Rezensiert von Jörg R. J. Schirra
Das von Martina Heßler und Dieter Mersch herausgegebene Softcover-Buch umfasst fast 280 Seiten und ist der zweite Band der Reihe “Metabasis”. Der Titel dürfte Philosophen spontan an Wittgenstein erinnern, in dessen Sprachgebrauch die “Logik” einer Sache die Verwendungsweise der sprachlichen Ausdrücke regelt, mit denen man sich auf jene Sache bezieht: Hier nun also die Logik des ‘Bildlichen’. Mit dem Untertitel Kritik der ikonischen Vernunft ist ebenso direkt Kant assoziiert und seine Kritik der reinen Vernunft, in der es unter anderem um die Möglichkeit des Erwerbs neuer Begriffe als spezieller Form des Wissens geht sowie um die Frage, wie neu gebildete Begriffe eigentlich zu ihren Anschauungen kommen. Damit ist das Thema des Sammelbandes in der Tat bereits grob umrissen: “Wie vermitteln Bilder Wissen? Was sind die Grenzen der Darstellbarkeit von Wissen in Bildern?”, fragen die Herausgeber im Klappentext und fahren fort: “Die Beiträge des Bandes gehen diesen Problemen nach und fragen nach dem Status der Bildlichkeit in den Wissenschaften, der Begründung einer Diagrammatik, dem Verhältnis zwischen Kunstbild und epistemischem Bild, nach dem digitalen Bild oder nach Stiltraditionen in Wissenschaftsbildern […].”Die Beiträge sind, neben der umfangreichen Einleitung der Herausgeber, in vier Abteilungen gegliedert: “Zwischen Kunst und Wissenschaft”, “Das epistemische Bild”, “Das digitale Bild” und “Bildmodelle in der Wissenschaft”. Im Fokus aller Beiträge steht das epistemische Bild. Dabei handelt es sich meist um Strukturbilder (auch logische Bilder), also um Bilder, in denen etwas, das an sich überhaupt nicht sichtbar ist, als visuell wahrnehmbar dargestellt wird. Den thematischen Hintergrund der Texte bildet daher eine metaphorische Übertragung, bei der den Begriffen der jeweils eigentlich betrachteten Phänomene die Begriffe geometrischer oder materiell-räumlicher Objekte und ihrer Eigenschaften zugeordnet werden. Durch die Metaphorik gewinnen so die an sich nicht-visuellen Entitäten eine piktoriale Darstellungsoption: Die zugehörigen Begriffe kommen zu einer, wenn auch indirekten, visuellen Anschauung. Allerdings führen, bei ungenügender Kenntnis der Ausgangsbegriffe (etwa bei Laien), schlecht gewählte Übertragungsschemata auch leicht zu fehlerhaften Interpretationen.
Neben der Güte der Struktur metaphorischer Projektionen interessiert vor allem, welche Rollen die indirekten Anschauungen bestimmter Aspekte naturwissenschaftlichen Wissens für die Tätigkeiten der rationalen ‘Wissensschöpfung’ spielen. Die epistemischen Bilder greifen, so der Tenor der Beiträge, auf die eine oder andere Weise in die wissenschaftlichen Argumentationen ein. Um dem Verständnis solcher visueller Argumentationsteile näher zu kommen, muss zum einen das Verhältnis zwischen Begriff/Sprache einerseits und Anschauung/Bild andererseits geklärt werden. Inwiefern etwa haben Strukturbilder auch einen Sprachcharakter? Ist die Gegenüberstellung von Sprache und Bild überhaupt sinnvoll für diese Betrachtungen? Zudem wäre zum anderen zu präzisieren, wie die Begriffe des Behauptens, des Beweisens und Widerlegens, die bislang nur sprachlich-logisch bzw. mathematisch gefasst waren, auch auf Bildmedien zu erweitern sind, da sonst unklar bleibt, was es denn heißen soll, ‘ein Bild habe eine wissenschaftliche Hypothese bewiesen’ (besser: jemand habe mit einem Bild eine Hypothese bewiesen).
Der Medienbegriff kommt besonders dann zum Einsatz, wenn es um Auswirkungen von (kommunikativen) Interaktionen geht, die mehr oder weniger verborgen hinter den Rücken der Akteure geschehen. So mag denn auch verständlich werden, dass in diesem Kontext statt der korrekten instrumentellen Formulierungen häufig von Ausdrucksweisen Gebrauch gemacht wird, in denen Bildern Aktivitäten zugeschrieben werden, die man gemeinhin unbeseelten Gegenständen nicht zuspricht: sie sollen argumentieren, Sinn erzeugen, Bedeutung schaffen, Unsichtbares sichtbar machen, Wissen formen und ordnen etc. Mit dieser Metapher der Aktivität soll, so steht zu vermuten, erläutert werden, warum in Bildern Sachverhalte gesehen werden können, die nicht bei ihrer Produktion beabsichtigt waren: ‘neue’ Sachverhalte, die gerade für die wissenschaftliche Erkenntnisschöpfung mit Bildern von großer Wichtigkeit sind. Doch handelt es sich nicht um die Aktivität von Bildern, diese neuen Sachverhalte zu kreieren. Es sind die Bildverwender, die mithilfe von Bildern auf neue Sachverhalte hinweisen (oder auch auf neue Weisen, alte Sachverhalte anzuschauen). Die Logik des Bildlichen kann letztlich nur eine Logik der Bildnutzer sein: Nicht Bilder haben die staunenswerte Eigenschaft, Sachverhalte emergieren zu lassen. Vielmehr haben Bildnutzer die Fähigkeit, sich mittels Bildern neue Perspektiven auf die ihnen schon bekannte Welt zu erschauen.
Vor diesem Hintergrund entfalten die 13 thematisch einschlägigen Autoren des Sammelbands in 12 Beiträgen ihre Sichten der Logik(en) des Bildlichen. Hervorzuheben ist die mit über 50 Seiten recht umfangreiche Einleitung der Herausgeber “Bildlogik oder Was heißt visuelles Denken?”: Heßler und Mersch nähern sich dem Zusammenhang von Bildstrukturen und naturwissenschaftlichem Wissen in vier Schritten: Ausgehend von einer Klärung des Erkenntnisgewinns mit Bildern werden zunächst die medialen Eigenheiten visueller Darstellungen betrachtet und mit der Wissenserzeugung durch metaphorische Übertragung in Beziehung gesetzt. Eine Analyse intermedialer und intervisueller Transformationen wird vorbereitet mit einer Betrachtung zur öffentlichen und wissenschaftlichen Bewertung von Optionen, mit Bildern Wissen gewinnen zu können. Zuletzt wird die ästhetische Praxis in den Naturwissenschaften einer kunsthistorisch orientierten Analyse der Bildtraditionen, Sehkonventionen und Stile gegenübergestellt, auf die bildliche Erkenntnisgewinnung zurückgreift, um zu zeigen, dass auch der Gebrauch epistemischer Bilder ästhetisches Handeln ist.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Martina Heßler an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg
- persönliche Homepage von Dieter Mersch
- persönliche Homepage von Jörg R. J. Schirra
[…] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von Herbert von Halem erwähnt. Herbert von Halem sagte: r:k:m, "Martina Heßler; Dieter Mersch (Hrsg.): Logik des Bildlichen" – http://bit.ly/9NWD20 […]