Rezensiert von Ingrid Scheurmann


Das (Kunst-)Werk als “Generator für Erinnerungsbilder” und den Rezipienten als Schöpfer individualisierter “Nachbilder” begreifend (9) gliedert Sturm seinen Gegenstand in drei sehr unterschiedlich gewichtete Hauptkapitel, die Denkmale und Denkmalkult zunächst im Kontext politisch-ideologischer Intentionen diskutieren, sodann auf Aspekte des Welterbes fokussieren, um abschließend Fragen der Reproduktion und medialen Verbreitung zu erörtern. Unklar bleibt neben Aspekten der Auswahl und Ordnung der zitierten Beispiele, warum etwa die Denkmalpflege-Problematik ausschließlich mit Bezug auf das Welterbe und dies in einem eigenen Kapitel diskutiert wird, warum zeitgenössische Mahnmale gegen Krieg und Faschismus im ersten und letzten Kapitel beschrieben werden, hier jedoch nur mit Bezug auf Fragen des Welterbes (Ausschwitz-Birkenau, Hiroshima), das eigentlich im zweiten Hauptkapitel vorgestellt wird. Sturms Einführung ist da wenig geeignet, die Lektüre zu strukturieren und somit zu erleichtern.
Insgesamt haftet dem Werk in mehrfacher Hinsicht etwas Unfertiges an. Nicht nur hätte man dem Lektorat mehr Aufmerksamkeit und dem Leser ein korrekteres Manuskript gewünscht, auch liest sich die ungemeine Fülle der aufbereiteten Beispiele zuweilen wie eine gewaltige Stoffsammlung, die noch der abschließenden Ordnung, des klugen Resümees, aber auch der überlegten Streichung bedarf. Beispiel reiht sich indes an Beispiel, Zitat an Zitat – anstelle des erwarteten auswertenden Kommentars und des zusammenfassenden Übergangs folgt der zuweilen abrupte Themenwechsel, das neue Beispiel. So hetzt der Leser hinter seinem Autor her – von Denkmal zu Mahnmal, Gemälde, Werbung, Film – und fragt sich in diesem “Alles hängt mit allem zusammen”, wie der Begriff “Denkmal” bei Sturm denn eigentlich zu verstehen ist, was ihn von “Denkmalbildern”, “Denkmälern”, “Bild-Denkmälern”, “Erinnerungsbildern” und schließlich von “Nachbildern” unterscheidet. Auch dank der langen Parallelkommentare in den Anmerkungen, der den Lesefluss immer wieder störenden ausführlichen Zitate und der eingestreuten persönlichen Beispiele drängt sich der Eindruck auf, dass der ohne Zweifel außerordentlich kundige Autor sich hier einen persönlichen Wunsch erfüllen wollte und seinen Zettelkasten zum Thema mit all seinen Hervorhebungen, Gedankensplittern und den vielfältigen Lesefrüchten, einfach einmal aufschreiben wollte. Dafür hat er die Klippen einer Publikation im Selbstverlag auf sich genommen. Darin war Hermann Sturm nicht gut beraten.
Aufschluss über den theoretischen Kontext und Anspruch der Publikation bietet lediglich ein knappes an Beispielen orientiertes Vorwort, das wiederum selbst des weiterführenden Beispiels bedarf (hier die Zeche Zollverein Essen), um den theoretischen “Zusammenhang zu verdeutlichen” (12). Nach länglicher Beschreibung folgt das Resümee, “dass ästhetische Urteile abhängig sind von Zeit und Standort des Urteilenden” (14), um sodann nach einem Ausflug in die Imagewerbung der Stadt Essen den Terminus der “ästhetischen Verzeichnung” (15) einzuführen, mit dem der Autor Bedeutungsverschiebungen im Zusammenhang von Rezeptionsprozessen kennzeichnet. Das ist, mit Verlaub, alles nicht ganz neu, wird aber lediglich mit Blick auf das Verständnis von “Verzeichnung” vornehmlich in den eigenen Publikationen des Autors verortet.
In seinen Beschreibungen bleibt Sturm eng an seinen Beispielen orientiert und versagt sich weitführende theoretische Bezugnahmen auf Aspekte der aktuellen bildwissenschaftlichen Diskurse sowie auf Fragestellungen der für Anthropologie, Geschichtswissenschaften und Denkmalpflege gleichermaßen bedeutsamen Erinnerungs- diskurse. Bezeichnenderweise fehlen Hinweise auf die Lektüre etwa von Gottfried Böhms grundlegender Arbeit von 1994, Jan und Aleida Assmanns Schriften seit den 1990er Jahren in der Literaturübersicht. Auch für die Denkmalpflege, die in Form der Auseinandersetzung mit Nationaldenkmalen des 19. Jahrhunderts ebenso wo wie mit Stätten des Weltkulturerbes mehrfach Gegenstand der Publikation ist, fehlt jeglicher Bezug auf die jüngere Literatur. Nicht einmal auf die naheliegenden gesellschaftlichen Verständigungen über historischen Zeugniswert, Substanz- und Schauwerte, die für das Thema immerhin von Belang sind, wird Bezug genommen. Das ist für eine Arbeit, die den Begriff “Denkmal” im Titel trägt, nicht nur nicht nachvollziehbar, sondern auch nicht ausreichend. Für den Leser, der zu einzelnen “Denkmalbildern” vertiefende Informationen benötigt, sei die Lektüre des Buches von Hermann Sturm empfohlen, den erwarteten Überblick und die kundige theoretische Durchdringung liefert es allerdings nicht.
Links:
Über das BuchHermann Sturm: Denkmal & Nachbild. Zur Kultur des Erinnerns. Essen [Klartext-Verlag] 2009, 231 Seiten, 24,95 Euro.Empfohlene ZitierweiseHermann Sturm: Denkmal & Nachbild. von Scheurmann, Ingrid in rezensionen:kommunikation:medien, 5. Februar 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/4437