Bröhan Design Foundation (Hrsg.): Wilhelm Deffke. Pionier des modernen Logos

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Rezensiert von Patrick Rössler

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Der Auftritt ist spektakulär: Ein leuchtend roter Punkt, darunter ein querlaufender Balken und in der rechten unteren Ecke ein schiefwinkliges Rechteck in selber Farbe. Dieser Umschlag für “Seidels Reklame”, jenes werbekundliche Fachblatt, das später als “werben & verkaufen” weitergeführt werden sollte, stellte im Frühjahr 1923 eine kleine Sensation dar. Denn zwei Jahre vor Jan Tschicholds epochalem Heft zur “elementaren typographie” und auch vor der ersten großen Bauhaus-Ausstellung in Weimar, für deren Katalog László Moholy-Nagy sein Manifest “die neue typographie” formulierte (vgl. Rössler 2010), überraschte ein Werbefachmann auch die Fachwelt mit einem so radikal-konstruktivistischen Cover, wie man es bislang höchsten aus den Kreisen russischer oder holländischer Avantgarde-Künstler kannte. Sein Schöpfer war Wilhelm Deffke, ein lange vergessener Pionier der modernen Reklame, dessen Nachlass von der Bröhan Design Foundation nun in einem opulenten Bildband aufgearbeitet wurde, der eine Ausstellung im Essener Folkwang-Museum (28.9.2013-16.2.2014) begleitet.

Die Auflösung für das rätselhafte Umschlagmotiv findet sich erst, wenn man die Heftrückseite mit betrachtet – dann erkennt man nämlich Kreis und Balken als Auge und Mund eines extrem stilisierten Wappentiers, einen Verweis auf Deffkes zentrales Schaffensgebiet: Die Entwicklung von aussagekräftigen “Handelsmarken und Fabrikzeichen”. Nicht zuletzt deswegen preisen ihn die insgesamt 14 wissenschaftlichen Abhandlungen dieses Bandes als “Pionier des modernen Logos” (so der Untertitel des Bandes), und tatsächlich kann Deffkes Bedeutung für die historische Werbeforschung, im Schnittfeld von Mediengeschichte und Organisationskommunikation, kaum überschätzt werden. Seine präzisen, hochkonzentrierten Entwürfe für eine Vielzahl von Auftraggebern verdeutlichen, wie sich die strategische Unternehmenskommunikation im Deutschland der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts formierte, an werbepsychologischen Erkenntnissen orientierte und damit professionalisierte.

Deffke, Jahrgang 1887, durchlief als ausgebildeter Buchbinder verschiedene Gewerbe, bevor er 1909 als “Künstlerischer Mitarbeiter für Grafik, figurale Komposition und Architektur” in das Atelier von Peter Behrens eintrat. Dort war er unter anderem mit der Gestaltung der grafischen Werbemittel für die AEG befasst, deren Vorreiterrolle für die Entwicklung der modernen Public Relations bereits von Astrid Zipfel (1997) ausführlich gewürdigt wurde. Seine Sozialisation im Atelier von Behrens erfuhr Deffke durch die dort zur selben Zeit tätigen Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe, beides spätere Bauhaus-Direktoren, und das Multitalent Charles-Édouard Jeanneret-Gris, der später unter dem Namen Le Corbusier zu einem der einflussreichsten Architekten, Künstler und Stadtplaner der Moderne werden sollte. In diesem Umfeld, so veranschaulicht Susanne Engelhardt in ihrem Beitrag, kann es nicht verwundern, dass auch Deffke zu einer fortschrittlichen Auffassung von Grafik-Design angeregt wurde, die er als Lehrer an der Berliner Reimann-Schule und Hausgrafiker bei Otto Elsners Druckerei und Verlagsanstalt weiter ausbildete. Der ausführlich analysierten Werbemappe für Elsner, heute eine Inkunabel der Werbegestaltung, kommt dabei, wie Engelhardt argumentiert, die Rolle eines ersten Schlüsselwerks zu.

Seinen Durchbruch schaffte Deffke freilich erst nach 1915 als selbständiger Grafiker und Designer, gemeinsam mit dem kongenialen Partner Carl Ernst Hinkefuß, den er während seiner Zeit bei Elsner kennengelernt hatte. Ungeachtet der Tatsache, dass sich die beiden später nach einem Zwist entzweiten und ihre eigenen Wege gingen, haben sie in ihrem Werbeatelier “Wilhelmwerk” (mit dem ambitionierten Nebentitel “Pflegestätte deutscher Werkkunst”) den Grundstein für eine zeitgemäße Organisation der Tätigkeiten in der Kommunikationsberatung gelegt – vom Konzept bis zur Ausführung aus einer Hand.

Wilhelm Deffke, Entwurf für die Gestaltung eines Reemtsma-Lieferwagens, 1920, Scherenschnitt, Papier, Motiv: 12,3 x 25 cm; Blatt: 16,7 x 27,1 cm, Nachlass Wilhelm Deffke, Mappe III, Tafel Nr. 220 © Bröhan Design Foundation

Wilhelm Deffke, Entwurf für die Gestaltung eines Reemtsma-Lieferwagens, 1920, Scherenschnitt, Papier, Motiv: 12,3 x 25 cm; Blatt: 16,7 x 27,1 cm, Nachlass Wilhelm Deffke, Mappe III, Tafel Nr. 220 © Bröhan Design Foundation

Im aus Sicht unseres Fachs sicher lesenswertesten (und mit 55 Seiten gleichzeitig umfangreichsten) Beitrag des Bandes analysiert Roland Jaeger mit der ihm eigenen Detailgenauigkeit das Auf und Ab dieser Partnerschaft, bis hin zu den späteren Aktivitäten von Deffke und Hinkefuß als Konkurrenten in einer immer unübersichtlicheren Modebranche. Instruktive Abschnitte widmen sich der Auftragsakquisition, der Eigenwerbung des Ateliers und insbesondere den schon damals zu beklagenden Plagiatsfällen. Hier war das Wilhelmwerk oft Leidtragender, ging aber nur allzu häufig auch selbst leichtfertig mit den Ideen anderer um, was sich gerade auf dem Gebiet der Markenzeichen mit ihrem doch eingeschränkten Formenrepertoire und dem Zwang zur Unterscheidung selbst feinster Gestaltungsnuancen besonders bemerkbar machte. Jaegers Abhandlung, die in ihrem zweiten Teil auch seine früheren Überlegungen zur Reklamearbeit von Hinkefuß in seiner eigenen “Internatio”-Agentur (Jaeger 2009) wieder aufgreift und erweitert, mag als Lehrstück dafür gelten, wie sich Biografien und Werke im Kontext der Emergenz von Kommunikationsberufen prototypisch verdichten lassen.

Mit Blick auf eine der berühmtesten Kampagnen Deffkes – der für den Erfurter, später Altonaer Zigarettenhersteller Reemtsma – gelingt dies Jaeger ganz ähnlich in einem zweiten Aufsatz, den er gemeinsam mit dem renommierten Werbegrafiker Peter Nils Dorén beiträgt. Sehr schön lassen sich hier die crossmedialen Verwertungsstrategien des visuellen Kernkonzepts nachvollziehen, vom Markenzeichen über Plakate, Anzeigenreklamen und Verpackungen bis hin zum Reklamemarsch der Werbefiguren, Ausstellungspräsentationen oder der Gestaltung der Fabrikfassade. Auch die übrigen Kapitel dieses mit über 600 Abbildungen an Anschauungsmaterial reichen, selbst hervorragend gelayouteten und exzellent gedruckten Bildbandes sind gut recherchiert und überaus lesenswert, die Brücke zu den Interessen unseres Fachs liegen jedoch nicht so klar auf der Hand. In diesem Sinne ließe sich denn das Vorwort des Stiftungsgründers Torsten Bröhan ins Positive wenden: Dort entschuldigt er sich dafür, dass sich das “Buch auf die gestaltungshistorische Bedeutung des Logoentwicklers Deffke” beschränken muss, auch “wenn Deffkes Werk animiert, sich mit dessen sozioökonomischer Relevanz in der modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft zu beschäftigen” (9).

Dieses Desiderat könnte man durchaus als Aufforderung an die historisch orientierte Kommunikationswissenschaft, namentlich die PR- und Werbeforschung verstehen, sich Deffkes Schaffen auch aus dieser Perspektive anzunehmen. Mit dem vorbildlichen Dokumentationsband, der für März 2014 auch in einer englischen Übersetzung angekündigt ist, und dem dahinter stehenden, der Forschung zugänglichen Archiv wären dafür jedenfalls beste Voraussetzungen gegeben.

Literatur:

  • Jaeger, Roland (2009): Moderne Werbegrafik von Carl Ernst Hinkefuß: ›Qualität‹, ›Mein Vogelparadies‹ und das Bauhaus. In Aus dem Antiquariat, NF 7, Nr. 3, S. 151-162.
  • Rössler, Patrick (2010): Die ›Neue Typograhie‹ und das Buch. Fachdiskurse und Umschlagentwürfe zwischen den Kriegen. In Windgätter, Christoph (Hrsg.): Wissen im Druck. Zur Epistemologie der modernen Buchgestaltung. Wiesbaden: Harrassowitz, S. 68-98.
  • Zipfel, Astrid (1997): Public Relations in der Elektroindustrie. Die Firmen Siemens und AEG 1847 bis 1939. Köln/Weimar/Wien: Böhlau.

Links:

 

Über das BuchBröhan Design Foundation (Hrsg.): Wilhelm Deffke. Pionier des modernen Logos. Zürich [Scheidegger & Spiess] 2014, 388 Seiten, 75 Euro.Empfohlene ZitierweiseBröhan Design Foundation (Hrsg.): Wilhelm Deffke. Pionier des modernen Logos. von Rössler, Patrick in rezensionen:kommunikation:medien, 29. Januar 2014, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/15638
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