Rezensiert von Carsten Heinze
Einige mögen sich verwundert die Augen reiben: Der renommierte Jenaer Soziologe Hartmut Rosa, der unter anderem mit seinen großen Studien zur Beschleunigung in der Moderne (2005) und seiner Resonanztheorie (2016) weit über das Fach der Soziologie hinaus Bekanntheit erlangt hat (das Buchcover hebt ihn als “SPIEGEL-Bestseller”-Autor hervor), schreibt ein kleines, dünnes Buch über “brüllende Monster” und “singende Engel” und präsentiert – wie es im Untertitel heißt – “eine kleine Soziologie des Heavy Metal”. Rosa outet sich darin als leidenschaftlicher Hörer dieser, lange Zeit verpönten und vielfach verunglimpften, Jugend- und Musikkultur. Man vergegenwärtige sich noch einmal, was einst der Musikkritiker Robert Duncan über den Metal und seine Anhänger (gendern ist in diesem Fall wohl überflüssig) in einem Schwall von Herabwürdigungen über diesen ausgoss:
“Heavy Metal: pimply, prole, putrid, unchic, unsophistacated, anti-intellectual (but impossibly pretentious), dismal, abysmal, terrible, horrible, and stupid music, barely music at all; death music, dead music, the beaten boogie, the dance of defeat and decay; the ‘huh?’ sound, the ‘duh’ sound, … music made by slack-jawed, alpaca-haired, bulbous-inseamed imbeciles in jackboots and leather and chrome for slack-jawed, alpaca-haired, downy-mustachioed imbeciles in cheap, too-large T-shirts with pictures of comic-book Armageddon ironed in the front” (Duncan 1984, in: Weinstein 2000: 1).
Vernichtender kann eine Kritik wohl kaum ausfallen – und gerade deshalb erst recht anziehend auf ein junges Publikum wirken. Zudem tat die damalige öffentliche Berichterstattung ihr Übriges, Heavy Metal zu skandalisieren, so etwa die unsägliche Fernsehsendung Report München mit dem Titel Ihr Kinderlein kommet (DE 1990)1 . Hierin wurde mit einer an dunkle Zeiten erinnernden Moral-Panic-Rhetorik der Eindruck verstärkt, es handele sich bei Heavy Metal um eine dumpfe, die Jugend in ihrer Seele verderbende Musikkultur schlichter und blutrünstiger, bestenfalls naiver Gemüter. Diskriminierung Jugendlicher und der ‘Untergang des Abendlandes’ kann in bigottem Gewand kaum finsterer daherkommen.
Bei anderen, mit populärer Musikkulturforschung sowie insbesondere dem Heavy Metal und den Heavy Metal-Studies vertrauteren Leser*innen wird sich die Verwunderung über die Soziologisierung dieser Musikkultur eher in Grenzen halten. Denn seit einigen Jahren ist Heavy Metal als akademischer Forschungsgegenstand interdisziplinär nobilitiert. Mittlerweile gibt es eine “Society for Metal Studies” (https://metalstudies.org/) mit eigener Buchreihe und regelmäßig stattfindenden Tagungen. Seit vielen Jahren forscht etwa die US-amerikanische Soziologin Deena Weinstein, die ein Grundlagenwerk zu Heavy Metal verfasst hat (1991; 2009), zu Musik und Kultur des Heavy Metal. Seit seinem Erfolg in den 1980er Jahren hat der Heavy Metal in verschiedener Hinsicht verstärkt Einfluss auf den gesellschaftlichen und kulturellen Wandel genommen (Swiniartzki 2023). Und auch an den Schnittstellen zum Musikjournalismus entstehen interessante Übersichtsdarstellungen und historische Aufarbeitungen (Roccor 1998; Schäfer 2001). Die globale Bedeutung des Heavy Metal verdeutlichen darüber hinaus Studien, die sich mit dessen kulturellen Praktiken außerhalb Europas und der USA beschäftigen (Crowcroft 2017) und die Verarbeitung in anderen Kulturkreisen thematisieren (Levine 2008).
Auch in der Öffentlichkeit hat sich das Bild des Heavy Metal seit Duncans – ernstgemeinten? – Verdikt stark verändert und zugleich in unterschiedliche Szenen ausdifferenziert. Eine Reihe von Filmen, Romanen oder auch (Auto-)Biografien haben zur größeren Akzeptanz dieser Musikrichtung ebenso beigetragen wie das zum Kult erhobene, jährlich stattfindende Wacken Open Air-Festival in Schleswig Holstein. Sam Dunn, ein kanadischer Metal-Head und Anthropologe, hat mit seinen Dokumentarfilmen Metal: A Headbanger’s Journey (US 2005), Global Metal (2007) sowie der Serie Metal Evolution (2011) ein großes Publikum erreicht und Metal in all seinen Aspekten und globalen Zusammenhängen aufgearbeitet. Selbst der Black Metal (aus Norwegen) – berüchtigt durch seine radikalen Auswüchse, kriminellen Straftaten und morbiden Selbstinszenierungen in den 1990er Jahren – hat teilweise Eingang in den Mainstream und in den Bereich der künstlerischen Fotografie gefunden (Beste 2008). Schließlich bewegen sich Bands wie Satyricon oder die Droner von Sunn O))) mittlerweile auf dem Parkett der (post-)modernen Kunstszene und des Theaters.
Anders als noch in den 1980er und 1990er, wo Heavy Metal mit Satanismus, Gewalt oder Sexismus in Verbindung gebracht wurde, und das “backspinning” – das Rückwärtsabspielen – von Alben Jugendliche angeblich zu Straftaten und Suiziden geführt haben soll (Twisted Sisters und Judas Priest wurden für angeblich verborgene Botschaften in ihren Songs in den USA angeklagt, jedoch in allen Punkten freigesprochen), wird heutzutage die eingeschworene und friedfertige, mitunter zum Konservativen und Traditionalen neigende Gemeinschaft, die den Großteil der in die Jahre gekommenen Heavy Metal-Kultur des Mainstream ausmacht, betont und kaum mehr öffentlich vorgeführt. Heavy Metal ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen und begeistert sämtliche Schichten jeden Alters und Geschlechts.
Hartmut Rosas “kleine Soziologie des Heavy Metal” ist dennoch ein Spagat zwischen persönlicher Obsession und objektivierter, aus der sicheren Distanz des universitären Schreibtisches verfasster Analyse. Wollte man dieses Vorgehen in guter soziologischer Manier methodisch einordnen, könnte man im weitesten Sinne von einer “Autoethnografie” sprechen, eine autobiografisch orientierte Sozial- und Kulturanalyse, wie sie in jüngster Zeit von Didier Eribon (2009) oder Steffen Mau (2017) für die Soziologie prominent gemacht wurde. Dieses Vorgehen ist insofern (oder zumindest dem Rezensenten) sympathisch, da es den Betrachter subjektiv als Teilnehmer im Forschungsfeld situiert und dadurch dem Feldzugang einen selbstreflexiven Anstrich verleiht – und der Musik als bekennender Fan analytisch vermutlich mehr abgewonnen werden kann als durch eine steife (und verständnislose) Analyse (Adorno lässt grüßen). Wie sollte man, ohne selbst über persönliche Kenntnisse oder ein Gefühl für die Musik, über die man schreibt, zu verfügen, objektiv einer Musikkultur, in der es um ästhetische und (lebens-)stilorientierte Fragen geht, gerecht werden? Zugleich gibt aber der so vorgehende Wissenschaftler damit etwas über sich und seine Profession preis und muss sich mit dem latenten Vorwurf auseinandersetzen, einseitig, selektiv oder womöglich verklärend zu sein. Die Art und Weise, wie Rosa persönliche Erfahrung und soziologische Analyse verbindet, verrät Vorbehalte und Stereotype von Teilen der (deutschen Höhenkamm-)Soziologie, die traditionell Schwierigkeiten mit der Erforschung populärer Musikkulturen hatte und in der Vergangenheit nur wenig Interesse für Jugendkulturen, schon gar nicht für Heavy Metal, aufbringen konnte.
Es scheint dem Autor trotz aller Offenbarung daher auch ein wenig Unbehagen zu bereiten, sich derart persönlich auf die Kultur und die Musik des Heavy Metal einzulassen und seine Musikleidenschaft in ein angemessenes Verhältnis zur Soziologie zu rücken. Das Bekenntnis zum eigenen Musikgeschmack trägt – zumindest gilt dies im Pop- und Rock-Bereich – immer Züge eines intimen Bekenntnisses: Du bist, was du hörst. Rosas Enthusiasmus gegenüber sinnlichen (wie textuellen) Heavy Metal-Erfahrungen sowie sein aktives, nach eigenem Bekunden erfolgloses, Musizieren in Rockbands, werden durch argumentative Einordnungen und Relativierungen immer wieder entpersönlicht und von außen betrachtet, in die Distanz gebracht und dadurch relativiert. Sinnliches Musikerleben und die hervorgerufenen persönlichen Gefühle seien eben letzten Endes rational unverfügbar, so merkt Rosa beinahe rechtfertigend an. Insofern sei das Buch für ihn ein “doppelter Seiltanz”: “Einerseits soll es kein wissenschaftliches Buch sein, sondern der Versuch einer Selbstdeutung aus Fansicht und Fanerleben. Es soll einen ‘Best Account’ liefern. Das heißt, die beste mir mögliche Erklärung dafür, was in und mit dieser Musik vorgeht. Bei einer solchen Erklärung oder Deutung komme ich aber andererseits nicht ohne das Vokabular und Instrumentarium aus, das ich mir als Soziologe angeeignet habe” (24 f.).
Rosa bemüht sich als renommierter Soziologe den ‚richtigen Ton‘ gegenüber einer nicht-soziologischen Heavy Metal-Gemeinde zu treffen, die er offenbar ebenso als Leser*innenkreis im Auge zu haben scheint wie seine Fachkolleg*innen, von denen einige offenbar dem Projekt skeptisch gegenüberstanden. An wen sich letztlich das Buch richtet und in welche Richtung es Aufschluss zu geben verspricht, ist eine notorische Frage, die sich über alle Kapitel hinweg stellt – und nicht zuletzt durch die Art und Weise seiner Darlegungen von ihm selbst gestellt wird.
Dem Buch ist eine Widmung an seine “wilden Brüder” (und Schwestern) vorangestellt, mit denen er in “wilden Jahren die Bühne” geteilt hat. Rosas “doppelter Seiltanz” umfasst neun Kapitel, dessen Überschriften es sich schon deshalb anzusehen lohnen, da diese einen akademischen Gestus mit nonchalanter Umschreibung verbinden. Sie lauten beispielsweise: “Mit Ganzkörpergänsehaut und Tränen in den Augen: Metal hören”, “Näher als Dein eigener Atem: Metal als Tiefenresonanz”, “‘Paradise is here’: Konzertbeginn und Konzertende als Epiphanien” oder auch “‘Das können die doch nicht ernst meinen? Oh doch, das können die!’ Worum es wirklich geht”. Körperlichkeit, Existenzerfahrung, Identifikation und analytischer Blick gehören in diesem Buch untrennbar zusammen.
Im einleitenden Kapitel stellt sich Hartmut Rosa autobiografisch als leidenschaftlicher Heavy Metal-Hörer vor, der von seiner Jugend an bis heute von dieser Musikkultur geprägt wurde. Zwischen den Polen “Heaven and Hell” – der Verweis auf ein bekanntes Stück von Black Sabbath aus den Dio-Jahren – entfalte Metal seine existentielle und mitunter heilende oder tröstende Kraft. Davon zeugen, so Rosa, sowohl seine bombastische und virtuose Spielart wie auch die dramatischen Texturen des Heavy Metal, von denen viele Passagen als Beispiele vorgestellt und durchleuchtet werden. Ob allerdings die existentielle Dringlichkeit, die Rosa dem Metal zuschreibt, tatsächlich ein Alleinstellungsmerkmal ist, mag angesichts der “Realness“ und “Street Credibility” im Rap und der “Authentizität” und des “DIY” im Punk bezweifelt werden (was Rosa im “Outro” auf Seite 155 auch einräumt).
In den anschließenden Kapiteln werden, dem Eingeweihten überwiegend bekannte, historische wie aktuelle Fakten und Gemeinplätze des Heavy Metal präsentiert, allerdings soziologisch mit Rosas Resonanztheorie untermauert. Idiosynkratisch sind die Beschreibungen Rosas zu einzelnen Bands und Szenen, die ihn als Kenner ausweisen (sollen), ihn geschmacklich aber auch auf bestimmte Bereiche des Metal eingrenzen. Seine Versuche einer Deutung und Erklärung, die sich grundlegender dem Phänomen des individuellen Hörerlebnisses wie der Faszination großer, lautstarker Konzertereignisse widmen, sind dagegen recht interessant. Es lässt sich herauslesen, dass Rosas Leidenschaft vor allem den musikalischen Finessen gilt (klar, er selbst ist Musiker) und die subkulturellen Züge des Metal bis zu einem gewissen Grad bei ihm Faszination auslösen, er dagegen ambivalente, problematische oder tendenziöse Abirrungen strikt abgelehnt und deshalb nicht weiter behandelt – genau diese aber mögen für einige Hörer*innen gerade den Reiz der grenzüberschreitenden Provokation und in der Konsequenz die radikale Abgrenzung zu anderen Musikkulturen ausmachen.
So steckt denn auch eine gehörige Portion Moral in Rosas Bekenntnissen und der Auswahl der von ihm geliebten Bands, die den ‘guten’ und ‘unverdächtigen’ Metal von den weniger guten und nur schwer einordbaren Erscheinungen und Performanzen zu trennen versucht, ohne den – sozialverträglichen und schmerzfreien – Teil des Outsider-Status’ des Heavy Metal ganz aufgeben zu müssen. Ein wenig anders darf es sein, aber bitte nicht quer zu herrschenden Werten und Normen liegen. Damit wird ein Diskurs bedient, der den Metal zu einem zahnlosen Tiger macht. Während die Abgrenzung gegenüber rechtsextremen Auslegern des Heavy Metal nachvollziehbar und angezeigt ist (wobei die Band Freiwild, die Rosa u. a. aufruft, vermutlich kein ideales Beispiel dafür ist, die ebenfalls genannte NS-Black Metal Band Absurd dagegen schon), wird es beim Phänomen Slayer schon schwieriger: “Mir selbst sind und waren Slayer einigermaßen suspekt, und ich mag sie auch musikalisch nicht” (54), heißt es dann auch lapidar.
Aber ist es nicht gerade das Suspekte, Uneindeutige, Ambivalente, Groteske, Überzeichnete und letztlich nicht Auflösbare, woraus sich der Reiz von Musik(sub)kulturen ergeben kann, für Fan und Analytiker*in gleichermaßen? Muss man sich nicht, sofern man den Metal existentiell voll auskosten möchte, sich den Verführungen des “Theaters der Grausamkeit” (Artaud) imaginär ein Stück weit hingeben? Woraus begründet sich denn noch die Widerspenstigkeit des Heavy Metal (sofern es sie jemals gegeben hat), wenn alle Widersprüche erklärbar, aufgelöst und eingeebnet werden? Böse Stimmen könnten den Metal dann auch als Schlager der Rockmusik begreifen.
Das Gespräch über die Professionalität einzelner Musiker*innen kann eine Musikkultur, die Renitenz auf ihre Fahnen schreibt, schnell langweilig werden lassen. Und – aber das ist auch gar nicht Rosas Anspruch – hat nicht die Ethnographie populärer Kulturen gelehrt, sich (möglichst unvoreingenommen) auf Praxisfelder einzulassen, um diese besser, tiefer und damit angemessener beschreiben und verstehen zu lernen, auch wenn sie nicht immer mit den eigenen moralischen Maßstäben vereinbar sein mögen? Die Geschichte des Heavy Metal ist jedenfalls voll von provokanten und mitunter geschmacklosen Grenzüberschreitungen, Ausschweifungen und deren Verklärungen, wie auch von politischen Vereinnahmungsversuchen einer vermeintlich ‘unpolitischen’ Musikkultur von links wie von rechts. Wollte man diese über einen moralischen Leisten ziehen und verurteilen, könnte man große Teile des Heavy Metal einstampfen. Der Wunsch nach – wenn auch nur durch ein Gefühl getragener – Freiheit und Entfesselung, der zweifelsohne lange Zeit die Rockmusik und insbesondere den Heavy Metal in ihrem Selbstverständnis bestimmte, birgt auf der anderen Seite immer ein Risiko, das unkontrollierbar ist – und sein soll. Der Dämon einer so schrägen, skurrilen, drogengeschwängerten und zugleich diabolischen Figur wie Bobby Liebling (Pentagram) und seinem Talent, großartige Metal-Songs zu schreiben, wäre hier ein interessantes Beispiel – das es nach dem Film Pentagram: Last Days Here (US 2011) bis in die New York Times geschafft hat.
Insofern ist es im Sinne der Argumentation nachvollziehbar und für die Zwecke Hartmut Rosas auch vollkommen ausreichend, sich auf die Bands und Kulturen zu konzentrieren, die ihn musikalisch und textuell ansprechen und die der Soziolog*innen-Gemeinde zumutbar sind. Selbst, wenn er damit kaum in der Lage ist, das breite Spektrum “des” Heavy Metal einzufangen, enthebt ihn sein Fan-Bekenntnis von der Aufgabe, tiefer, breiter und mit dem Anspruch einer umfassenden Untersuchungsperspektive in diese Kultur einzusteigen. Heavy Metal auf einen gemeinsamen (Erfahrungs-)Nenner und ein Gemeinschaftsgefühl bringen zu wollen, kann angesichts der weitgespannten Stildifferenzierungen, die über das Musikalische hinausgehen – um nur einige wenige zu nennen: Power Metal, White Metal, Black Metal, Doom Metal, Drone, Pop Metal, Pagan Metal, Wiking Metal, Thrash Metal, Speed Metal, Glam Metal, Hair Metal, Jazzcore, Grindcore usw. – nur scheitern. Und eigentlich ist auch die Zeit der großen Masternarrative längst vorbei. Insofern kann eine Geschichte “des” Heavy Metal im Singular bestenfalls nur einzelne Facetten hervorheben.
Was bleibt? Begrüßenswert ist, dass sich so renommierte Soziolog*innen wie Hartmut Rosa auf einen Gegenstand wie Heavy Metal einlassen und sich damit eines Themas annehmen, das im Lebensalltag vieler Menschen weltweit große Bedeutung hat. Die biografische sowie kollektive Verankerung von “Youth Culture” jenseits von Altersgrenzen und im Sinne eines “whole way of life” (Raymond Williams) gerät dementsprechend stärker in den Fokus der Popular Music Studies (etwa: Bennett/Hodkinson 2012) und zeigt, wie auch nach den wilden Jahren der Jugendzeit populäre Musik wie der Heavy Metal Bestandteil des Lebens bleiben kann. “Eine kleine Soziologie des Heavy Metal”: Darüber hinaus geht es im vorliegenden Buch bisher nicht – soll es aber auch gar nicht.
Nachzudenken wäre dennoch darüber, wie eine “große” Soziologie des Heavy Metal, womöglich mit weiteren populären Musikkulturen im Vergleich, aussehen könnte. Dies gilt auch für Stilvarianten, die Rosa aus dem Heavy Metal aus Geschmacksgründen heraustrennt, nicht zur Kenntnis nimmt oder schlichtweg nicht kennt (kennen muss). Dazu gehören nicht nur die vielen subkulturellen Spielarten des Heavy Metal, sondern auch seine rechtsextremen Auswüchse, denen man sich trotz aller inneren Widerstände als musikkulturellem Phänomen und Ausdruck gesellschaftlicher Diskurse stellen sollte.
Der epistemologische Ausschluss ist kein geeignetes Instrument wissenschaftlicher Erkenntnisbildung, auch wenn persönliche Aversionen eine Beschäftigung eigentlich verhindern. Denn nicht nur im Heavy Metal, sondern auch in anderen Musikkulturen machen sich rechte und rechtsextreme Tendenzen jenseits des harten Rechtsrocks seit Jahrzehnten bemerkbar und verweisen auch im populären Musikbereich auf gesellschaftliche Entwicklungen, die nichts Gutes verheißen. Allerdings werden diese Entwicklungen und Ausdifferenzierungen im Bereich der populären Musikkulturen bisher noch zu wenig untersucht (dazu das Themenheft: testcard: Rechtspop 2023).
Um zu einer “großen Soziologie” des Heavy Metal ausgebaut zu werden, bedarf es darüber hinaus einer stärkeren, möglicherweise an den Metal Studies orientierten Herangehensweise, die es zu soziologisieren gelte (was die Metal Studies zu wenig tun). Schließlich wäre eine kultursoziologische Analyse des Faszinationspotential des Metals in einem größeren kulturellen und gesellschaftlichen Zusammenhang zu sehen, womöglich theoretisch einzuordnen (dies geschieht beispielsweise im Fall des norwegischen Black Metal). Denn das Dunkle und Düstere findet sich in Teilen der populären Kultur wieder, angefangen bei Gothic-Novels über Fantasy-Romane, Vampirgeschichten und Horrorfilme, um nur einiges zu nennen. Kein Wunder, dass in vielen Horrorfilmen der Heavy Metal als Musikkultur auftaucht. In Film und Literatur lassen sich Phänomene, wie sie sich auch im Metal als Motiv finden, seit vielen Jahren beobachten. Angesichts wenig verheißungsvoller und herausfordernder Zukünfte mögen apokalyptische Fantasien Konjunktur haben und das Düstere und Dunkle eine neue Anziehungskraft entfalten. Ob und inwieweit derartige Überlegungen aber tatsächlich tragen, wäre weiteren (empirischen wie theoretischen), unvoreingenommenen Untersuchungen vorbehalten.
- https://www.youtube.com/watch?v=N9zn8yvY8zc (letzter Zugriff: September 2024). ↩︎
Literatur:
Bennett, Andy; Hodkinson, Paul (Hrsg): Ageing and Youth Culture: Music, Style, and Identity. London/New Delhi/New York/Sydney [Bloomsbury] 2012
Beste, Peter: True Norwegian Black Metal: We Turn in the Night Consumed by Fire. Brooklyn [Vice Books] 2008
Crowcroft, Orlando: Rock in a Hard Place: Music and Mayhem in the Middle East. London [Zed Books] 2017
Eribon, Didier: Rückkehr nach Reims. Berlin [Edition Suhrkamp] 2009
LeVine, Mark: Heavy Metal Islam: Rock Resistance, and the Struggle for the Soul of Islam. New York [Three Rivers Press] 2008
Mau, Steffen: Lütten Klein: Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft. Berlin [Suhrkamp] 2017
Roccor, Bettina: Heavy Metal: Die Bands. Die Fans. Die Gegner. München [C. H. Beck] 1998
Rosa, Hartmut: Beschleunigung: die Veränderung der Zeitstruktur in der Moderne. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 2005
Rosa, Hartmut: Resonanz: eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin [Suhrkamp] 2016
Schäfer, Frank: Heavy Metal: Geschichten, Bands und Platten. Leipzig [Reclam] 2001
Swiniartzki, Marco: Heavy Metal und gesellschaftlicher Wandel. Sozialgeschichte einer Musikkultur in den langen 1980er Jahren. Bielefeld [Transcript] 2023
Testcard. Beiträge zur Popgeschichte #27: Rechtspop. Mainz [Ventil] 2023
Weinstein, Deena: Heavy Metal: A Cultural Sociology. New York [Lexington Books] 1991
Weinstein, Deena (überarb. Aufl): Heavy Metal: The Music and its Culture. Boston, Mass. [Da Capo Press] 2000
Weinstein, Deena: The Empowering Masculinity of British Heavy Metal. London [Routledge] 2009
Links:
Über das BuchHartmut Rosa: When Monsters Roar and Angels Sing. Eine kleine Soziologie des Heavy Metal. Stuttgart [Kohlhammer] 2024, 187 Seiten, 20,- EuroEmpfohlene ZitierweiseHartmut Rosa: When Monsters Roar And Angels Sing. von Heinze, Carsten in rezensionen:kommunikation:medien, 8. Oktober 2024, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/25015