Gesine Hindemith: Sonographie

Einzelrezension
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Rezensiert von Pascale Anja Dannenberg

SonographieEinzelrezension
Gesine Hindemith widmet sich in ihrer literaturwissenschaftlichen Dissertation dem Ton im Film. Das ist lobenswert, wird er bis heute oft in der Wissenschaft vernachlässigt, wenngleich doch immer schon alle filmischen Epochen und Genres auch Werke hervorgebracht haben, in denen der Ton eben nicht als bloßer “Geschmacksverstärker” (39) eingesetzt wurde. Eklatant wird ein Experimentieren mit dem Ton im modernen Kino. Die “Sonographie” in Arbeiten von Jacques Tati, Robert Bresson, Jean-Luc Godard, Alain Resnais und Marguerite Duras und damit deren Verständnis “eines Schreibens mit Tönen, das die Klänge in die Bilder eingraviert” (12) untersucht der vorliegende Band.

Hindemith will ihre Arbeit verstanden wissen als “Beitrag zu einer Öffnung des écriture-Begriffs in der Filmforschung” (20) in Anlehnung an die Begriffsprägung eines Schreibens mit der Kamera (caméra-stylo) im Jahr 1948 von Alexandre Astruc. Er beschreibt den Film als persönliches Ausdrucksmittel eines Filmemachers, der mit der Kamera die eigenen Gedanken aufzeichne wie der Schriftsteller mit dem Federhalter. Die Autorin zitiert Astrucs Forderung, den Film anderen Künsten gleichzustellen. Astrucs Insistieren auf den Film als Ausdrucksmittel einer Subjektivität des Künstlers klammert sie in ihrer angeführten Passage aus (vgl. 19). Das bleibt unverständlich, gerade im Kontext einer Untersuchung zum französischen Autorenkino. So weist sie ihre filmischen Fundstellen nicht als Momente eines solchen Hörens aus, die auch Rückschlüsse auf die Subjektivität der Filmautoren zuließen.

Nach einem einleitenden Abriss des Forschungsstands, in dem die Autorin ausmacht, dass sich neben Michel Chion filmtheoretisch mit dem Ton im (modernen) Kino bislang vor allem Gilles Deleuze und Pascal Bonitzer auseinandergesetzt haben, folgt mit Jacques Tati die erste Fallstudie. Tati erzeuge einen Hyperrealitätseffekt durch einen Ton, der meist im on mittels Übertreibungen die realistischen Parameter in Frage stelle und wie in Playtime (1967) zu “Störgeräusche[n]” (69) mutiere, der die “Signatur der Entfremdung” (70) in sich trage, so dass “keine menschliche Urheberschaft mehr zu erkennen” (70) sei. Im Verweis auf Chion und Bazin bilanziert Hindemith: “Entweder wird das Subjekt verdinglicht oder das Objekt subjektiviert.” (78) Der Mensch, sich selbst fremd.

Auch bei Robert Bresson macht die Autorin akustische Übertreibungen wie auch irreale Stille aus. Doch im Gegensatz zu Tati setze Bresson nicht auf eine Koppelung von Bild und Ton, vielmehr verlagere er den Ton ins hors-champ (diegetischer Raum, der [momentan] nicht gezeigt wird) oder ins off (non-diegetischer Ton) (vgl. 28f.; Unterscheidung nach Chion). In L`argent (1983) gehe das so weit, dass Bild und Ton “systematisch voneinander getrennt und zeitversetzt wieder aufeinander bezogen” (104) werden würden. So setze Bresson ein Bachplätschern auch für eine Interieurszene ein: für ein Zimmer, in dem ein Mord verübt worden sei (vgl. 114). Dieser offensichtlich kommentierende Ton hätte es verdient, einer weiterführenden Betrachtung hinsichtlich seiner subjektiven und zeitlichen Wahrnehmung unterzogen zu werden. Wer erzählt hier? Von einer “steuernden Erzählinstanz, die in L`argent nicht vorhanden [scheint]” (95), ist nicht auszugehen.

Bedauerlich sind die ästhetisch wie narrativ ungenauen, bisweilen ausufernden Beschreibungen filmischer Momente (u. a. ohne Zeitangaben zum eigenen Nachprüfen). Etwa im Kapitel zu Alain Resnais. Signifikant für Hiroshima mon amour (1957) sei der Schrei der Französin (Emanuelle Riva), indem “die Kamera in ihr Gesicht [zoomt], gleichzeitig werden die Geräusche Hiroshimas langsam ausgeblendet. Die Bildebene wechselt nach Nevers” (134). Doch wie? Blende? Schnitt? Der Leser erfährt es nicht. Die Romanistin Hindemith, die der Montage für ihre eigenen “semantische[n] Untersuchungen” (21) eine bedeutsame Rolle beizumessen sich vornimmt, fährt fort, es sei nicht auszumachen, ob der Schrei in Hiroshima oder in Nevers ausgestoßen werde. Er schnelle aus einer Stille hervor und zeige hernach die Schritte der Mutter der Französin auf dem Asphalt – unhörbar. Nicht zuletzt abermals wegen der Wahrnehmung der Zeit, auf die die Autorin auch rekurriert, ist hier eine präzise Beschreibung der Verkettung von Bild- und Tonspur auf der narrativen Ebene aller filmästhetischen Parameter der einzelnen Einstellungen vonnöten.

Bei Godard, unbestritten einer der Regisseure, die am konsequentesten mit dem Ton im Film experimentieren, “[erfahren] Dinge und Personen mit der Suspendierung ihrer akustischen Dimension immer wieder eine Entkörperlichung, die […] eine Semantik der Stille ausbildet, die den Bildern ihre eigene Bedeutung verleiht” (180). Ihre These belegt Hindemith an Fundstellen, wo etwa Stimmen abgetrennt über Körpern schwebten (Vivre sa vie, 1962); Stimmen von hyperrealen Kriegsgeräuschen übertönt werden würden (Les carabiniers, 1963); eine Frau (Nathalie Baye) Musik höre, die von keinem anderen wahrgenommen werde (Sauve qui peut [la vie], 1980); und Musiker ihren Streichinstrumenten andere Töne entlockten, als die, die der Zuschauer höre (Prénom Carmen, 1983). Bis zur Auslöschung der Bilder schließlich treibe Marguerite Duras mit India Song (1974) und Son nom de Venise dans Calcutta désert (1976) die Autonomie des Tons.

Für die von ihr untersuchten Filme konstatiert Gesine Hindemith in ihrer Schlussbetrachtung “Strukturen […], innerhalb derer sich ein Denkraum zwischen Bildern und Tönen aufspannt” (242). So bekannt wie immerwährend reizvoll, dem nachzuspüren, kann das Buch als Anstoß verstanden werden, dem Ton im Film verstärkt wissenschaftliche Beachtung zu schenken.

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Über das BuchGesine Hindemith: Sonographie. Akustische Texturen im französischen Autorenkino. Tübingen [Stauffenburg Verlag] 2013, 254 Seiten, 44 Euro.Empfohlene ZitierweiseGesine Hindemith: Sonographie. von Dannenberg, Pascale Anja in rezensionen:kommunikation:medien, 24. Januar 2014, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/15453
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