Rezensiert von Rudolf Brandmeyer


Der Herausgeber hat sich bei seiner Auswahl auf sechs Zeitungen beschränkt, die “das politische und geographische Spektrum” (10) sinnvoll abdecken. Die Druckvorlage der Texte wird jeweils angegeben, die originale Rechtschreibung beibehalten. Dabei dokumentieren die Gedichte – in chronologischer Anordnung und mit sachlichen Erläuterungen versehen – ganz besonders das Revolutionsjahr selbst, und zwar sowohl mit seinen wesentlichen innen- und außenpolitischen als auch sozialen Fragen. Die Texte gehen konkret auf die jeweils tagespolitisch aktuellen Themen ein und in diesem Zusammenhang wollen sie auch – in revolutionärer oder konservativer Absicht – wirken. Die Reflexion, sofern sie nicht in Anspielungen auf Erneuerungsmythen der deutschen Geschichte präsent ist (Barbarossa u. ä.), tritt zurück zugunsten von präziser Kritik, Aufrufen und Handlungsanweisungen. Es ist keine politische Lyrik in der Nachfolge Heines, aber auch nicht das von ihm so bissig kommentierte, abstrakte Pathos eines Herwegh. Beobachten kann der Leser vielmehr den Versuch, in lyrischer Form politisch argumentieren und agieren zu wollen.
Die Anthologie verbindet also “Journalismus- und Lyrikgeschichte” (8). In genau dieser Verbindung liegt ihr Wert, und an diesem Punkt stellen sich die Fragen nach einer Auswertung, auf die der Herausgeber in seiner leider sehr knapp gehaltenen Einleitung nur in Form von Hinweisen und Anspielungen eingeht. Neben dem titelgebenden Begriff der Zeitungsgedichte werden drei Begriffe angeboten, mit deren Hilfe eine Synthese des dargebotenen Materials möglich erscheint: “politische Lyrik” (8), “Leserlyrik” (9) und “Gebrauchslyrik” (ebd.). Es bleibt aber bei einer additiven Zusammenstellung der nicht weiter explizierten Begriffe. Dabei bieten sie je für sich nicht wenige Möglichkeiten von Analyse und Synthese, die in gewichtigen Monographien auch jeweils erprobt worden sind.
In einem verbesserten Literaturverzeichnis wünschte sich der wissenschaftlich interessierte Leser die mit den angebotenen Leitbegriffen beschäftigten Arbeiten aufgeführt zu finden. Offensichtlich hat der Herausgeber seine editorische Arbeit noch nicht auswerten wollen, und eine Rezension kann diesen Mangel nicht kompensieren. So viel aber liegt nach einer Lektüre dieser hundert Gedichte nahe: Die germanistischen Begriffe könnten, und zwar wegen ihrer formal- und gattungsästhetischen Ausrichtung weniger geeignet sein, dem besonderen Erscheinungsbild von durchweg schwacher Formleistung und starkem Engagement gerecht zu werden. Vielversprechender scheint der Begriff des “Zeitungsgedichts”, der das Medium akzentuiert und eine Analyse auf deren spezifische Bedingungen für das Gedichte-Machen verpflichtet. Dann könnte es auch ein germanistisch relevanter Gattungsbegriff werden, mit dem eine besondere Form der politischen Lyrik neben der der Buchlyrik sichtbar würde.
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