Priska Jones: Europa in der Karikatur

Einzelrezension
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Rezensiert von Christian Kleinschmidt

Einzelrezension
In der im Rahmen des Sonderforschungs- bereichs “Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel” entstandenen Dissertation setzt sich die Autorin mit der Entwicklung von Europa-Karikaturen im deutsch-britischen Vergleich im 20. Jahrhundert auseinander. Analysiert wurden 4.200 Karikaturen aus deutschen und englischen Tageszeitungen und Magazinen, wobei die Autorin u.a. auf das Pressearchiv des Deutschen Bundestags sowie auf britische Quellen des “Center for the study of Cartoons and Caricature” an der University of Kent zurückgreifen konnte. Was die weitere Quellen- und Literaturbasis der Arbeit anbelangt, so ist der Leser auf die Kenntnisnahme der Fußnoten angewiesen, da – unglaublich aber wahr – das Buch ohne ein Quellen- und Literaturverzeichnis auskommt! Hinsichtlich des Forschungsstands ist das Thema bislang nicht bearbeitet worden, so dass die Autorin in dem entsprechenden einleitenden Kapitel vor allem auf Literatur zu den Themenbereichen “Europabewusstsein”, “Europaidentifikation” und “europäisches Selbstbewusstsein” verweist. Systematische Bildanalysen, so zeigt Priska Jones, fehlen bislang in der Europaliteratur.

Das Programm der Arbeit sowie der methodische und theoretische Zugang zum Thema sind ambitioniert. Frau Jones möchte eine historische Bildforschung betreiben und sich dabei methodisch auch an den Fächern Kunstgeschichte, Semiotik, Kommunikationswissenschaften, Gestaltpsychologie und Kognitionsforschung orientieren.

Im ersten Kapitel analysiert die Autorin die Europa-Motive in deutschen und britischen Karikaturen. Dies ist mit fast 200 Seiten Länge, die dementsprechend zwei Drittel der Gesamtdarstellung ausmachen, das zentrale Kapitel des Buches. Hier werden motivgeschichtlich/ikonographisch die unterschiedlichen Varianten der Europa-Motive in Deutschland und Großbritannien im chronologischen Ablauf untersucht, beginnend mit dem Stier-Motiv über das Motiv “Europa als Frau”, “Europa als Boot”, “Europa als Wagen und als Zug”, “Europa in der Luft” etc. Der Stier beispielsweise gilt als das älteste Europa-Motiv.

Die Autorin erläutert zunächst den Hintergrund der jeweiligen Motive, um sich anschließend der quantitativen und qualitativen Analyse zu widmen, und dies wiederum im Kontext der historischen Entwicklungen vor dem Ersten Weltkrieg, nach dem Ersten Weltkrieg, in den 1950er Jahren sowie schließlich in den 1980er und 1990er Jahren. Diese Vorgenesweise  wird für jedes der ausgewählten Motive durchdekliniert. Das ist bisweilen etwas ermüdend zu lesen, vor allem aber muß bei dieser Vorgehensweise immer wieder von Neuem auf die unterschiedlichen historischen Kontexte in unterschiedlichen Zeitphasen eingegangen werden, was zu einer gewissen Zusammenhanglosigkeit führt. Zudem sind die Analyseergebnisse häufig ein wenig dünn und zudem erwartbar. Mit Blick auf das Motiv “Europa als Frau” kommt Frau Jones etwa zu dem Ergebnis, dass das Bild “einer geschwächten Europafigur immer dann Verwendung findet, wenn ein Europa-Bild gezeichnet werden soll, das entweder den Kontinent als desolat und von externer Hilfe abhängig darstellt wie nach dem Ersten Weltkrieg oder die europäischen Integrationsprozesse als wenig aussichtsreich und zukunftsträchtig bewertet wie vereinzelt in den 1950er Jahren und stärker noch in der Mitte der 1980er Jahre” (112f.). Das ist wenig überraschend, oder anders ausgedrückt: Genau das konnte man von den Karikaturen in den jeweiligen Zeiträumen erwarten!

Wenn Frau Jones dann einleitend bemerkt, dass eine Karikaturenanalyse auch mentalitätshistorisch von Bedeutung ist (16 sowie 313) und am Ende des ersten Kapitels resümiert, dass die Karikaturen “tiefe Spuren in der Entwicklung mentaler Denkschemata hinterlassen haben [dürften]. Wie tief diese Spuren reichen und wie nachhaltig sie sich auf bewusste und unbewußte Bewertungen auswirken – darüber kann hier empirisch nichts gesagt werden” (228), so ist dies ein weiterer Beleg für die zum Teil dünne Aussagekraft der Untersuchungsergebnisse dieses ersten Kapitels.

Im zweiten Kapitel zeigt die Autorin auf nur noch 20 Seiten, dass sich im Laufe des 20. Jh. das “Bild-Setting”  der Karikaturen verschob. Waren zu Beginn des 20. Jh. noch zahlreiche Gewaltmotive zu beobachten, so wichen diese nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend Alltagsdarstellungen, und zwar sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien. Wie es überhaupt, so zeigt das dritte Kapitel (auf ebenfalls etwa 20 S.), zunehmend zu Konvergenzen und Transfers zwischen deutschen und britischen Karikaturen kam, das kann die Autorin auch unter Nutzung quantitativer Methoden veranschaulichen. Doch auch hier sind die zusammenfassenden Aussagen zum Teil recht dünn. “Insgesamt hängt die Produktion von Europa-Karikaturen in allen Zeiträumen mit bestimmten aktuellen Debatten zusammen, die gerade die jeweilige nationale Aufmerksamkeit erregen und somit Teil einer ereignisbezogenen ‘Event-Öffentlichkeit’ sind”, so Frau Jones (258). Deshalb sei es auch kein Wunder, dass Karikaturen zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft um 1954 ihren Höhepunkt erreichten und danach rückläufig waren. Ebenso erging es den Karikaturen zum Vertrag von Maastricht um 1993 und danach. Auch das ist durchaus erwartbar. Ähnliches gilt schließlich für zahlreiche Aussagen und Überlegungen des Buches, welches in seiner Einleitung zwar mit großem methodischem und theoretischem Geschütz aufwartet, in den empirischen Kapiteln sich dann aber doch eher etwas kleinkalibriger präsentiert.

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Über das BuchPriska Jones: Europa in der Karikatur. Deutsche und britische Darstellungen im 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M., New York [Campus Verlag] 2009, 322 Seiten, 37,80 Euro.Empfohlene ZitierweisePriska Jones: Europa in der Karikatur. von Kleinschmidt, Christian in rezensionen:kommunikation:medien, 1. Mai 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/4877
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