Rezensiert von Per Christiansen
“Litigation-PR” ist ein markiges Schlagwort, mit dem Anwälte und PR-Strategen ein neues Beratungsprodukt bezeichnen, das sie aus den USA importiert haben: die strategische kommunikative Begleitung von Gerichtsverfahren. PR-Arbeit durch Rechtsanwälte kennen wir seit je her aus prominenten Strafverfahren, in denen Verteidiger um die Reputation ihrer durch die Verdachtsberichterstattung der Medien bereits vorverurteilten Mandanten ringen. “Litigation-PR” verspricht jedoch weit mehr als bloß ein Reputationsmanagement für Verfahrensbeteiligte. Es sei möglich, mittelbar über die Medien Einfluss auf den Ausgang des juristischen Verfahrens zu nehmen, durch mediale Maßnahmen also letztlich juristisch zu gewinnen. Sei die gewünschte eigene Position im “Gerichtshof der Meinungen” in der Öffentlichkeit erst einmal akzeptiert und etabliert, würden sich auch Richter dieser Position viel leichter anschließen. PR-Arbeit wird damit zu einem (kostspieligen) Bestandteil der Prozessführung, der von hochspezialisierten Agenturen ausgeführt wird. Die Branche in den USA feierte sich jüngst im Zusammenhang mit dem Amanda-Knox-Fall, der jedem Interessierten als prägnantes Beispiel für die Arbeitsweise von Litigation-PR empfohlen ist.1Litigation-PR, verstanden als mittelbare kommunikative Verfahrensbeeinflussung, ist in Deutschland neu. Der von Boehme-Neßler herausgegebene Sammelband stellt den ersten Versuch dar, diese neue Richtung zu rechts-, sozial- und kommunikationswissenschaftlich zu erfassen. Der Herausgeber ist im besonderen Maße hierzu geeignet, weil er nicht nur erfahrener Staats- und Medienrechtler ist, sondern auch in den Sozialwissenschaften mit dem Blick für tatsächliche Auswirkungen forscht.
In dem Band stellt er Beiträge von Autoren unterschiedlicher Disziplinen zusammen: Ausgewiesene Journalisten, Richter, Anwälte, PR-Berater und Wissenschaftler (leider jedoch keine Staatsanwälte). Die Beiträge folgen nicht einem systematischen Konzept, sondern liefern jeweils ein Mosaiksteinchen aus der Perspektive des Autors, nicht selten in Form von Anekdoten aus der eigenen Arbeit, und nicht selten geprägt von Eigeninteressen. In der Zusammenschau bietet der Sammelband daher Anschauungsmaterial und Sachverhaltsgrundlage für die Erfassung des Themas.
Die Ergebnisse der Aufarbeitung sind überraschend und zeigen, wie wichtig es ist, Litigation-PR besser zu verstehen. Das Vorurteil, in Deutschland könne es anders als in den USA keine wirksame Litigation-PR geben, weil es in Deutschland keine mit Laien besetzen Jurys, sondern nur auf Faktenbezogenheit trainierte Berufsrichter gibt, wird durch erste empirische Forschung widerlegt.2 In einer Befragung gaben Richter an, in der Bestimmung des Strafmasses würden sie vermutlich durch ein mediales Meinungsbild beeinflusst. Überdies halten viele Autoren eine darüber hinausgehende Beeinflussung für möglich. In der Bewertung von Litigation-PR gelangt man zu einer ambivalenten Einschätzung: Einerseits sind Medien zentraler Bestandteil eines demokratischen Systems und einer Mediengesellschaft. Im Bereich der Justiz wird die Öffentlichkeit von Verfahren, die im Rechtsstaat der Kontrolle der Justiz dient, über die Medien überhaupt erst vermittelt. Auf der anderen Seite birgt der Einsatz von Maßnahmen der Litigation-PR Gefahren für die rechtsstaatlichen Abläufe der Justiz: Richter sollen unabhängig entscheiden, also auch unbeeinflusst vom medialen “Über-die-Bande-Spielen” von Prozessparteien. Sie haben nach der Beweislage aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu entscheiden, und nicht etwa aufgrund einer diffusen Stimmungslage in Zeitungen und Internet-Foren. Auch soll vor Gericht prozessuale Waffengleichheit herrschen. Es soll nicht derjenige bessere Chancen auf sein Recht haben, der sich eine teure PR-Agentur leisten kann.
Mit dieser lesenswerten Bestandsaufnahme werden Folgefragen aufgeworfen: Wie bedeutend ist der Einfluss, den Litigation-PR auf den Verfahrensausgang nehmen kann? Wie lässt er sich quantifizieren? Sollte der Gesetzgeber für die psychische Lage der Richter bei Entscheidungsfindung durch Maßnahmen Sorge tragen? Wie kann man überhaupt als Staat oder als Gegenpartei auf Maßnahmen der Litigation-PR reagieren?
So ist der Sammelband ein Startpunkt für die Erforschung der richterlichen Entscheidungsfindung. Die Kommunikationswissenschaften sind gefragt, Maßnahmen für eine Immunisierung der richterlichen Entscheidungen gegenüber beeinflussender Meinungsmache vorzuschlagen. Die Rechtswissenschaft hat Aussagen darüber zu treffen, welche Maßnahmen zulässig sind und welche die Grenze überschreiten. Der Praktiker hingegen lernt aus den Schilderungen des Sammelbandes, Litigation-PR zu erkennen, sie einzusetzen oder sich gegen sie zu rüsten.
Der Herausgeber entwickelt mittlerweile seine Thesen in weiteren juristischen Fachbeiträgen fort, vgl. etwa Boehme-Neßler: Unabhängige Richter in der Mediengesellschaft?, In: Archiv für Presserecht (AfP) 2010, 539ff., sowie weitere Nachweise auf der Webpräsenz von Volker Boehme-Neßler.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Volker Boehme-Neßler an der Hochschule für Wirtschaft und Technik Berlin
- Webpräsenz von Per Christiansen beim Hans-Bredow-Institut
- Blog von Per Christiansen zum Thema Litigation-PR
- Vgl. den ungewöhnlich umfangreichen Wikipedia-Artikel hierzu. ↩
- Kepplinger, Hans Matthias: Die Öffentlichkeit als Richter? Empirische Erkenntnisse zu einer brisanten Frage, 154ff. ↩