Rezensiert von Philip Baugut
Der vorliegende Sammelband erscheint in mehrerer Hinsicht breit angelegt: Auf fast 500 Seiten wird das vielschichtige und im 20. Jahrhundert überaus wechselvolle “Verhältnis von Medien, Öffentlichkeiten und Politik” untersucht. Am Beginn steht eine theoretische und begriffliche Auseinandersetzung mit der “Medialisierung der Politik” (Teil 1). Es folgen Fallstudien zum Verhältnis von Medien und Politik, wobei beide Hälften des 20. Jahrhunderts beleuchtet werden (Teile 2 und 3). Am Ende findet sich eine Analyse historischer Diskurse zur Medialisierung der Politik (Teil 4). Das ambitionierte Werk ist das Ergebnis einer 2007 veranstalteten Tagung, die (mit der ARD und dem konservativen Seeheimer Kreis der SPD) auch Vertreter jener beiden Seiten unterstützten, deren Verhältnis betrachtet wird.Dieses Verhältnis ist unter dem Eindruck veränderter Rahmenbedingungen punktuell intensiv untersucht worden. Dabei wurden aus der Perspektive des Übermacht-Paradigmas häufig ebenso pointierte wie streitbare Zeitdiagnosen gestellt. Das gilt etwa für die Instrumentalisierungsthese (Schatz 1982) ebenso wie für die Beobachtung einer “Kolonisierung der Politik durch die Medien” (Meyer 2001). Die Diskussion über derartige gegenwartsbezogene Thesen verspricht durch eine breitere zeithistorische Perspektive differenzierter und damit bereichert zu werden – “manch normatives Urteil und manche Prognose erscheinen vor diesem Hintergrund relativiert oder gar generell zweifelhaft” (14), so die Herausgeber Christoph Classen und Klaus Arnold einleitend in einer Mischung aus Anspruch und Resümee.
Auch im Titel dieses Bandes schwingt die Frage von Über- und Unterordnung in den politisch-medialen Beziehungen mit – dahinter haben die Herausgeber jedoch zu Recht ein vieldeutiges Fragezeichen gesetzt: Von der Politisierung der Medien zur Medialisierung des Politischen? Zwar hat sich die wissenschaftliche Perspektive tatsächlich in diese Richtung verändert, empirisch halten es die Herausgeber jedoch für “kaum zielführend, die Medialisierung der Politik ausschließlich als Entwicklung der jüngsten Zeit zu interpretieren, ebenso wenig, wie sie gegen die ältere Perspektive einer Politisierung der Medien auszuspielen” (17). Daraus resultiert ein Verständnis von Medialisierung, das die Interdependenz von Gesellschafts- und Medienwandel betont.
Marcinkowski und Steiner thematisieren im theoretischen Teil denn auch einen wunden Punkt, wenn sie mit dem Begriff der “Medienkausalität” Vorstellungen kritisieren, die Ursachen von Veränderungen allein auf Medienseite verorten. Damit unterstreichen sie implizit den Wert historischer Fallstudien, erscheinen diese doch dazu prädestiniert, die Vielfalt und das Zusammenwirken politischer, medialer und gesellschaftlicher Ursachen deutlich zu machen. Die Feststellung derartiger Interdependenzen erfordert jedoch nicht unbedingt einen systemtheoretischen Zugang, der den theoretischen Teil des Bandes dominiert. Außerdem stellt sich mit Blick auf den ersten Teil die Frage, ob über die Debatte um das Verständnis von einer “Medialisierung des Politischen” hinaus nicht auch geklärt werden sollte, was unter “Politisierung der Medien” zu verstehen ist.
Den theoretischen Überlegungen folgen Fallbeispiele und Analysen, die mitunter recht heterogen erscheinen, was dem breiten thematischen und zeitlichen Dach geschuldet ist. Die Beiträge, die sich auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts beziehen, machen deutlich, wie verschränkt die Prozesse der Politisierung der Medien und der Medialisierung des Politischen sein können. Dies illustrieren insbesondere Wilke (“Medialisierung der Politik? Reichskanzler von Bülow als Vorläufer”) und Marszolek (“‘Nur keine Öde’. Radio im Nationalsozialismus”): Der Reichskanzler nutzte zwar sämtliche Instrumente zur Steuerung der Presse, stürzte aber beinahe über die sogenannte Daily Telegraph-Affäre – “ein frühes, exorbitantes Exempel” (109) für die Medialisierung des Politischen. Auch im nationalsozialistischen Deutschland waren den Machthabern bei der Politisierung der Medien Grenzen gesetzt, menschliche Unterhaltungsbedürfnisse ließen sich gerade bei der Gestaltung des Hörfunkprogramms kaum ignorieren.
Im Teil zur zweiten Jahrhunderthälfte stößt Meyen in ein ähnliches Horn. Die Nutzung politischer Medienangebote in den 1950er Jahren zeige, dass sich lediglich die Möglichkeiten zur Befriedigung der (stark ausgeprägten Unterhaltungs-)Bedürfnisse, nicht aber diese selbst verändert hätten. Meyens Beitrag erscheint als Auftakt für weitere Analysen, die kulturkritische Töne (wie sie auch in diesem Band teilweise angeschlagen werden) in Frage stellen und für deren Vertreter schrill klingen mögen. So liefern Kinnebrock und Bilandzic mit Blick auf die Jahre 1965 und 2005 den womöglich überraschenden Befund, dass die Bild-Zeitung einen “Entboulevardisierungsprozess” (359) durchlief. Zudem verweisen sie auf die Vielschichtigkeit des Boulevardisierungsprozesses, die es verbiete, “ihn pauschal als dunkle Seite des Medialisierungsprozesses abzutun” (360). Solche Mosaiksteine korrigieren ein Bild von Medialisierung, das Kulturkritiker oftmals ohne empirische Fundierung prägen konnten, weil die Kommunikationswissenschaft psychologische Medienwirkungen fokussierte und dabei Medieneinflüsse auf Makrophänomene vernachlässigte (vgl. Kepplinger 2008). Vor dem Hintergrund von Befunden, welche die negative Konnotation von Medialisierung in Frage stellen, ist der Beitrag von Scheu und Wendelin im letzten Teil des Bands bemerkenswert. Darin dokumentieren sie, wie Vertreter einer kritischen Perspektive mit der Zeit ein weniger dunkles Bild von der Medialisierung zeichneten – obwohl die Zunahme von Medialisierung im historischen Verlauf Wasser auf die alten kulturkritischen Mühlen hätte sein können.
Belege für die häufig pauschal unterstellte Zunahme von Medialisierung erfordern allerdings Längsschnittstudien, an denen es noch immer mangelt – die methodischen Möglichkeiten retrospektiver Analysen sind natürlich beschränkt. Doch auch die Zusammenschau verschiedener Querschnittstudien kann Erkenntnisse über die Entwicklung der Medialisierung liefern.
Insgesamt wird die aktuelle Diskussion um das Verhältnis von Politik und Medien in mehrerer Hinsicht bereichert. So verdeutlicht die Verschränkung der beiden im Titel angeführten Prozesse, warum bei der Beschreibung des Verhältnisses inzwischen weniger die Fragen nach Über- und Unterordnung, sondern vielmehr Vorstellungen von Interdependenz bzw. Interpenetration dominieren (sollten). Darüber hinaus können die Fallbeispiele einen Beitrag zur bislang noch ausstehenden theoretischen Rekonstruktion jener interdependenten Prozesse leisten, die letztlich zur Medialisierung führen. Es bleibt zu hoffen, dass die künftige Medialisierungsforschung auch jene Beiträge beachtet, die auf das Label “Medialisierung der Politik” zwar verzichten, den Forschungsstand dazu aber dennoch bereichern. Hervorzuheben ist schließlich, dass es an einigen Stellen gelingt, die Überprägnanz mancher gegenwartsbezogener, kulturkritischer These zu entlarven. Das könnten sich die Praktiker von der Tagung erhofft haben.
Literatur:
- Kepplinger, H. M.: “Was unterscheidet die Mediatisierungsforschung von der Medienwirkungsforschung?” In: Publizistik,3, 2008, S. 326-338.
- Meyer, T.: Mediokratie. Die Kolonisierung der Politik durch die Medien. Frankfurt am Main 2001.
- Schatz, H.: Interessen und Machtstrukturen im Interaktionsfeld von Massenmedien und Politik. In: Schatz, H.; Lange, K. (Hrsg.): Massenkommunikation und Politik: Aktuelle Probleme und Entwicklungen im Massenkommunikationssystem der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt am Main 1982, S. 6-20.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Philip Baugut an der Ludwig-Maximilians-Universität München
Über das BuchKlaus Arnold; Christoph Classen; Susanne Kinnebrock; Edgar Lersch; Hans-Ulrich Wagner (Hrsg.): Von der Politisierung der Medien zur Medialisierung des Politischen? Zum Verhältnis von Medien, Öffentlichkeiten und Politik im 20. Jahrhundert. Leipzig [Leipziger Universitätsverlag] 2010, 471 Seiten, 32 Euro.Empfohlene ZitierweiseKlaus Arnold, Christoph Classen, Susanne Kinnebrock, Edgar Lersch, Hans-Ulrich Wagner (Hrsg.): Von der Politisierung der Medien zur Medialisierung des Politischen?. von Baugut, Philip in rezensionen:kommunikation:medien, 7. Oktober 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/6447