Rezensiert von Stefanie Knauß
Die theologische Forschung zum Film ist mittlerweile in die Jahre gekommen und so steht es ihr gut an, in einem Handbuch systematisiert und für ein breiteres (Fach-)Publikum aufbereitet zu werden. Die bisher erschienenen zwei Bände des Handbuch Theologie und populärer Film versuchen dies mit einer Sammlung von Aufsätzen, die die theologischen Besonderheiten populärer Genres (Science Fiction, Western, Comicverfilmungen, Komödie, Horror usw.) und im Werk ausgewählter Regisseure (S. Spielberg, D. Fincher, S. Kubrick, R. Scott usw.) herausarbeiten, sowie die Darstellung theologisch relevanter Themen/Motive (Schuld/Sühne, Auferstehung, Tod, Immanenz usw.) und Figuren (ErlöserInnen, Pfarrer, Engel, Teufel, Superhelden usw.) analysieren. Den zweiten Band schließt ein Beitrag zur Verwendung von Filmen im Religionsunterricht ab. Durch die enorme Menge an Material und Themen schließt sich dabei von vornherein jeder Anspruch auf Vollständigkeit von selbst aus (Bd. 1, 11), jedoch sind die gewählten Beispiele mit Blick auf ihre Relevanz in Gesellschaft, Theologie und Film sinnvoll und repräsentativ.Der Kreis der vertretenen AutorInnen umfasst ausgewiesene Fachleute, die in unterschiedlichen Einrichtungen, die mit dem Thema befasst sind (akademische Forschung, kirchliche Filmarbeit, pädagogische Institutionen usw.), tätig sind, und bildet damit ein gutes Spiegelbild der gegenwärtigen Forschungslandschaft. Ein Anhang mit Bibliografie und Filmografie der zitierten Werke sowie eine kommentierte Auswahl von relevanten Internetadressen (letztere besonders interessant und hilfreich) schließt die Bände ab.
Die Aufsätze bereiten in vielen Fällen schon intensiv bearbeitete Themen fundiert und mit guter Kenntnis der Forschungslage auf (wobei v. a. der deutsche Sprachraum Beachtung findet; die Forschung im englisch- oder französischsprachigen Raum wird bedauerlicherweise nur wenig rezipiert), teilweise mit eigenen neuen Ansätzen (z. B. D. Pezzoli-Olgiati zur Apokalypse, Ch. Martig zu Fincher, J. Lederle zum Tod). Einige Artikel (z. B. zu Sportfilm, Filmmusical, Kriegsfilm, Thema Familie, Märtyrerfiguren, Filme über Luther) stellen jedoch darüber hinaus einen originellen, wichtigen Beitrag zur theologischen Forschung zum Film dar, indem sie Themen, die bisher wenig Beachtung gefunden haben, aufgreifen und darstellen. Das Handbuch bietet dadurch eine spannende Mischung aus Forschungsüberblick und neuen Ansätzen.
Methodische Zugänge aus der Religionssoziologie, vergleichenden Religionswissenschaft, Philosophie oder Rezeptionstheorie bilden den Hintergrund der meisten Beiträge, auch wenn leider nicht immer offengelegt wird, welcher Ansatz interpretationsleitend ist (eine Ausnahme bildet z. B. A. Bieler, die sich ausdrücklich auf Luckmanns Unterscheidung von impliziter und expliziter Religion bezieht, die für die Bände generell leitend zu sein scheint). Ebenso bleibt die notwendige filmwissenschaftliche und medientheoretische Fundierung des theologischen Zugangs zum Film teilweise etwas zu sehr im Hintergrund: Die meisten Filmanalysen konzentrieren sich auf narrative Elemente, während der Einsatz spezifisch filmischer Mittel für die Darstellung von theologisch relevanten Motiven oder zur Erweckung ästhetischer Erfahrungen, die spirituell bedeutsam und sinnstiftend sein können und das Medium Film von anderen Medien unterscheiden, zu wenig analytische Aufmerksamkeit findet; Beispiele wie die von Th. Bohrmann verfassten oder mitverfassten Beiträge zeigen, dass dies der theologischen Arbeit die notwendige Grundierung verleiht, um nicht als allzu subjektiv in der Wahrnehmung einer (oft eben nur impliziten) religiösen Relevanz des Films zu erscheinen.
Dass populäre Filme durch ihre Darstellung bestimmter Themen und v. a. durch ihre breite Rezeption theologisch relevant sein können und für religiös nicht mehr unbedingt sozialisierte Menschen eine spirituelle oder sinnstiftende Funktion erfüllen können, wird als Grundthese durch die Beiträge gut belegt – der Film Matrix (Wachowski/Wachowski 1999) ist ein offensichtliches, im Gesamt der beiden Bände freilich etwas zu oft bemühtes Beispiel dafür. Nicht immer wird allerdings der spezifische theologische Mehrwert oder die besondere Funktion beispielsweise eines bestimmten Genres deutlich herausgearbeitet; unklar bleibt ebenso teilweise, worin das Besondere der filmischen Bearbeitungen eines bestimmten Motivs – etwa im Vergleich zu seinem Aufgegriffenwerden in der Literatur – besteht oder was einen vorgestellten Regisseur vor den vielen anderen, die nicht erwähnt werden, auszeichnet. In einigen Fällen beschränkt sich der Artikel in seiner ‘Analyse’ gar auf eine Nacherzählung der Filme unter Hervorhebung der relevanten Elemente und bietet insofern zwar eine durchaus nützliche Materialsammlung für weitere Beschäftigungen mit einem Thema, aber keine inhaltliche Auseinandersetzung damit, die seine spezifisch theologischen Aspekte herausarbeiten würde.Dass dies auch anders möglich ist, zeigen z. B. W. Veiths Beitrag zum Sportfilm, der die Ritualisierung als theologisch besonders relevantes Moment in diesem Genre erkennt, oder P. Hahnens Artikel zum Filmmusical und der theologisch-spirituellen Bedeutung der Emotionalisierung, die durch die Sinnlichkeit des Musikerlebnisses in dieser Art von Filmen erreicht wird: Beide Autoren erkennen die film- und genrespezifische Besonderheiten ihres jeweiligen Materials in ihrer theologischen Relevanz und arbeiten sie deutlich heraus, so dass der ‘Mehrwert’ einer theologischen Beschäftigung mit diesen Filmen und das Spezifikum dieser filmischen Erfahrung im Vergleich mit anderen Genres oder Medien klar erkennbar wird.
Ein grundlegendes Problem stellt allerdings die Beschränkung des Handbuchs auf den populären Film dar: Die flüchtige ‘Definition’ der Herausgeber in der Einleitung (“der fiktionale Unterhaltungsfilm in Form des populären Hollywoodstreifens”; Bd. 1, 10) ist mehr als unzureichend: Gibt es ein finanzielles Kriterium? Ein ästhetisches? Wer definiert einen Film als ‘populär’? Ist die Produktion oder die Rezeption entscheidend? Gewiss prägen Hollywoodfilme ganz entscheidend den Alltag und die Fantasie von Menschen, ihre Wertvorstellungen, Wünsche und Hoffnungen. Doch was ist mit populären Produktionen anderer Länder, mit amerikanischen Independent-Filmen, die ebenfalls ihre Spuren im kulturellen Imaginären hinterlassen?
Es wundert daher nicht, wenn diese Einschränkung von den AutorInnen in der Auswahl ihres Filmmaterials nicht immer beachtet wird: Filme wie Ponette (Doillon 1996), Dekalog, Jeden (Kieslowski 1988/89) – zitiert in J. Valentins Beitrag zum Motiv Kind –, oder La stanza del figlio (Moretti 2001) – zitiert von J. Lederle zum Thema Tod –, lassen sich wohl kaum als populäre Hollywoodstreifen bezeichnen. Dies tut ihrer Bedeutung für die jeweiligen Beiträge nicht im geringsten Abbruch, sondern verweist nur auf die Notwendigkeit einer klareren Umreißung und Definition des anvisierten Materials durch die Herausgeber oder aber der Öffnung des Handbuchs auf Spielfilme insgesamt.
Unklar bleibt ebenfalls, in was genau der ‘Handbuch’-Charakter der Publikation bestehen soll: Die Aufteilung der beiden Bände wiederholt sich (jeweils Genres, Regisseure, Figuren, dazu in Band 1 Themen, in Band 2 Motive – der Unterschied bleibt unklar), so dass der Eindruck entsteht, als gäbe es kein Gesamtkonzept für die drei Bände, mit dem alle wichtigen Themen und Bereiche abgedeckt werden sollten. Ist Band 2 nur entstanden, weil nicht alle relevanten Genres oder Regisseure (Regisseurinnen fehlen ganz) im ersten Band abgedeckt werden konnten? Der dritte Band verspricht laut Vorwort in Band 2 zwar, einige der Lücken zu füllen (z. B. zum Thema kirchliche Filmarbeit, theologische und religionssoziologische Grundfragen); andere (zur Frage der Methoden, wichtige Ansätze aus unterschiedlichen Sprachräumen und theologischen Disziplinen, Rezeptionsstudien usw.) werden wohl leider offen bleiben.
Wünschenswert wären außerdem Einleitungen zu den jeweiligen Teilbereichen gewesen, die das Ordnungskriterium, beispielsweise ‘Genre’, inhaltlich aufbereiten und die dazu zusammengestellten Artikel in ihrem Beitrag zum Thema zusammenfassen. Leider wird nicht einmal vom Layout der Übergang von einem zum anderen Teil markiert, so dass der Eindruck einer etwas planlosen Aneinanderreihung von Texten entsteht – ein Sammelband, gewiss, mit teilweise sehr interessanten Beiträgen, jedoch kein Handbuch, das für diesen Themenbereich wie gesagt sehr wünschenswert wäre. Diese und andere Mängel (etwa wird nur in wenigen Einzelfällen – Bohrmann zum Kriegsfilm oder Bohrmann/Reichelt zur Komödie – definiert, was das jeweilige Genre ausmacht; meistens ist eine bedauerliche Blindheit für Faktoren wie Gender, Klasse, Ethnie festzustellen; ein Anhang weiterführender Literatur zum Thema wäre hilfreich) verringern leider den Nutzen, den das gewünschte breitere Publikum aus der Publikation ziehen kann. Seinen Wert als umfangreiche Materialsammlung und Zusammenstellung interessanter Einzelstudien, die einen ersten Zugang zum Thema eröffnen und einen Überblick über die Forschungslage bieten, schmälert dies nicht.
Links:
Über das BuchThomas Bohrmann; Werner Veith; Stephan Zöller (Hrsg.): Handbuch Theologie und populärer Film. Paderborn u. a. [Ferdinand Schöningh] 2007 (Band 1), 2009 (Band 2), 376 Seiten (Band 1), 406 Seiten (Band 2), je 39,90 Euro.Empfohlene ZitierweiseThomas Bohrmann; Werner Veith; Stephan Zöller (Hrsg.): Handbuch Theologie und populärer Film (Band 1 und 2). von Knauß, Stefanie in rezensionen:kommunikation:medien, 21. April 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/4064
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