Stig Hjarvard, Mia Lövheim (Hrsg.): Mediatization and Religion

Einzelrezension
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Rezensiert von Rüdiger Funiok

Mediatization and ReligionEinzelrezension
Der Sammelband mit zehn Beiträgen skandinavischer Forscher untersucht die gegenwärtigen Bezüge zwischen Medien, Religion und Kultur in ihren Ländern. Dazu gab es seit 1993 alle zwei Jahre eine Konferenz, seit 2006 sogar einen eigenes Forschungsnetzwerk, an dem Religionssoziologen, Medienforscher und Theologen teilnahmen. Sie wollten einerseits die US-amerikanischen Konzepte von Hoover u. a. in der Tradition der Cultural Studies aufgreifen, andererseits dezidiert die Besonderheiten der skandinavischen Gesellschaften berücksichtigen. Diese seien säkular, mit einer eher passiven lutherischen Staatskirche, aber auch einer erstarkten Präsenz von Religion. Diese neue Öffentlichkeit sei nicht nur der allgemeinen Mediatisierung geschuldet, die auch Kirche und Religion erfasst hat, sondern auch durch aktivere Religionsgemeinschaften ausgelöst, vor allem durch islamische Migranten (vgl. 11 f.).

Leider gibt es keine Bezüge zum deutschen Diskurs über die Mediatisierung des Religiösen, obwohl sich die meisten Studien (z. B. die von Hepp/Krönert 2009) derselben Tradition der Cultural Studies verpflichtet fühlen. Liegt es nur daran, dass die oben genannte Studie einen Event der “detorrialen” katholischen Kirche, nämlich den Weltjugendtag in Köln 2005 untersuchte und damit stärker den national-kulturellen Kommunikationsraum verließ als die Skandinavier? Ein Austausch über die “Dimensionen der Mediatisierung des Religiösen” (Hepp/Krönert 2009: 268 ff.) wäre sicher für beide Seiten bereichernd.

Unterhalb der Unterschiede im theoretischen Rahmenkonzept gibt es jedoch durchaus ähnliche Forschungsergebnisse und Thesen. Das wird schon am ersten Beitrag von Herausgeber Hjavard (Kopenhagen) deutlich; er unterscheidet drei Formen mediatisierter Religion. Da sind einmal die von den Kirchen verantworteten religiösen Medien, dann der (häufig kritische) Journalismus über Religion und Kirchen – und schließlich die “banale” Religion der populären Medienformate. In einem Schema zählt er die jeweiligen Genres, Quellen, Agenten und kommunikativen Funktionen der drei Formen auf (40).

Die Nutzung der Homepage der Evangelikalen Lutherischen Kirche Dänemarks untersucht der zweite Beitrag (45-61). Sein Autor Fischer-Nielsen sieht den Gewinn für eine derart “mediatisierte Kirche” in der Ergänzung zu seelsorglichen Kontakten, in der Gemeinschaftsbildung und Horizonterweiterung der Gläubigen.

Der dritte und vierte Beitrag behandeln das Agieren der Lutherischen Kirchen Dänemarks und Finnlands in der Mediendebatte über Homosexualität; Christensen (Aarhus) findet in seiner Inhaltsanalyse Belege für ein defensives Verhalten von Kirchenvertretern, die in der Homosexualität wie in anderen postmateriellen Wertorientierungen eine Bedrohung des Glaubens sehen. Moberg/Sjö (79-91) zeigen in ihrem Beitrag, dass die finnische Evangelikale Kirche – für die postsäkulare Situation angemessener – einen offeneren institutionellen Kontakt zu den Medien entwickelt hat.

Als erstes Beispiel eines religionsinduzierten sozialen Konflikts zeichnen die Norweger Lundby/Thorbjørnsrud den kuriosen Weg einer Muhammed-Karikatur in ihrem Land nach: von der Facebookseite der Sicherheitsbehörde in die Nachrichtenmedien. Das zweite Beispiel ist eine ethnographische Studie der Finnin Sumiala, die zeigt, wie Medien die Amokläufe an zwei Schulen mit dem Frame eines Tötungsrituals darstellen.

Der siebte und der achte Beitrag befassen sich mit der Mediennutzung der muslimischen Minorität in Dänemark, Schweden und Norwegen. Die schwedische Forscherin und Mitherausgeberin Lövheim zeigt in einer Fallstudie zu einem, von jungen Kurdinnen betriebenen Blog, dass hier ein Freiraum ethischer Diskurse eröffnet und eine moderne Identitätsbildung ermöglicht wird. Der in Kopenhagen lehrende Islamwissenschaftler Galal rekonstruiert in seinem theoretischen Beitrag (147-160), dass die moslemische Identitätsbildung auch in einer modernen westlichen Gesellschaft dem Prinzip “Belonging through Believing” folgt – im Unterschied zur nachchristlichen Subjektautomie des “Believing without Belonging”.

Die beiden letzten Beiträge befassen sich mit populärkulturellen Formen des Religiösen. In einem Tiefeninterview, also einer Einzelfallstudie,  rekonstruiert Petersen die Transformationen von religiösen Vorstellungen und Emotionen bei einer Angehörigen der Fangemeinde der dänischen Twighligt Saga. Im letzten Beitrag des Sammelbandes plädiert die norwegische Theologin Lied dafür, dass die großen Themen der Populärmedien Eingang in die theologische Ausbildung finden sollten, auch wenn die Medienmythen und -symbole  “etwas anders” als in der Theologie (185) erscheinen – eine Forderung, die auch bei deutschen Religionspädagogen Zustimmung finden dürfte (z. B. Pirner/Breuer 2004).

Der Gewinn dieses skandinavischen Sammelbandes zur Mediatisierung des Religiösen dürfte für den deutschen Leser in der Validierung etlicher vertrauter Thesen liegen – und in der Einsicht, dass Medienreligiosität auch im Zeitalter globaler Medien eine national-kulturelle Prägung behält.

Literatur:

  • Hepp, A.; V. Krönert: Medien – Event – Religion. Die Mediatisierung des Religiösen. Wiesbaden [Springer VS] 2009.
  • Pirner, M. L.; Th. Breuer (Hrsg.): Medien – Bildung – Religion. Zum Verhältnis von Medienpädagogik und Religionspädagogik in Theorie, Empirie und Praxis. München [Kopaed] 2004.

Links:

Über das BuchStig Hjarvard, Mia Lövheim: Mediatization and Religion. Nordic Perspectives. Göteborg [Nordicom] 2012, 212 Seiten, 28 Euro.Empfohlene ZitierweiseStig Hjarvard, Mia Lövheim (Hrsg.): Mediatization and Religion. von Funiok, Rüdiger in rezensionen:kommunikation:medien, 26. November 2013, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/14911
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