Patrick Voßkamp: Sprechen, um zu schreiben

Einzelrezension
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Rezensiert von Heiner Apel

Einzelrezension
Sprechen, um zu schreiben klingt zunächst wie eine fehlerhafte Inversion, wie eine unkonventionelle Umkehrung des Vertrauten, denn für gewöhnlich funktionieren die genannten Tätigkeiten in anderer Richtung: zunächst wird etwas geschrieben (z. B. ein Beitrag für eine Radiosendung) und dies dann gesprochen, damit es auf Sendung gehen kann. Was heißt nun “Sprechen, um zu schreiben”? Das Feld des Journalismus wird tatsächlich berührt, aber eben nicht der Hörfunk oder das Fernsehen, sondern das klassische, alte Zeitungsgeschäft, genauer der Lokaljournalismus. Patrick Voßkamp, selbst in einer Redaktion als freier Mitarbeiter im Lokalen tätig sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Duisburg-Essen, untersucht, inwieweit mündliche kommunikative Fähigkeiten für den Lokaljournalismus notwendig sind, z. B. um gewünschte Informationen, die veröffentlicht werden sollen, zu erhalten – im Fokus steht hier also das Recherchegespräch. Warum gerade Lokaljournalismus? Lokaljournalismus wird oft unterschätzt in seiner Komplexität. Der Lokaljournalist agiert häufig als ‘Generalist’, der vielfältige Themen mit unterschiedlichsten Informanten recherchieren muss. Demzufolge besitzt das Gespräch im Alltag von Lokaljournalisten einen hohen Stellenwert, wurde aber bislang weniger intensiv erforscht.

Ein Ziel des Buches formuliert der Autor daher so: “Für den Lokaljournalismus wäre indes viel gewonnen, wenn ein Bewusstsein für die Bedeutung mündlicher kommunikativer Fähigkeiten der professionell Schreibenden geschaffen wird, wenn geschaut wird, wie Lokalredakteure mit ihren Gesprächspartnern auf verbaler Ebene interagieren und ob sie dabei womöglich im Laufe ihrer beruflichen Sozialisation (unbewusst) bestimmte Verfahren erworben haben” (59). Dieses Ziel wird bearbeitet, indem der Autor die Recherchegespräche von Lokaljournalisten mit den Mitteln der Gesprächsanalyse untersucht und aus dieser Untersuchung Befunde extrahiert.

Wie geht der Autor vor? Zunächst gibt er einen Abriss über die Geschichte und die Stellung des Lokalen im redaktionellen Bereich einer Zeitung, um danach seinen methodischen Ansatz in der Betrachtung des Mündlichen vorzustellen: die Angewandte Gesprächsforschung. Dies geschieht, verbunden mit einem kurzen Abriss zur Geschichte der Gesprächsforschung, knapp, übersichtlich und gut lesbar. In einem weiteren Teil werden die konkreten Untersuchungsgegenstände (Redaktion, Redakteure und Recherchegespräche) vorgestellt, um sich dann der ausführlichen Analyse der Recherchegespräche der Journalisten zu widmen. Diese Analyse folgt einer Phaseneinteilung von Gesprächen und differenziert Eröffnungsphase, Beendigungsphase und Kernphase. Eine kurze Zusammenfassung rundet die Studie ab.

Patrick Voßkamp zeigt detailliert, mit welchen Verfahren Lokaljournalisten vorgehen, um ihre Gesprächspartner zu motivieren, relevante Informationen zu erläutern. Dies ist eine große Stärke (neben dem sehr anschaulichen und dennoch nicht oberflächlichen Schreibstil) des Buches: in jeder der drei Gesprächsphasen identifiziert der Autor Verfahren der kommunikativen Praxis der Verständnisherstellung und -sicherung. Zudem liegt ein weiterer Schwerpunkt in der Analyse der Beziehungsgestaltung der Interaktanten, die gerade im Bereich des Lokalen eine hohe Relevanz besitzt. Diese Verfahren zu ermitteln und empirisch für die Gesprächssorte ‘Recherchegespräch’ in verschiedenen Kontexten zu belegen, ist ein Verdienst des Buches, das damit eben nicht nur für die Fachwissenschaftler, sondern auch (und dies wurde als Anspruch formuliert) “außerhalb der Universität” (15) für Redakteure, Volontäre etc. interessant wird.

Die Analyse an sich geschieht terminologisch und fachlich präzise, sodass anhand der Transkripte die verbalen Handlungen der Redakteure zum einen transparent gemacht und zum anderen systematisiert werden. Darüber hinaus werden die Verhaltensweisen der Redakteure auch kritisch betrachtet und vom Autor einerseits positiv eingeschätzt (Wissenstransfer, positive Beziehungsgestaltung), andererseits aber auch negativ bewertet. Dies betrifft v. a. die teilweise fehlende kritische Distanz der Redakteure, die eine negative Berichterstattung verhindert, jedoch durch die speziellen Bedingungen des Lokaljournalismus erklärt werden kann.

Kleinere Mängel des Buches betreffen eher die formale Gestaltung: im Text vorkommende Unterkapitel der vierten Ebene werden im Inhaltsverzeichnis nicht aufgeführt, zudem wird auf einen Anhang verwiesen, der die Transkriptgestaltung erläutern soll – dieser fehlt allerdings im Buch.

Die Relevanz mündlicher Kommunikation sowie die Notwendigkeit der Schulung von Gesprächskompetenz auch in einem eigentlich dem Schreiben verpflichteten Beruf wie dem des Lokaljournalisten wird durch die leicht lesbare Studie sowie den empirischen Nachweis anhand der Transkripte untermauert. Aus diesem Grund sollte sich der Wunsch des Autors, “dass der Austausch zwischen Journalismus und Linguistik durch diese Arbeit, über den Bereich der Schriftlichkeit hinaus, […] intensiviert wird” (15), hoffentlich bewahrheiten.

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Über das BuchPatrick Voßkamp: Sprechen, um zu schreiben. Mündliche Kommunikation im Lokaljournalismus. Reihe: Essener Schriften zur Sprach-, Kultur- und Literaturwissenschaft (ESS-Kultur), Band 3. Duisburg [Universitätsverlag Rhein-Ruhr (UVRR)] 2010, 265 Seiten, 39,90 Euro.Empfohlene ZitierweisePatrick Voßkamp: Sprechen, um zu schreiben. von Apel, Heiner in rezensionen:kommunikation:medien, 16. November 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/7050
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