Rezensiert von Margareta Bloom-Schinnerl
Radio – obwohl von vielen als gestrig angesehen – ist und bleibt aktuell. Es ist ‘Zeitgeist, modern und flexibel’. Das unterstreicht die 2. aktualisierte und erweiterte Auflage des Buches Praxiswissen Radio von Dieter K. Müller und Esther Raff. Der Untertitel lautet Wie Radio gemacht wird – und, etwas irreführend – wie Radiowerbung anmacht. Letzteres legt die Vermutung nahe, dass sich die Veröffentlichung an Werbetreibende und Marketingexperten richtet, deren Ziel Gewinnmaximierung mittels ausgeklügelter Radiowerbung ist. Der Inhalt bietet jedoch viel mehr als Wissen darüber, wie man ‘bessere Funkspots’ macht und wie man ihre Wirksamkeit misst.Die Autoren
- beschreiben die Radiolandschaft Deutschlands mit ihren vielfältigen privaten und öffentlich-rechtlichen Hörfunkangeboten
- präsentieren aktuelle Zahlen zur Beschäftigungssituation und zur wirtschaftlichen Lage des Rundfunks
- diskutieren sehr fundiert zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten und Chancen des Mediums,
- stellen aktuelle Studien vor, deren Ergebnisse kenntnisreich und praxisbezogen diskutiert werden
Interessant sind zum Beispiel die im Buch präsentierten Ergebnisse der morphologischen Trendforschung. Auf dem Hintergrund einer immer weniger strukturierten Gesellschaft – ‘liquid modernity’ – gibt Radiohören dem eigenen Alltag einen klaren Rhythmus, setzt Orientierungs- und Ankerpunkte und bietet so Sicherheit und emotionale Verlässlichkeit. “Die psychologischen Kernfunktionen von Radio werden auch in der Liquid Modernity der Zukunft in der emotionalen Erdung, Orientierung und Stabilisierung liegen” (199).
In mehreren Kapiteln erhält der Leser Informationen über verschiedene Werbeformen, über Werbezeiten-Vermarkter, über Kostenpläne und Buchung. Die Autoren machen aber auch keinen Bogen um detaillierte Gestaltungsfragen.
Dass Radiowerbung so oft einfach nur nervt, hat mit profunden handwerklichen Fehlern zu tun: “möglichst viele Informationen in kurzer Zeit, möglichst oft der Produktname, möglichst oft die Telefonnummer, Adresse, Preise, Öffnungszeiten etc. In einem üblichen Funkspot wird man von einem Menschen 15 bis 20 Sekunden lang angebrüllt” (76).
Wie es besser und effektiver geht, skizzieren die Autoren auf der Grundlage von entsprechenden Forschungsergebnissen. Der Leser findet überraschend konkrete Tipps, zum Beispiel: Musik mit Gesang ist besser als Instrumentalmusik, die Stimmen von Testimonials schaffen Aufmerksamkeit, Dialekt ist ein Stilmittel, das Sympathien weckt, kleine Geschichten schneiden besser ab als Faktenauflistung.
Im Unterton schwingt der Versuch der beiden aus dem öffentlich-rechtlichen Umfeld stammenden Herausgeber mit, die Planer und Macher des privaten Hörfunks zu einem einvernehmlichen Einstieg in das große Zukunftsschiff Radio zu bewegen. So zum Beispiel, wenn die Ergebnisse einer Expertenbefragung betont werden, aus der hervorgeht, dass Mediaplaner die privaten Hörfunkanbieter als Ergänzungsmedium meiden würden, wenn sie nicht gleichzeitig via öffentlich-rechtlichem Rundfunk schnelle Reichweiten aufbauen könnten. Zitat: “Die Mediaplanungsszenarien machen deutlich, dass ohne den ARD-Hörfunk viele Hörer gar nicht mit Werbebotschaften erreicht werden können” (23). Folge: Hörfunk könnte dadurch als Werbeträger komplett in Frage gestellt werden und das könnte wiederum zu einer rigorosen Umstrukturierung der Hörfunklandschaft führen.
Der Leser erhält vielfältige Antworten auf die Frage, wo denn nun die unbestreitbaren Stärken des Mediums liegen: Radio vermittelt Emotionen, beflügelt Gefühle, Erinnerungen und Träume, kann Spannung erzeugen, vermittelt Denkanstöße, wirkt entspannend und anregend, bietet Neues und Nützliches für den Alltag.
Dieses Buch kann empfohlen werden für Werbetreibende, aber auch für alle, die mit der Konzeption und Produktion, also mit der Praxis des Radios zu tun haben.
Für Hans-Jürgen Krug ist das Radio in erster Linie ein Kulturgut. Ihn interessieren vor allem historische Aspekte, Entstehung und Entwicklung des Mediums nehmen einen breiten Raum in seinem Buch ein. So zum Beispiel die Verschiebung der Primetime des Mediums im Laufe der Jahrzehnte vom Abend in den Morgen, was die veränderte Mediennutzung widerspiegelt.
Weitere Meilensteine in der Entwicklungsgeschichte des Radios, die der Autor in gesamtgesellschaftlichen Bezügen darstellt: die Einführung der aus den USA stammenden Magazinform im Hörfunk, die Gründung der Autofahrer- und Servicewellen (hr3, Bayern 3 etc.), die Gründungswelle der ‘Jugendradios’ Anfang der 1990er Jahre (Sputnik, Fritz, N-JOY, 1LIVE, DASDING etc.), die Entstehung der Infoprogramme (B5 aktuell, MDR Info, NDR Info etc.) bis hin zur Etablierung der anfangs verpönten Selbstfahrerstudios und der per Computer generierten Musik-Playlists.
Hans-Jürgen Krug handelt die geschichtlichen Aspekte nicht in chronologischer Reihenfolge ab, sondern versucht sie in jedem Kapitel in diachronen Schnitten sichtbar zu machen. Das betrifft sowohl die ökonomische Entwicklung des Mediums als auch einzelne Punkte wie Nachrichten, Politik, Unterhaltung, Kultur etc.
An einigen Punkten finden sich nicht gründlich recherchierte Details. So zum Beispiel im ersten Kapitel, wo es heißt: “Die knappen Sendefrequenzen führten nach 1945 dazu, dass der Nachkriegshörfunk als öffentlich-rechtliches Medium entstand” (19). Hier lässt der Autor außer Acht, dass es vor allem die Vorstellungen und Vorgaben der Militärregierungen waren, die zur Form des öffentlich-rechtlichen Rundfunks führten. Ebenso datiert der Autor die Einführung des dualen Rundfunksystems auf das Jahr 1986 (36), tatsächlich jedoch besteht es seit 1984.
Das Buch ist eine Aufforderung an Studierende und Wissenschaftler, sich endlich mit dem Medium Radio auseinanderzusetzen, zu forschen und zu analysieren. Bachelor- und Masterstudenten, Promotions- und Habilitationswilligen öffnet sich ein breites Themenspektrum. Das Buch ist durchzogen mit Hinweisen auf weiße Flächen in der Forschung, zum Beispiel: “Die Geschichten des Privatradios sind weitgehend ungeschrieben” (29), “Inwiefern sich zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Radio werbungsinduzierte Konvergenzen ergeben, ist ununtersucht” (38). “Über die […] Folgen für den Hörfunkjournalismus und die Programme weiß man nur wenig” (52). “Die Radioforschung hat sich bisher der Analyse dieses (inhaltlichen) ‘Begleitsounds’ entzogen” (53). “Weder die Medien noch die Kommunikationswissenschaft haben bisher Untersuchungen zum formatierten Radioklang vorgelegt” (59).
Allen, die sich für wissenschaftliche Forschung im Bereich Radio interessieren, sei dieses Buch empfohlen.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch Praxiswissen Radio
- Verlagsinformationen zum Buch Radio
- Webpräsenz von Margareta Bloom-Schinnerl an der Hochschule Osnabrück
Hans-Jürgen Krug: Radio. Konstanz [UVK/UTB Profile] 2010, 118 Seiten, 9,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseRadio in Wissenschaft und Praxis. von Bloom-Schinnerl, Margareta in rezensionen:kommunikation:medien, 20. November 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/7094
Nur eine kleine Ergänzung zu der verdienstvollen “Sammelrezension”. Zum dualen System steht auf Seite 28 des Bandes “Radio”: “Es war ein Neubeginn in Etappen. Während das duale System beim Fernsehen 1984 sehr breit startete, ging es beim Hörfunk langsam und regional zu …”. Auf Seite 36 – wie oben als Beleg angeführt – werden weder die “Einführung des dualen Rundfunksystems” noch die Jahreszahl 1986 erwähnt. HJK
Der Beleg findet sich nicht auf Seite 36, sondern auf Seite 35: “Die Einführung des dualen Systems 1986 schuf auch in Deutschland einen neuen, rein werbefinanzierten kommerziellen Radiomarkt.” MBS
Ich werde den Fehler mit Ihrem Einverstänis korrigieren.
Beste Grüße, Gesa Schölgens (Redaktion r:k:m)
Das duale System beginnt beim Hörfunk tatsächlich erst 1986 mit dem Sendestart von Radio Schleswig-Holstein. Das duale Rundfunksystem lässt man gemeinhin 1984 beginnen, aber der Begriff beschreibt vor allem Entwicklungen im Fernsehbereich. Beim Radio ist das anders. Deshalb schreibe ich auch nicht vom “dualen Rundfunksystem”. Herzlich, HJK