Rezensiert von Jan Gerstner
Johanne Mohs’ Arbeit Aufnahmen und Zuschreibungen widmet sich den Wechselwirkungen von literarischem Schreiben und Fotografie unter einem interessanten Gesichtspunkt. Es geht ihr weniger um die so oft gesuchten Spuren fotografischer Bildlichkeit im literarischen Text, sondern, wie der Untertitel des Buchs andeutet, um den “fotografischen Akt”. Das Fotografieren, weniger das Fotografierte steht hier im Vordergrund.Fotografietheoretisch orientiert sich Mohs an den einschlägigen Arbeiten von Roland Barthes, Philippe Dubois und Jean-Marie Schaeffer sowie der fotografischen Praxis von Denis Roche, da sich hier ein Fotografieverständnis artikuliert, das weniger an deren Abbildleistung als an ihren technisch bedingten materialen Eigenschaften orientiert ist. Semiotisch gesprochen erscheint die Fotografie als Index, ein Zeichen, das mit seinem Referenten in einer Kontiguitätsbeziehung steht.
Obgleich ein solches Verständnis der Fotografie inzwischen fototheoretisch eine etablierte Position darstellt und in literaturwissenschaftlichen Untersuchungen bereits rege rezipiert wurde, ist der von Mohs verfolgte Ansatz innovativ. Denn bei ihr tritt anstelle inhaltlicher oder darstellerischer Auseinandersetzungen mit der Fotografie in literarischen Texten die Medialität des Schreibens und des Schreibakts selbst in den Vordergrund.
Indem sie ihre Aufmerksamkeit auf die jeweilige Materialität der involvierten Medien richtet, grenzt sich Mohs von Intermedialitätstheorien etwa Irina Rajewskys ab, deren Kategorie “intermedialer Bezüge” sich noch zu sehr an einer rezeptionsorientierten Illusionsbildung, der Simulation von Eigenschaften eines Mediums in einem anderen, ausrichtet. Mohs geht dagegen davon aus, “dass die Frage nach der Fotografie im Schreiben ganz allgemein zu einer Modifikation von sprachlicher Materialität führt, die sich an der Medialität der Fotografie orientiert”, weshalb “[i]ntermediale Bezüge auf die Fotografie […] eine prekäre Präsenz des Schreibenden und des Referenten im Text fördern” können (64).
Die Untersuchung macht es sich so zur Aufgabe, literarische Verfahren herauszuarbeiten, mit denen auf der Ebene der Sprache die materiell vermittelte Referentialität der Fotografie und der daraus resultierende Präsenzeffekt erreicht werden können. Dabei arbeitet sie in oft sehr detaillierten Analysen von Texten Denis Roches, Georges Perecs, Marcel Prousts und Gustave Flauberts zwei exemplarische Phänomene heraus: die Verwendung von “Sprachrealien” und ein bestimmter Gebrauch von Personal- und Demonstrativpronomina.
Letzteres Phänomen wird in der Analyse jedoch nicht ganz schlüssig, zumal nicht in seinem Bezug zur Fotografie. Prinzipiell geht es Mohs um einen Präsenzeffekt, der entstehe, wenn durch die Verwendung bestimmter Pronomina (wie etwa “nous” oder “on”) die Grenze zwischen erzählter Welt und der der Lesenden bzw. des Autors verschwimmt. Sie vergleicht dieses Verfahren mit dem fotografischen “Off” (Dubois), jenem Bereich, der nicht im Bild zu sehen ist, aber als Außen in diesem – über Hinweise wie etwa ein angeschnittenes Gebäude – präsent ist. Ist dieses “Off” bei der Fotografie aber verfahrensbedingt, insofern Fotografien immer in gewisser Weise ‘Ausschnitte’ der Welt liefern, so muss es im Fall einer fiktiven Welt erst als Illusionsbrechung erzeugt werden; prinzipiell haben Kunstwerke wie der realistische Roman kein “Off”.
Anders verhält es sich mit dem Verhältnis der sogenannten “Sprachrealien” – gleichsam fertig vorliegende Sprache, die in den Texten als Material behandelt wird – zur Fotografie. Vor allem bei Roche und Perec arbeitet Mohs einige Aspekte heraus, die bemerkenswerte Parallelen zu fotografischen Verfahren aufweisen. Gleichwohl geht es bei der Fotografie um die materielle Veränderung des Bildträgers, während Texte fremde Sprachelemente als solche in sich aufnehmen können. Während es sich bei Roche und Perec um eher faktuale Texte handelt, wird die Frage bei den fiktionalen Texten von Proust und Flaubert ohnehin kniffliger. Zudem stellt sich die Frage, ob der Bezug zur Fotografie sich nicht umkehren ließe: Bei neueren Autoren wie Perec und Roche berühren sich literarische Verfahren mit der Fotografie, die sich im Zuge der literarischen Moderne herausgebildet haben. Die Nähe dieser Verfahren zur Fotografie wäre dann nicht zwingend. Vor diesem Hintergrund wäre eine etwas weitergehende Diskussion der beschriebenen Verfahren, insbesondere des Zugriffs auf “Sprachrealien”, in ihrem Zusammenhang mit Verfahren wie der Montage oder einer Polyphonie im Sinne Bachtins interessant gewesen.
Der spezifische Bezug auf die Fotografie wird hingegen, wenn er nicht durch explizite Verweise innerhalb der behandelten Texte gegeben ist, nicht immer erkennbar. Zu Beginn ihrer Textanalysen stellt Mohs zwar jeweils eine zur Zeit der Abfassung des jeweiligen Texts verbreitete fotografische Technik bzw. Praktik vor, deren Charakteristika in den Schreibverfahren der entsprechenden Autoren sich wiederfinden lasse und verbindet dies weiter mit einem semiotischen Analyseraster. Die dabei vorgestellten, z. T. recht heterogenen Phänomene überzeugen allerdings eher als analytische Metaphern, weniger als nachweisbare Zusammenhänge. Wie genau sich die “Modifikation sprachlicher Materialität” auf die Fotografie bezieht, wie die Fotografie zur Emergenz bestimmter Schreibverfahren beitrug, bleibt leider weitgehend offen.
Trotz dieser Einwände zeigt Mohs’ Untersuchung, wie fruchtbar der Ausgang von einem anderen Medium für die Analyse von literarischen Texten sein kann. Mieke Bal hat die Visualität in Prousts Recherche mit Metaphern der Fotografie untersucht; Mohs arbeitet Techniken der Sprachverwendung mit einer an der Technik der Fotografie orientierten Optik heraus. Allerdings hätte der Status des Bezugs auf die Fotografie einer genaueren Klärung bedurft. Oft verbleibt Mohs’ Vorgehen auf der Ebene der Analogie von literarischer und fotografischer Technik, ohne dass dies selbst expliziert würde.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Dr. Johanne Mohs an der Hochschule der Künste Bern
- Webpräsenz von Dr. Jan Gerstner an der Universität Bremen