Rezensiert von André Donk
Der von Jens Wolling, Markus Seifert und Martin Emmer herausgegebene Band Politik 2.0? Die Wirkung computer- vermittelter Kommunikation auf den politischen Prozess stellt die Beiträge zur gleichnamigen Tagung der DGPuK-Fachgruppe “Computervermittelte Kommunikation (CvK)” aus dem Jahr 2008 zusammen. Damit bildet der Band zu einem gewissen Teil den bis dato aktuellen Stand der Forschung zu diesem Thema ab, versammelt er doch eine Vielzahl ausgewiesener Experten. Allerdings muss man konstatieren, dass die nun zwei Jahre nach der Tagung stattfindende Buchpublikation dem dynamischen Gegenstand vielleicht nicht ganz gerecht wird. Dies zeigt sich vor allem mit Blick auf die seit 2008 stark gewachsene Bedeutung des Dienstes Twitter oder des Netzwerks Facebook insbesondere für den politischen Bereich – wie z. B. bei den US-Präsidentschaftswahlen oder den zahlreichen regimekritischen Protestbewegungen von Iran über Ägypten bis Libyen.Der Anspruch des Bandes zeichnet sich im Titel ab: Es geht um die jüngsten, durch das sogenannte Mitmach-Netz (Web 2.0) ausgelösten Veränderungen auf allen Ebenen des politischen Prozesses (8-9), wobei die Analogie des modischen 2.0 nicht durchgehend trägt, denn Politik in Demokratien ist per se zum Mitmachen. In drei thematischen Sektionen nähern sich die Autoren des vorliegenden Bandes einer Vielzahl politischer Phänomene unter den Bedingungen des klassischen Internets sowie des Webs 2.0 an. In Sektion 1 Netznutzung durch etablierte politische Akteure (3 Beiträge) untersucht Schweitzer, inwiefern sich in der Onlinekommunikation von Parteien bei Landes-, Bundes- und Europawahlen Dimensionen des Negative Campaigning finden lassen. Sie kommt zu dem Befund – allerdings ohne Berücksichtigung der politischen Kommunikationskultur (senu Pfetsch) – dass sich Negative Campaigning mittlerweile auch in deutschen Onlinewahlkämpfen als ein dominierendes Merkmal darstelle und daher als Teil eines internationalen Musters (36) interpretiert werden müsse.
Die Untersuchung der Regierungskommunikation von 16 Schweizer Kantonen durch Baumgartner und Zogg kommt zu dem Ergebnis, dass Elemente der Dialogizität und Interaktion zwischen Regierung und Regierten unterrepräsentiert sind (56) – ein überraschender Befund vor dem Hintergrund erwartbarer Auswirkungen des direktdemokratischen politischen Systems. Wolling, Schmolinsky und Emmer knüpfen in ihren Beitrag daran an und analysieren, dass Politiker zwar von der Wichtigkeit einer eigenen Interseite überzeugt sind, aber diese eher zur Präsentation als zu Zwecken des Dialogs nutzen (80-81). Ob sich diese Einstellungen vor dem Hintergrund aktueller Bedeutsamkeit sozialer Netzwerkseiten bereits geändert haben, müssen neue Studien zeigen.
In der zweiten thematischen Sektion Politische Netznutzung durch die Bürgerschaft, die insgesamt aus fünf Beiträgen besteht, sind besonders die Ergebnisse dreier Arbeiten hervorzuheben. Emmer, Vowe und Wolling präsentieren die Daten einer der wenigen Langzeitstudien zur Nutzung politischer Onlinekommunikation und können in “langfristiger Perspektive überwiegende Zunahmen der politischen Kommunikation” (104) beobachten. Diese Befunde sollten in Kombination mit den Ergebnissen von Escher interpretiert werden, der untersucht hat, welche Bürger Kontakt zu Abgeordneten aufnehmen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Kommunikation über Online-Kanäle zwar zu einem mehr an Partizipation vorher Nicht-Aktiver führt, diese sich aber aus der Gruppe der gut Gebildeten rekrutieren und damit bestehende Ungleichheiten in der realisierten Partizipation noch verschärft werden (145-146). Engesser schließlich zeigt in einem explorativen Experiment, dass gerade hohe technische Anforderungen an die Kommunikation auf Onlineplattformen Personen mit geringer Bildung tatsächlich von Partizipation abhalten können (164).
Die dritte Sektion (4 Beiträge) befasst sich dann – endlich, möchte man sagen – mit dem Phänomen der politischen Kommunikation im Web 2.0. Hier zeigt sich, die untersuchten Gegenstände und Befunde sind spannend, wenn auch die Datenbasis noch nicht so überzeugt wie in den anderen – mittlerweile über einen länger Zeitraum erforschten– Sektionen des Bandes. Dass Blogs als “Bindeglied zwischen Alltagsgesprächen und massenmedialen Diskursen” (Katenzenbach, 207) fungieren können, überrascht so wenig wie die Erkenntnis, dass journalistische Blogs sich eher den Maßstäben ihrer Redaktionen verpflichtet fühlen als unabhängige Blogger (vgl. Messner, 222). Roesers Ansatz, politische Auseinandersetzungen in den Artikel- und Meta-Diskussionen der Wikipedia zu untersuchen, erweist sich als belastbar und sollte weiter systematisch ausgebaut und empirisch angewendet werden.
Die insgesamt lesenswerte Leistungsschau der Fachgruppe CvK endet mit einem Befund, den wir von der Analyse des Web 1.0 als Medium der politischen Kommunikation bereits kennen: Die Nutzung des Web 2.0 durch mediale und politische Akteure bleibt hinter den eigentlichen Stärken zurück (Witte, Rautenberg, Auer).
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Private Homepage von Jens Wolling
- Private Homepage von Markus Seifert
- Private Homepage von Martin Emmer
- Webpräsenz von André Donk an der Universität Münster