Rezensiert von Sarah Lubjuhn und Oliver Stengel
Vor dem Hintergrund der aktuell kursierenden Schweinegrippe ist das Verhältnis von Medien und Medizin erneut in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Aufgeregt berichten Journalisten weltweit über Symptome, Ausbreitungswege und Todesopfer des Virus. Zu Beginn der Pandemie wurde in den Massenmedien die Sorge geschürt, der Menschheit stehe eine neuerliche Spanische Grippe bevor. Die Wahrscheinlichkeit, sich mit dem ‘Todesvirus’ zu infizieren, sei sehr hoch, ließen populistische Medien verlauten. Tatsächlich starben bislang weniger als ein Prozent der Infizierten am Erreger – nicht mehr als bei ‘normalen’ Grippewellen. Die aber sind – eben weil sie alljährlich wiederkehren und deswegen banal scheinen – kein publizistischer “Glücksfall” (53) und werden von den Massenmedien folglich kaum registriert.Der hier exemplarisch angeführte Fall der medial inszenierten Schweinegrippe spiegelt ein Argument wider, welches sich in der Mehrheit der Beiträge des von Peter Stulz und Gaetano Romano herausgegebenen Sammelbandes finden lässt: Das Sensationsstreben der Massenmedien – meist zu Lasten einer kritischen und aufrichtigen Berichterstattung. Es wird beständig das Bild eines Medienschaffenden gezeichnet, welcher Tatsachen übersteigert und fortlaufend auf der Suche nach skurrilen, schockierenden und emotional mitreißenden Geschichten ist, die Privates – wie zum Bespiel den Todeskampf der krebskranken Britin Jade Goody – öffentlich zugänglich machen.
Die überwiegend vortheoretisch diskutierten Beiträge in dem vorliegenden Sammelband Medien und Medizin untersuchen Ursache und Einfluss der massenmedialen Berichterstattung auf die Rezipienten und Patienten. Dabei gelangen die Autorinnen und Autoren im Großen und Ganzen zu der Übereinstimmung, dass 1) der Infotainmentstil und das Interesse am Sensationellen sowie 2) die Fülle erhältlicher medizinischer Informationen im Fernsehen und der leichte Zugang zu diesen Informationen insbesondere über das Internet zweierlei negative Wirkungen haben:
Zum einen führen sie zu überschießenden Reaktionen, ausgelöst durch unseriöse Versprechungen hinsichtlich neuer Therapien oder durch die Verbreitung von Angst. So resümiert etwa Giovanni Maios in seiner Analyse von TV-Sendungen zum Thema Klonen, diese zeigten medizinische Themen “in der Polarisierung zwischen Horror und Verheißung” (61). Regula Heusser-Markun macht dagegen die Beobachtung, die in den Massenmedien vielfach unprofessionell diskutierten medizinischen Fragen führten zu hypochondrischem Verhalten (50). Dies stelle ein großes Gefahrenpotenzial dar – insbesondere dann, wenn sich Rezipienten und Patienten massenmediale Antworten auf Präventionsmaßnahmen und Handlungsstrategien erhofften.
Zum anderen generieren die vor allem im Fernsehen und Internet kursierenden medizinischen Datenmassen überinformierte Patienten. Letztere Entwicklung hätte ein neues Arzt-Patienten-Verhältnis hervorgebracht (siehe Peter Stulz [110f.] oder Frank Nager [116f.]): Patienten träten selbstbewusster und kritischer in den Praxen auf, Ärzte müssten viel von ihrem Status als “Götter in Weiß” (120) einbüßen. Diese – an sich positive, weil eine Abnahme an Paternalismus suggerierende – Entwicklung werde jedoch oftmals durch die Art verzerrt, in der über Medizin berichtet werde – nämlich als ‘Häppchenjournalismus’, der letztlich unsachgerechte Halbwahrheiten verbreite und die Ärzte deswegen mit zwar selbstbewussten, oft aber fehlinformierten Patienten (121f.) konfrontiere. Die dadurch entstehende Gefahr sei keine geringe. Nicht selten nämlich verschlössen sich Patienten den therapeutischen Vorschlägen ihrer Ärzte, um alternative Praktiken anzuwenden, die sie aus den Massenmedien kennen.
Aus diesen Gründen wiederholt sich in vielen Beiträgen des Buches vor allem ein Motiv: Medienschelte. Im Grunde hätten die Massenmedien durchaus das Potenzial, die Bevölkerung sachgerecht zu informieren, sie aufzuklären und in ihrer Mündigkeit zu unterstützen. Jenseits der den Laien kaum zugänglichen Fachpresse sei dies aber kaum der Fall. Jene Kluft zwischen dem Gegebenen und dem Möglichen gedenken die Beiträge von Peter Studer (32ff.) und Annemarie Pieper (45ff.) dadurch zu überbrücken, indem sie Journalisten an ihre beruflichen Tugenden erinnern.
Die Ursache für die Kluft zwischen dem Gegebenen und dem Möglichen, zwischen Sein und Sollen also, erkennt Gaetano Romano in der Ausdifferenzierung des “Funktionssystems der massenmedialen Kommunikation” (18). Dieses soziale Teilsystem sei durch eine spezifische Beobachtungsweise geprägt, die nicht der Wahrheit, der Didaktik oder der Ethik, sondern der Maximierung von Aufmerksamkeit verpflichtet sei. Journalisten wären folglich gezwungen, nüchterne Objektivität emotionalem Entertainment zu opfern, die akribische Recherche der raschen Produktion von Sensationen.
Das Buch macht – in einer allgemeinverständlichen Sprache – zweifellos auf eine wichtige gesellschaftliche Entwicklung aufmerksam, die es verdient, aufgegriffen und vertieft zu werden. Allerdings irrt es in der Erklärung dieser Entwicklung, und es ist deshalb fraglich, ob der Appell an die journalistische Tugend das geeignete Gegenmittel ist.
Denn aus der soziologischen Perspektive macht weniger die Ausdifferenzierung der Massenmedien als vielmehr die Entdifferenzierung der Gesellschaft durch die Ökonomie die kritisierten Prozesse erst verständlich (vgl. Richter 2009). Das Vordringen ökonomischer Imperative in das Teilsystem Medien löst den Kampf um Quoten, Ab- und Umsätze aus und nagt am journalistischen Ehrenkodex. Der oberflächliche, sensationsorientierte Häppchenjournalismus ist für Rezipienten leichter verdaulich, spannender zu lesen und verkauft sich letztlich besser als die schwere Kost tiefschürfender Reportagen.
Aus medientheoretischer Perspektive ist auffällig, dass beim Gros der Beiträge des Sammelbandes zwischen den Zeilen zu lesen ist, der Rezipient sei den Massenmedien ‘ausgeliefert’ und könne sich deren Einflussnahme nur schwerlich entziehen (vgl. McQuail 2005). Diese senderorientierte Beeinflussung durch die Medien, die den Mediennutzern vielmehr einen passiven als einen aktiven Anteil bei der Rezeption von Informationen zuschreibt, ist ein zentrales Motiv des Buches.
Dem gilt es entgegenzuhalten: Der Zuschauer mag auch als autonomes Wesen in der Aufnahme und Verarbeitung von Medieninformationen gesehen werden (vgl. Hepp 2004). Denn so vielfältig eine Medienberichterstattung ausfallen kann, so vielfältig können die Gründe sein, warum – oder gerade auch: warum nicht – Medienbotschaften beim Rezipienten ‘ankommen’.
Mediennutzer besitzen unterschiedliche Bildungsstandards, sie stammen aus unterschiedlichen sozial-ökonomischen Schichten, sie besitzen vielfältige Interessen, Lebensstile und Routinen. Folglich rezipieren sie medial vermittelte Medizininformationen mannigfach und verhalten sich ebenso vielgestaltig als Patient im Behandlungszimmer. Damit mag der überinformierte Patient, der beispielsweise 25 verschiedene Operationstechniken bereits vor dem ersten Gespräch mit seinem Arzt gegoogelt hat (siehe Romano [14]) ein Charakteristikum für einen besonderen Patiententyp darstellen – jenen zum Beispiel, der aus einem mittleren bzw. höheren sozial-ökonomischen Milieu stammt und ein durchschnittliches bis hohes Bildungsniveau besitzt (vgl. Bouman 1999). Dies mag ebenso für das nachgezeichnete Bild des Patienten mit überschießenden Reaktionen gelten.
Der hier angedeutete und vielfach in der Gesundheitskommunikation aufgegriffene Diskurs zu den Zielgruppen von medialen Medizinbotschaften klingt in einzelnen Beiträgen des Sammelbandes an (siehe Frank Nager und Peter Stulz), wird jedoch im Rahmen eines eintönigen Rezipienten-/Patientenbildes behandelt.
Die Mehrheit der Beiträge argumentiert, dass die meisten Menschen affin für eine unterhaltsame und sensationsorientierte Kommunikation seien und diese von den Medien infolgedessen auch umgesetzt werde, um den Absatz zu erhöhen. In Folge dieser Entwicklung werden von den Autorinnen und Autoren vorwiegend negative Aspekte von Info- bzw. Edutainment-Formaten herausgestellt. Hier gilt es einzuwenden, dass Studien aus der Gesundheitskommunikation (Center for Disease Control and Prevention et al. 2000, 2005; Hether et al. 2008; Kaiser Family Foundation 2008; Lampert 2003 und 2007; Morgan et al. 2009; Valente et al. 2007) ein differenzierteres Bild nachzeichnen, welches nicht nur negative, sondern – eben auch – positive Effekte solcher Medienformate auf den Rezipienten hervorheben. Nach diesen Studien sind es affektiv orientierte Rezipienten, die den kritisierten Sensationsbeiträgen in den Massenmedien etwas abgewinnen können: Ihr Wissen über medizinische und gesundheitliche Zusammenhänge nimmt durch eine unterhaltsame Berichterstattung zu und ihre Einstellungen und Verhaltensweisen verändern sich zugunsten eines gesünderen Lebensstils im Alltag (zum Beispiel in Form einer gesünderen Ernährung oder mehr Bewegung).
Dem Sammelband fehlt es an dieser Stelle folglich an einer differenzierteren Betrachtung, die den Rezipienten bzw. den Patienten im Alltag umfangreicher beleuchtet, verschiedene Bedürfnisse nachzeichnet und Unterscheidungen in der Medienrezeption und den damit verbundenen Informationsbedürfnissen und -verhaltensweisen vornimmt.
Fazit: Die Analyse und Kritik der Autoren ist sehr verdienstvoll, grundlegend neu ist sie aber nicht. Schon Pierre Bourdieu (1998) kritisierte das den ökonomischen Erfolg messende ‘göttliche Gericht’ der Einschaltquote, welches die Suche nach dem Sensationellen und Neuen im Fernsehen erzwingt und das Tiefgründige verdrängt. Die anhaltende Diskussion über die massenmediale Berichterstattung aber zeigt, dass hier ein gesellschaftliches Problem seiner Lösung harrt. Dem Buch von Peter Stulz und Gaetano Romano ist zu wünschen, dass es zu einer Lösung beizutragen vermag.
Literatur:
- Bouman, M.P.A.: The turtle and the peacock. Collaboration for prosoial change. Wageningen [Wageningen Agricultural University] 1999.
- Bourdieu, P.: Über das Fernsehen. Frankfurt am Main [Suhrkamp Verlag] 1998.
- Center for Disease Control and Prevention (CDC); Hollywood, Health & Society (Hrsg.): TV Drama/Comedy Viewers and Health Information. Washington [Porter Novelli HealthStyles Survey] 2000 und 2005.
- Hepp, A.: Netzwerke der Medien. Medienkulturen und Globalisierung. Wiesbaden [VS Verlag für Sozialwissenschaften] 2004.
- Hether, H. J.; Huang, G.; Beck, V.; Murphy, S.T.; Valente, T.W.: “Entertainment-Education in a media-saturated environment. Examining the impacts of single and multiple exposure to breast cancer storylines on two popular medical dramas.” In: Journal of Health Communication, 13/8, 2008, S. 808-823.
- Kaiser Family Foundation (Hrsg.): Television as a health educator. A case study of Grey’s Anatomy. Menlo Park [Kaiser Family Foundation] 2008.
- Lampert, C.: “Gesundheitsförderung durch Unterhaltung? Zum Potenzial des Entertainment-Education-Ansatzes für die Förderung des Gesundheitsbewusstseins.” In: Medien & Kommunikationswissenschaft, 51, 2003, S. 461-477.
- Lampert, C.: Gesundheitsförderung im Unterhaltungsformat. Wie Jugendliche gesundheitsbezogene Botschaften in fiktionalen Fernsehangeboten wahrnehmen und bewerten. Baden-Baden [Nomos] 2007.
- McQuail, D.: McQuail’s mass communication theory. London [Sage] 2005.
- Morgan, S. E.; Movius, L.; Cody, M.: “The power of narratives. The effects of entertainment television organ donation storylines on attitudes, knowledge, and behavior of donors and non-donors.” In: Journal of Communication, 58, 2009.
- Richter, P.: Ökonomisierung als gesellschaftliche Entdifferenzierung. Konstanz [UVK] 2009.
- Valente, T.W.; Murphy, S.T.; Beck, V.; Greene, J.: “Evaluating a minor storyline on ER about teen obesity, hypertension and 5 A Day.” In: Journal of Health Communication, 12/6, 2007, S. 551-566.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Sarah Lubjuhn an der Universität Duisburg-Essen
- Webpräsenz von Oliver Stengel am Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie