Rezensiert von Sigrid Kannengießer
“Where have all the Cyberfeminists gone?” (2) fragen Radhika Gajjala und Yeon Ju Oh in der Einleitung des von ihnen herausgegebenen Sammelbands Cyberfeminism 2.0. Nach der Euphorie der 1990er Jahre, in der Feministinnen durch das Internet neue Möglichkeiten für die Ermächtigung und Emanzipation von Frauen wahrnahmen, muss heute kritisch hinterfragt werden, ob sich diese Erwartung erfüllt hat oder Geschlechterungleichheiten in Internetmedien fortgeschrieben oder sogar neu hergestellt werden. Was bedeutet also z. B. Cyberfeminismus in Zeiten, in denen Frauen als Konsumentinnen omnipräsent im Internet sind? Und welche Rolle spielen Feministinnen in Sozialen Netzwerken oder der digitalen Spielkultur, wenn gleichzeitig behauptet wird, Feminismus wäre nicht länger notwendig? (vgl 1f.) Diese und andere Fragen greifen die Buchbeiträge auf, wobei jeder Artikel Ergebnisse empirischer Fallstudien präsentiert, in denen Webseiten, Blogs und Foren aus einer feministischen und/oder Geschlechterperspektive analysiert werden.Der Sammelband ist in drei Abschnitte mit jeweils fünf Artikeln strukturiert. In einem ersten Abschnitt hinterfragen die Autorinnen die Möglichkeiten emanzipatorischer Aneignungspraktiken und widerständiger Identitätskonstruktionen in Internetmedien. Bereits der erste Beitrag weist in der Analyse zweier Online-Serviceangebote im Bereich der Gesundheitskommunikation auf neue Ungleichheiten und unternehmerische Interessen in diesen (vermeintlichen) Ermächtigungsangeboten hin (Marina Levina). Auch in den Untersuchungen bloggender Mütter (Jessie Daniels) und Doktorandinnen (Lauren Angelone) wird deutlich, dass die jeweiligen Subjektkonstruktionen von unternehmerischen Interessen geprägt sind und gemäß traditioneller Normen konstruiert werden. Analysen von Youtube-Videos, die mit Hilfe des Spiels The Sims 2 die Twilight-Geschichte erzählen wollen (Rosalind Sibielski), sowie Fanvideos, die für ein Rennpferd produziert wurden (Holly Kruse), zeigen ebenso, dass hier keine pertubierenden Geschlechteridentitäten oder -verhältnisse produziert werden.
Der sechste Beitrag des Buches (welcher zwar den zweiten Abschnitt eröffnet, in der Einleitung jedoch noch dem ersten Teil zugeordnet wird) vergleicht eine audiovisuelle E-Plattform der UNESCO mit einer Sozialen Netzwerkseite, welche durch eine Nichtregierungsorganisation unterstützt wird, und zeigt, dass bestehende Ungleichheiten durch die UNESCO-Plattform fortgeschrieben werden (Debbie James). Kapitel sieben bis zehn beschäftigen sich mit der Zuschreibung von Männlichkeit und Technologie, wobei sich die ersten drei Kapitel mit Geschlechterkonstruktionen in der digitalen Spielkultur auseinandersetzen: Männlichkeit als Norm in der Videospielkultur (Erica Kubik) sowie Strategien von Spielerinnen innerhalb des Spiels World of Warcraft “zu überleben” (Jessica L. Beyer) und Identitätsentwicklungsprozesse von Spielerinnen (Genesis Downey) werden analysiert. Der zweite Teil des Bandes schließt mit einem Beitrag ab, der die Zuschreibung von Männlichkeit und Technologie dekonstruiert, indem die Verwendung von Technologie durch Künstlerinnen betrachtet wird (Jennifer Way).
Im dritten Teil des Sammelbands werden (vermeintlich) feministische Diskurse in Internetmedien analysiert: Die Untersuchung einer Webseite für Essgestörte (Dara Persis Murray), von Debatten in Online-Foren über Gewalt in lesbischen Beziehungen (Becky Walker), eines feministischen koreanischen Webzines (Yeon Ju Oh), sowie einer Facebook-Gruppe, die gegen Facebook selbst und die Zensur von stillenden Müttern protestiert (Natalia Rybas), und zuletzt eine intersektionale Analyse von Sozialen Netzwerkseiten, Instant Massaging und Online-Discussion Boards und deren Aneignung durch MigrantInnen (Koen Leurs) zeigen, dass Internetmedien feministisch angeeignet werden, jedoch Brüche und Ambivalenzen in dieser Aneignung zu finden sind.
“Where have all the Cyberfeminists gone?” – diese Frage kann der Sammelband durch die Präsentation vieler interessanter Fallbeispiele z. T. beantworten: Feministinnen sind in Internetmedien präsent, eignen sich diese an und partizipieren an Online-Diskursen. Gleichzeitig sind, wie die Herausgeberinnen schon in der Einleitung konstatieren (8), die Erfahrungen und Möglichkeiten von Frauen in und mit Internetmedien neben technologischen Determinismen und in diesen eingeschriebenen Geschlechterverhältnissen auch geprägt durch kapitalistische Werte, denen sich auch die ‘Online-Welt’ nicht entzieht.
Gewinnbringend für den Sammelband wäre es gewesen, in einem Schlusskapitel oder der Einleitung aufzuzeigen, wie die fünfzehn empirischen Fallbeispiele zusammengedacht werden können und welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede auszumachen sind, um den theoretischen Diskurs um Geschlecht, Feminismus und Internetmedien weiterzuführen. Interessierten an und Wissenschaftlerinnen in diesem Forschungsfeld sei die Lektüre des Sammelbands dennoch empfohlen.
Links:
Über das BuchRadhika Gajjala, Yeon Ju Oh (Hrsg.): Cyberfeminism 2.0. New York et al. [Peter Lang] 2012, 314 Seiten, 32,80 Euro.Empfohlene ZitierweiseRadhika Gajjala, Yeon Ju Oh (Hrsg.): Cyberfeminism 2.0. von Kannengießer, Sigrid in rezensionen:kommunikation:medien, 1. Juni 2014, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/16508