theorierahmen einbindet und so zu verschiedenen Perspektiven Anschlussmöglichkeiten offen hält, von denen Kautt einige in den Schlussbemerkungen aufzeigt. Erst recht das reiche empirische Material bietet einen spannenden und auch amüsanten Einblick. Als Fazit gilt also: All jenen, die sich für die (deutsche) Geschichte der Werbung innerhalb des Systems der Massenmedien interessieren und systemtheoretische Überlegungen nicht scheuen, sei York Kautts Arbeit deutlich empfohlen.
Literatur:
- Frank, T.: The Conquest of Cool. Business Culture, Counterculture and the Rise of Hip Consumerism. Chicago, London [The University of Chicago Press] 1997.
- Odih, P.: Advertising in Modern & Postmodern Times. Los Angeles etc. [Sage] 2007.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von York Kautt an der Universität Gießen
- Webpräsenz von Hannes Krämer an der Universität Konstanz