Rezensiert von Yvonne Kuhn
Der Blick auf amerikanische Wahlkämpfe scheint für deutsche Politik- und Medienwissenschaftler von besonderem Reiz zu sein – wird doch immer wieder eine Adaption amerikanischer Strategien durch deutsche Parteien unterstellt. Eine Analyse der Strategien im Wahlkampf Barack Obama versus John McCain als “nie da gewesenes Ereignis” (7) hat nun Nina Trentmann vorgelegt und verspricht, die “wichtigsten strategischen Neuerungen” (8) vorzustellen. Ihre Ergebnisse stützen sich neben einer umfangreichen Beachtung des Forschungsstands auf eigens durchgeführten Interviews mit Wahlkampfmitarbeitern und -experten. Die Informations- und Materialfülle ist beachtlich, wenngleich die Beschäftigung mit der Kampagne Barack Obamas deutlich intensiver ausfällt als die mit seinem Konkurrenten John McCain.Obamas Sieg gründete sich vor allem auf der “Change”-Strategie und der intensiven Nutzung des Internets, das nicht nur als Werbemedium, sondern im hohem Maße als Mobilisierungs- und Fundraising-Instrument eingesetzt wurde. Einen Hauptteil der Magisterarbeit nimmt die detaillierte Darlegung des Internet-Einsatzes und der diesbezüglichen Unterschiede zwischen Obama und McCain ein. Trentmann belegt die enorme, sich erst in den letzten Jahren dynamisierende Entwicklung des Internets zum essenziellen Wahlkampfmedium: “Die Webseite ist nicht nur eine Informationsquelle – sie ist gleichzeitig das Informationsmittel der Kampagne, das Vehikel zum Mitmachen, ein Souvenirladen im World Wide Web und der Ort, wo Barack Obama einen Großteil seiner Spenden akquiriert.” (39)
Der Obama-Wahlkampf war in besonderer Weise von einer durch die Kampagnenleitung initiierten, sich dann jedoch verselbständigenden Unterstützung freiwilliger Wahlkampfhelfer gekennzeichnet. Entscheidend war jedoch nicht die Freiwilligen-Unterstützung selbst, sondern der “Versuch, die Kampagne als Grassroots-Bewegung zu porträtieren” (46), also das Grassroots-Image, vor allem für die Ansprache junger Wähler zwischen 18 und 24 (85f.). Die Kampagnen beider Kandidaten waren aber durchaus auch von herkömmlichen Wahlkampfinstrumenten wie die persönliche Wähleransprache an Haustür, via Post und Telefon geprägt.
Abgesehen von der erhöhten Internetpräsenz und -nutzung, die der technischen Entwicklung dieses Mediums, seiner Verbreitung und Eignung für den Einsatz wahlkampfrelevanter Methoden entspricht, ist, wie Trentmann überzeugend darlegt, nichts wirklich Neues im amerikanischen Wahlkampf zu entdecken. Insbesondere die Taktik der Demokraten, den Wechsel zu thematisieren und mit ihrem Kandidaten zu verbinden und dem Gegner politischen Stillstand zuzuschreiben, ist eine altbekannte und beliebte Wahlwerbung (18f.).
Trentmann stellt fest: Das Neue besteht lediglich in neuen Instrumenten und Technologien, es gibt keine grundsätzlich neuen Strategien. Damit bleibt der Erkenntnisgewinn begrenzt und die Relevanz der Untersuchung beeinträchtigt, denn Trentmann lässt unklar, wer denn eigentlich von einer Neuartigkeit des Wahlkampfes ausgeht. Die Politikwissenschaft zumindest nicht. Vielmehr schient es sich hier um ein Journalistenurteil zu handeln, das allerdings durchaus revisionsbedürftig ist.
Interessanter wäre es gewesen, zu zeigen, warum der Obama-Wahlkampf und sein Kandidat auch hierzulande ein ungewöhnlich hohes öffentliches Interesse erregte: Deutet es vielleicht trotz der unterschiedlichen politischen Kultur auf ein hier wie dort vorhandenes Sehnen nach charismatischen, scheinbar eindeutig einzuordnenden Politikerpersönlichkeiten hin?
Die Darstellung der Rahmenbedingungen und Wirkung von Wahlkämpfen sowie der Erreichbarkeit der Wähler nimmt die Autorin schulbuchmäßig vor, es fehlen jedoch eine theoretische Grundlegung der Bedeutung und Funktionen von Wahlkampf im politischen System sowie Aussagen über Politikvermittlung, die Rolle und das Verhalten der Medien. Der Arbeit mangelt es schließlich an einer kritischen Perspektive – auch im Fazit, in dem Trentmann lediglich auf die mögliche Übernahme amerikanischer Methoden für deutsche Parteien eingeht. Die Untersuchung ist außerdem streckenweise überfrachtet mit Zitaten, deren Einsatz nicht immer ersichtlich ist.
Literatur:
- Jung, M.: “Vom Obama lernen heißt siegen lernen? Rahmenbedingungen für Wahlkämpfe in Deutschland”, in: Picot, A.; Freyberg, A. (Hrsg.): Media Reloaded. Mediennutzung im globalen Zeitalter, Heidelberg 2010, S. 95-102.
Links:
- Verlagsinformationen zum Buch
- Webpräsenz von Yvonne Kuhn an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg