Lina Franken: Digitale Methoden für qualitative Forschung

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Rezensiert von Ralf Spiller

Erleben wir gerade den “computational turn” in den Sozialwissenschaften? Also eine massive Veränderung ähnlich dem “visual”, “spatial” oder “linguistic turn“? Lina Franken hält sich bei der Beantwortung dieser Frage zurück. Sie führt an, dass digitale Arbeitstechniken zumeist nach wie vor hybride Techniken, “verbunden mit viel digitaler Handarbeit”, seien. Und dies werde ihrer Meinung nach auch noch lange so bleiben (vgl. 227).

Doch der Reihe nach: Franken möchte qualitative Perspektiven auf digitale Daten und Methoden vorstellen, diese systematisieren und so einen praktischen Einstieg ermöglichen. Das Buch soll zudem Referenzen für die eigenständige Vertiefung anbieten (vgl. 11). Der Autorin geht es primär darum, digitale Tools, welche in anderen Bereichen bereits genutzt werden, hinsichtlich der konkreten Bedürfnisse und Ansprüche qualitativer Methoden einzuordnen (vgl. 17).

Das Buch umfasst elf Kapitel. Der Einleitung folgt ein umfangreiches Kapitel zu den Grundlagen und Entwicklungslinien der Digital Humanities und Computational Social Sciences. Dass die Autorin aus dem Bereich der Digital Humanities kommt, lässt sich an den zahlreichen Beispielen aus dem Feld der Literaturwissenschaft ablesen. Im dritten Kapitel beschäftigt sich Franken mit unterschiedlichen digitalen Datentypen wie Textdaten, Bild- und audiovisuelle Daten, Social-Media-Daten und Trace Data. Das vierte Kapitel widmet sich der Frage, wie man relevante Daten für den Forschungsprozess findet und speichert. Hier werden insbesondere Webcrawling und Scraping thematisiert, aber auch verschiedene Arten von Datenbanken.

Im fünften Kapitel geht es um digitale Analyseverfahren, bspw. Text-Mining, Topic Modeling sowie Netzwerk- und Sentimentanalysen; im sechsten um die Frage, wie der Forschungsprozess insgesamt digital unterstützt werden kann (kollaboratives Forschen, Literaturveraltung etc.). Die beiden folgenden Kapiteln erörtern, ob man programmieren lernen sollte und wo die Grenzen digitaler Daten und Verfahren liegen. Das neunte Kapitel bietet eine kurze Zusammenfassung und einen Ausblick, das zehnte ein umfangreiches Quellenregister. Aus rein praktischer Sicht ist besonders das elfte Kapitel – ein Glossar zu Software und Daten-Repositorien – wertvoll: Hier werden zahlreiche frei verfügbare Software Tools hinsichtlich ihrer Leistungen und Limitationen kurz beschrieben.

Franken zufolge stellen Computationelles Denken bzw. Verfahren eine Ergänzung, aber keinen Ersatz qualitativer Forschung dar (vgl. 46): Digitale Verfahren können besonders bei der Daten-Korpus-Erstellung und beim Forschungsdatenmanagement helfen. Obwohl Algorithmen sehr schnell und sehr gut Muster erkennen können, seien sie eher schlecht darin, Bedeutung zu erkennen (vgl. 55) und somit für epistemologische, also wissenschaftstheoretische Fragen, weitgehend ungeeignet (vgl. 51). Die Rolle von digitalen Tools im Forschungsprozess wachse, gleichzeitig seien viele dieser Tools “black boxes” (58), die es unmöglich machen, nachzuvollziehen, welche Daten wie genau ausgewertet werden. Hinzu komme, dass Daten nicht selten “algorithmically confounded” sind, also von Algorithmen verzerrt. Viele Daten trügen zudem einen Bias in sich, der berücksichtigt werden müsse (vgl. 69). Scließlich drohe die Gefahr einer positivistischen Data Science: einer neuen Form des Empirismus, bei dem man nur noch von den Daten ausgehe, d.h. ohne Forschungsfragen oder -hypothesen an Daten heranginge (vgl. 59). Die Critical Data Studien würden genau solche Themen aufgreifen.

Franken zählt eine Reihe handwerklicher Herausforderungen auf, mit denen man derzeit noch konfrontiert wird: So seien über Schnittstellen (APIs) heruntergeladene Daten oft unvollständig, ihnen fehle Kontext und sie sähen nach dem Download anders aus als das, was der User gesehen hat (vgl. 116). Auch seien die methodischen Standards bei digitalen qualitativen Verfahren noch nicht vollständig entwickelt (vgl. 157, 228), sodass unter anderem bei digitalen Daten eine erweiterte Quellenkritik notwendig werde.

Die Autorin konstatiert jedoch auch, dass wir uns in einer Zeit der Datafizierung befinden. Das Soziale finde mehr und mehr datenvermittelt statt (vgl. 62f). Big Data könne neue Perspektiven auf menschliches Verhalten sichtbar machen (vgl. 65), bei großen Datenmengen dank computationeller Verfahren viel Zeit gespart werden, doch: Obwohl es bereits eine Menge guter Tools gibt, müsse beachtet werden, dass digitale Methoden sich zwar sehr gut für einfache und skalierbare Aufgaben eignen, bei Mehrdeutigkeiten hingegen eher schwach abschneiden (vgl. 220).

Nach wie vor bleibt es notwendig, so Franken, den gesamten Forschungsprozess zu durchlaufen (vgl. 218). Aktuell würden nur einzelne Schritte des Forschungsprozesses durch Automatisierung unterstützt; diese könnten den bisherigen Forschungsprozess zwar ergänzen, aber nicht ersetzen (vgl. 228).

Fazit: Die Autorin hat ein kompaktes Einführungswerk zu der Frage geschrieben, wie computationelle Verfahren in der qualitativen Sozialforschung genutzt werden können. Dabei zeigt sie versiert die Stärken und Schwächen bei der Anwendung verschiedener Tools auf – sowohl bei der Datenerhebung als auch der Datenauswertung. Derlei Tools und Methoden werden zunehmend zum Standardwerkzeug in den Sozialwissenschaften gehören. Da sie stetig weiterentwickelt werden und neue hinzukommen, kann ein Buch immer nur den Status Quo wiedergeben. Dies jedoch ist gut gelungen.

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