Birgit Richard; Jan Grünwald; Marcus Recht; Nina Metz: Flickernde Jugend – Rauschende Bilder

Einzelrezension
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Rezensiert von Sascha Trültzsch

Einzelrezension
Man muss heute kaum noch argumentieren, dass das Internet in seinen verschiedenen Erscheinungs- formen einen kulturellen und sozialen Wandel mit sich gebracht oder diesen zumindest forciert hat. Gerade in den letzten zwei Jahren wurden verschiedene empirische Untersuchungen zum Themenfeld Social Web bzw. Web 2.0 veröffentlicht, die nicht nur die Angebote selbst, sondern auch den Umgang mit ihnen detailliert untersucht haben. Auch aktuell wird in der Medien- und Kommunikations- wissenschaft dazu geforscht und publiziert. Der vorliegende Band nun wendet sich den Angeboten in einer primär kulturwissenschaftlichen, man möchte sagen kunstwissenschaftlichen Perspektive zu, die hier als Jugendbildforschung bezeichnet wird. Dabei werden quantifizierende Analyseverfahren und bildwissenschaftlich-hermeneutische kombiniert, wodurch sich ein aufschlussreicher Blick auf die Materie ergibt, der allerdings widerholt durch zum Teil mutige Begriffskonstruktionen (wie “Kommunikationsschmierstoff”) irritierend wirkt.

Gegenstand der Untersuchung sind die Photographien und Bewegtbilder, die jugendliche NutzerInnen als “digital natives” in den Plattformen des Social Web einstellen. Konzentriert wurde sich auf YouTube, FlickR, Myspace und Facebook, ohne dabei zu versäumen auf die verschiedenen anderen Plattformen einzugehen und die Auswahl genau zu begründen. Die kunst- und kulturwissenschaftliche theoretische Fundierung ist dabei überzeugend und arbeitet den wesentlichen Forschungsstand auf, wenn auch zu kritisieren ist, dass gelegentlich auch dort Online-Quellen genutzt wurden, wo Publikationen vorliegen (beispielsweise Folien auf Slideshare anstatt den entsprechenden Band Schmidt/Hasebrink/Paus-Hasebrink 2010).

Darauf aufbauend legen die AutorInnen ein detailliertes induktiv entwickeltes “Analysetableau für Schlüsselbilder” (43-46) vor, das Grundlage für die Analyse der (zu erzeugenden bzw. auszuwählenden) Schlüsselbilder ist. Diese Schlüsselbilder wurden entweder als Stills aus Videos gewonnen – ohne den Kontext des audiovisuellen Inhalts auszublenden – beziehungsweise sind sie eine Auswahl aus den eingestellten Photographien. Mittels einer Methode, die die AutorInnen “Netzscan” nennen (38 f.) wurde aus der Vielzahl der Bilder im Social Web eine möglichst typische und vielfältige Auswahl zu gewinnen versucht. Schwerpunkte der Analyse und Interpretation sind dabei Selbstdarstellung (Kap. 4.1), jugendliche Mode-Bilder (Kap. 4.2), Das Böse, Gewalt und Tod (Kap.4.3), Musikkulturen (Kap 4.4) sowie weibliche Geschlechterbilder bei der Selbstinszenierung (Kap. 5), Jugend und Kunst (Kap 6.) und schließlich Künstlichkeit und Identität (Kap. 7).

Eingedenk bereits existierender Forschungen sind die Ergebnisse der Untersuchung nur partiell überraschend. Dass Jugendliche bei ihrer Selbstinszenierung in erster Linie Posen verwenden, die aus den Massenmedien bekannt und von (Musik-)Stars, die als Vorbilder fungieren, reproduziert werden, zeigen bereits die Ergebnisse der Untersuchungen von Neumann-Braun, Autenrieth und Astheimer (zuletzt zwei Publikationen 2010). Dennoch gehen diese Ergebnisse über die Arbeiten der Basler hinaus, indem dezidiert Bildtraditionen diskutiert und für die Interpretation herangezogen werden. Gerade bei der Analyse der widerständigen Inszenierung von Weiblichkeit (bärtige Frauen) wird diese Perspektive fruchtbar. Nach Ansicht der Autorinnen unterminieren zwei typische Darstellungsweisen die gewohnten genderspezifischen Rollenbilder: Einerseits die ironisierte Abbildung als “braves Mädchen” und andererseits eben die als bärtige oder aggressive Frau. Eine Option die für die männlichen Jugendlichen so nicht zur Verfügung stehe. Die Stärke der kulturwissenschaftlichen Perspektive entwickelt sich vollends in der Untersuchung der verschiedenen “kreativ-okkupativen Musikkulturen” (Kap. 4.4), die neben verschiedenen Formen der Rekontextualisierung durch selbsterstellte Musikvideos eine überzeugende Konzeption von audiovisuellen Inhalten als digitalen Rohstoffen liefert.

Mit Gewinn sind aber auch die Ausführungen über den asozialen Charakter der Inszenierung in Social Network Sites zu lesen. Die Darstellung auf den Bildern beschränkt sich auf solche, die zur Pose erstarrt sind und die Fiktion von Authentizität nur noch als solche Fiktion aufrecht erhalten wollen. Dass Sinn oder Wahrheit dabei keine Rolle mehr spielen, ist eine plausible Interpretation, die jedoch allein auf der Angebotsebene schwer zu verifizieren ist – hier wäre eine Befragung der jugendlichen NutzerInnen nötig. Das ist den Analysen im Band jedoch deshalb nicht vorzuwerfen, da er sich explizit auf die Analyse und Interpretation der Bilder und damit der Angebotsseite konzentriert.

Die knappe Zusammenfassung in Kapitel 7 führt zu einigen Irritationen, da sie neben tatsächlichen Ergebnissen auch affirmativ Vermutungen als Ergebnisse vorstellt. Dass beispielsweise “kaum einer der Jugendlichen […] sich selbst als Künstler bezeichnen [würde]” (263), wurde eben nicht untersucht. Untersucht wurden hier die Bilder und Videos auf Plattformen, wodurch auch ein Satz wie “Hier standen zum ersten Mal in der Forschung zum Web 2.0 fast ausschließlich die verdienten ästhetischen jugendlichen Innovateure im Mittelpunkt” (264) irritierend auf den Rezensenten gewirkt hat. Ebenso ist es verwirrend, dass in diesem Kapitel plötzlich von Repräsentativität die Rede ist, die einerseits für eine derartige Untersuchung gar nicht relevant ist und andererseits hier auch nicht erreicht wurde. Freilich wurden mittels der “Netzscans” Daten für die Häufigkeit bestimmter Tags etc. erhoben, aber eben nur für die, nach denen gesucht wurde. Probleme mit der Polyvalenz bestimmter Suchbegriffe, die in den Kapiteln thematisiert wurden, kommen hinzu. Die Fallbeispiele haben einen eigenen Wert, der nicht an Kriterien wie Repräsentativität ihrer Auswahl hängt. Vielmehr wurden doch besonders interessante und virulente Beispiele gewählt.

Der vorliegende Band liefert eine überzeugende und für die Medien- und Kommunikationswissenschaft auch überraschend neue Perspektive auf die jugendlichen Bilder im Social Web. Lässt man die Irritationen im ersten Teil des letzten Kapitels einmal beiseite, dann ergibt sich ein runder Band, der verschiedene Fallstudien und zugleich einige quantifizierende Ergebnisse versammelt. Wie bereits erwähnt ist die Sprache mit ihren Wortschöpfungen für die/den Lesenden, der/die nicht im Feld der Kunstwissenschaft zu Hause ist, teilweise ungewöhnlich – aber zugleich auch erfrischend, ob der häufig treffenden Bezeichnungen.

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Über das BuchBirgit Richard; Jan Grünwald; Marcus Recht; Nina Metz: Flickernde Jugend – Rauschende Bilder. Netzkulturen im Web 2.0. Frankfurt a.M. [Campus] 2010, 290 Seiten, 24,90 EuroEmpfohlene ZitierweiseBirgit Richard; Jan Grünwald; Marcus Recht; Nina Metz: Flickernde Jugend – Rauschende Bilder. von Trültzsch, Sascha in rezensionen:kommunikation:medien, 20. Juli 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/5435
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