Rezensiert von Thomas Knieper
Die Fachgruppe “Visuelle Kommunikation” in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikations- wissenschaft wurde im Jahr 2000 gegründet. Der vorliegende Tagungsband der Fachgruppe ist bereits der fünfte, der im Herbert von Halem Verlag herausgegeben wurde. Thematisch widmet sich die Publikation visuellen Stereotypen und beinhaltet neben der Einleitung elf Beiträge, die unterschiedliche Sichtweisen auf das anspruchsvolle und interessante Thema aufbereiten. Obwohl die Beiträge von Qualität und Perspektive sehr heterogen sind, gelingt es den beiden Herausgebern Petersen und Schwender dem Band eine klare, viergliedrige Struktur zu geben: Stereotype in der politischen Propaganda, visuelle Stereotype bei der Darstellung gesellschaftlicher Gruppen in den Medien, Wirkungsmechanismus und –potenziale sowie methodische Ansätze zur Analyse von Bildinhalten und Bildwirkung.In ihrer Einleitung erläutern die Herausgeber zunächst, was unter Stereotypen zu verstehen ist: “Sie betonen – ganz in der Tradition Lippmanns – den Prozess der Vereinfachung einer in ihrer ganzen Komplexität sonst nicht strukturierbaren Wirklichkeit, und sie heben das Element der Verallgemeinerung hervor, die Übertragung der aus dem Stereotyp bekannten Muster auf eigentlich unbekannte Personen oder Situationen” (9). Sie versäumen dabei nicht auf den Wortursprung aus dem früheren Druckereialltag hinzuweisen, bei dem die Stereotypisierung einen technischen Prozess der Herstellung einer starren Druckplatte aus beweglichen Lettern bezeichnet. Damit wird auch die Nähe zum Klischee klar, das in der Druckersprache für eine Hochdruckvorlage steht. Dass sich die Klärung des Wortursprungs im Beitrag von Ansgar Koch doppelt, kann man unter dem Stichwort nützliche Redundanz verbuchen.
Der erste Aufsatz Stereotype in der politischen Plakatpropaganda der Regierung Adenauer stammt von Norbert Grube, der Ende der 1990er Jahre bis 2005 Archivleiter am Institut für Demoskopie Allensbach (IfD)war. Neben den demoskopischen Umfrageergebnissen konnten für diesen Beitrag auch Schriftwechsel von Erich Peter Neumann (1947 Mitbegründer des IfD Allensbach) mit Otto Lenz (von 1951 bis 1953 Chef des Bundeskanzleramtes) ausgewertet werden. Neumann war gemeinsam mit Elisabeth Noelle-Neumann demoskopischer Berater Konrad Adenauers. Insofern liegen diesem Beitrag Zeitdokumente zu Grunde, die einen außergewöhnlichen und vergleichsweise direkten Zugang zum Thema ermöglicht haben.
Sascha Demarmels’ Abhandlung Die Darstellung des Bösen auf politischen Plakaten basiert auf den Ergebnissen einer qualitativen Inhaltsanalyse von Schweizer Abstimmungsplakaten aus den Jahren 1898 bis 2006. Daher ist es irritierend, wenn bei der Ergebnisdarstellung später auch deutsche und spanische Plakate einbezogen werden. Erklärtes Ziel ist die Ermittlung der auf den Plakaten verwendeten Emotionalisierungsstrategien, die laut Demarmels intentional von den Plakatmachern mit dem Ziel eingesetzt wurden, bestimmte Emotionen auf Rezipientenseite auszulösen. Da weder eine Kommunikator-, noch eine Rezipientenstudie vorliegen, können weder über die tatsächlichen Strategien, noch über die erzielten Wirkungen valide Aussagen gefällt werden. Schlussendlich beschränkt sich der Erkenntniswert des Beitrags darauf, dass Demarmels die untersuchten Plakate anhand der gezeigten Bildmotive in drei Gruppen unterteilt, nämlich Plakate mit positiver Emotionalisierung, Plakate mit negativer Emotionalisierung und Opferdarstellung sowie Plakate mit negativer Emotionalisierung und Täterdarstellung.
Der Beitrag von Sabine Reich und Franziska Spitzner untersucht die mögliche Veränderung stereotyper Wahrnehmung durch Ethno-Soaps am Beispiel der TV-Serie Türkisch für Anfänger. Mit einem zweistufigen Design (1. Stufe: Inhaltsanalyse zur Ermittlung der gezeigten Stereotype in der TV-Serie. 2. Stufe: Zweifaktorielles Feldexperiment zur Ermittlung der Veränderung der stereotypen Wahrnehmung.) gehen die beiden Autorinnen systematisch der Frage nach, welches Einflusspotential die Rezeption der Fernsehserie auf die stereotypen Überzeugungen der Zuschauer hat. Zwar konnte die Studie keine signifikanten Veränderungen in der Beurteilung der sechs häufigsten Stereotype in der TV-Serie nachweisen, dafür aber einen Sympathiezuwachs unter den deutschen Serienzuschauern gegenüber Türken. Der Beitrag selbst hat für einen deutlichen Sympathiezuwachs für TV-Serien-Forschung auf Seiten des Rezensenten geführt. Insgesamt handelt es sich um einen sehr lesenswerten Beitrag im vorliegenden Sammelband.
Ansgar Koch interessiert sich für Pressefotos von Migranten in deutschen Tageszeitungen und analysiert daher die Fotoberichterstattung in ausgewählten Büchern und auf ausgewählten Seiten der Süddeutschen Zeitung, der Welt und der tageszeitung über 27 theoretisch begründete Kalenderwochen aus den Jahren 1991 bis 2004. Durch ein mehrstufiges Auswahlverfahren erhielt Koch eine sogenannte Zuwandererstichprobe, die insgesamt 258 Fotos umfasst. Diese Bilder wertete Koch sowohl mit quantitativer Inhaltsanalyse als auch qualitativer Einzelbildanalyse aus. Seine Ergebnisse sind sehr aufschlussreich und lesenswert. So weisen etwa Fotos von verschleierten Frauen “kaum inhaltliche Bezüge zum zugehörigen Artikel” auf. Es scheint plausibel, dass ihre Funktion vielmehr darin besteht, eine “negativ aufgeladene Assoziationskette zum Thema ‘Zuwanderung’ in Gang” zu setzen. Bei Fotos islamisch gekleideter Männer besteht hingegen meist ein Bezug zu einem im Artikel thematisierten Ereignis. Zudem sind die Männer oftmals in bedrohlichen Posen abgebildet, “gerade auch im Kontext […] der Debatte über die Gefahren des Islamismus”. Aus nahe liegenden Gründen hält sein Beitrag noch weitere interessante Befunde etwa zum Thema “Zuwanderer als wirtschaftliche oder kulturelle Bereicherung” bereit.
Das Alter als audio-visuelles Argument in der Werbung untersucht Clemens Schwender in seinem Beitrag. Er stellt fest, dass Mitglieder der älteren Generation in Werbespots im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil unterrepräsentiert sind. Zugleich weist Schwender darauf hin, dass die Medien- und damit auch die Werberealität nicht nach dem Prinzip der demographischen Repräsentanz konstruiert sind. Er stellt fest: “Eine Besetzung ist besser durch die narrative Funktion, die eine Rolle trägt, zu erklären. Diese wiederum ist durch die Stereotype bestimmt, da sie unmittelbar Erwartungen in Bezug auf Kompetenz und Verhalten einer Person zuweist.”
Flavia Bleuel hat ihren Aufsatz mit Emotionale Visiotype – Eine Analyse von Wirkungspotenzialen überschrieben. Mit Hilfe eines “Feldexperiment[s] mit einfaktoriellem Versuchsplan als Within-subjects-Design” konnte sie nachweisen, “dass bestimmte emotionale Visiotype auf der Individualebene Einfluss auf die Aufmerksamkeit und die Interessiertheit der Betrachter haben können”.
Mit Bezug auf Paul Martin Lester (Images that injure: Pictorial stereotypes in the media) beschäftigt sich Katharina Lobinger mit visuellen Stereotypen und besonderen Bild-Text-Interaktionen. Lobinger belegt anhand von Beispielen anschaulich, dass selbst “visuelle Stereotype keine rein visuellen Phänomene sind, sondern erst durch Interaktion mit kontextualisierenden Elementen ihren hohen Wirkungsgrad erreichen”. Erst durch sprachliche Kontextualisierung können Stereotype Verallgemeinerungen ausdrücken. Nach Ansicht der Autorin können visuelle Stereotype so (im Gegensatz zu anderen Medienbildern) allgemeine Konzepte anschaulich darstellen. Das Klischeehafte rückt somit in den Vordergrund. Visuelle Stereotype sind dabei auf eine insbesondere durch Text erlernte standardisierte Sehart angewiesen.
Valentin Rauer setzt sich mit Bezug auf das soziologische Konzept zur Typisierung mit dem Isotyp von Otto Neurath auseinander. “Während das Stereotyp verallgemeinert und dabei bestimmte Merkmale gefühlsbetont überzeichnet, zielt das Isotyp auf eine möglichst neutrale Visualisierung von sozialen Tatbeständen”. In gewisser Weise wirkt dieser Beitrag daher in einem Sammelband über visuelle Stereotype etwas verloren.
Mit ihrem Beitrag über Die Methode der quantitativen Bildtypenanalyse präsentieren sich Elke Grittmann und Ilona Ammann einmal mehr als eingespieltes Team. In diesem Beitrag vertiefen sie ihr Thema anhand der “Routinisierung der Bildberichterstattung am Beispiel von 9/11 in der journalistischen Erinnerungskultur”. Einführend erläutern sie zunächst, was sie unter der Bildtypenanalyse verstehen, nämlich die Verknüpfung von ikonographisch-ikonologischer Methode nach Erwin Panofsky und quantitativer Inhaltsanalyse. Anhand der Gedenkberichterstattung zu 9/11 belegen die Autorinnen anschaulich, “dass sich die quantitative Bildtypenanalyse durchaus als adäquate Methode erweist, um Bildinhalte systematisch zu erfassen und zu interpretieren, sowie die handlungsleitenden journalistischen und kulturellen Bedeutungskonstruktionen zu ermitteln”. Sie kündigen an, ihre Methode weiter zu entwickeln und sehen hier insbesondere ein großes Potential bei der Analyse von Sport- und Kriegsberichterstattung. Ihr visionäres Ziel ist die Entwicklung eines Bildtypenkataloges. Nicht zuletzt aufgrund dieser Ankündigung darf man auf Nachfolgepublikationen gespannt sein.
Thomas Petersen, Nikolaus Jackob und Thomas Roessing beschäftigen sich mit dem Experiment als Forschungsstrategie zur Ermittlung von Effekten bewegter Bilder. Am besten lässt man die Autoren mit ihrem Resümee (und Plädoyer für das Feldexperiment) selbst zu Wort kommen: “Die Studie zeigt eindeutig, dass die am Anfang formulierte Annahme, es gebe eine zumindest annähernd lineare Beziehung zwischen den Ergebnissen von konventionellen Laborexperimenten und repräsentativen Feldexperimenten, zumindest im vorliegenden Fall falsch ist. Offensichtlich unterscheiden sich nicht nur die bei beiden Verfahren gemessenen Effektstärken wesentlich voneinander, sondern auch die inneren Strukturen der mit den beiden Methoden gewonnenen Daten. Da man bis auf Weiteres annehmen muss, dass das kontrollierte Feldexperiment im Rahmen von Repräsentativumfragen in dieser Hinsicht die verlässlichere Information bietet, unterstreicht das Ergebnis der vorliegenden Untersuchung deutlich die Problematik der oft mangelnden externen Validität von Laborexperimenten.”
Der Schlussbeitrag stammt von Steffen Krüger und ist mit Karikatur als Stereotypefahnder überschrieben. Einerseits belegt dieser Beitrag, dass Krüger ein großartiger Kenner der Schriften von Ernst Kris (und Ernst Hans Gombrich) ist. Andererseits verdeutlicht der Beitrag aber auch, dass der Autor mit einem sehr eingeschränkten Karikaturenbegriff arbeitet. Ein weiterer Wermutstropfen des Beitrags besteht etwa im Abdruck und der vergleichsweise oberflächlichen Auseinandersetzung mit der Mohammed-Zeichnung von Kurt Westergaard, die der Autor als Stereotyp von der Karikatur abgrenzt. Für die wissenschaftliche Auseinandersetzung ist der Nachdruck der Zeichnung überflüssig; ein Gedanke an die Respekttoleranz wäre durchaus angebracht gewesen. Gerade die Rücksichtnahme auf den Islam als kulturfremde Religion wäre ein wichtiger Schritt zu ethisch verantwortlichem Handeln in unserer säkularisierten westlichen Gesellschaft gewesen.
Wenn man die Deskription der Zeichnung liest, drängt sich der Verdacht auf, dass Krüger die Zeichnung zudem nicht ausreichend durchdrungen hat. Eine seriöse Recherche ist nicht einmal in Ansätzen zu erkennen. So spricht er etwa von einem arabischen Emblem auf dem Bombenturban ohne dabei zu realisieren, dass es sich um das islamische Glaubensbekenntnis handelt: “Aschadu an la ilaha ill Allah wa aschadu anna Muhammadan Rasul Allah – Ich bezeuge, es gibt keinen Gott außer Allah; und ich bezeuge, Mohammed ist der Gesandte Allahs”. Aus nahe liegenden Gründen setzen sich die Defizite der Deskription auf der Ebene der ikonographischen Interpretation fort. Für die Qualität des Beitrags hätte man sich prinzipiell gewünscht, dass sich Krüger mit der Ikonographie und Ikonologie nach Erwin Panofsky ähnlich intensiv auseinander gesetzt hätte wie mit den Schriften von Kris und Gombrich. So erhält der an sich sehr überzeugende Sammelband leider nicht den Ausstiegsbeitrag, den er eigentlich verdient hätte.
Links:
Über das BuchThomas Petersen; Clemens Schwender (Hrsg.): Visuelle Stereotype. Köln [Herbert von Halem Verlag] 2009, 208 Seiten, 21,- Euro.Empfohlene ZitierweiseThomas Petersen, Clemens Schwender (Hrsg.): Visuelle Stereotype. von Knieper, Thomas in rezensionen:kommunikation:medien, 25. Februar 2011, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/2280