Sybille Krämer: Medium, Bote, Übertragung

Einzelrezension
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Rezensiert von Stephan Günzel

Einzelrezension
Die an der Freien Universität Berlin lehrende Philosophieprofessorin Sybille Krämer legt mit ihrer Kleinen Metaphysik der Medialität von 2008 eine Bestimmung des “Medialen” vor. Im Unterschied zum Begriff des Mediums, der in erster Linie auf die Apparatur abhebt, fokussiert die Frage nach dem Medialen oder der Medialität des Mediums das Phänomen der Vermittlungsweisen und nicht deren technische Grundlagen oder Ursachen des Zustandekommens. Es geht damit um das (durchaus ältere) Thema der Kommunikation – und zwar im Sinne dessen, was Medien ermöglichen. Von hier aus erklärt sich auch, warum Krämer von “Metaphysik” spricht: Dies tut sie nicht etwa, weil sie Philosophin ist und das Übernatürliche deshalb bei ihr einen Vorrang gegenüber dem Natürlichen genießt, sondern weil das Mediale nach ihrer Ansicht über das physische Vorkommnis eines Mediums hinausgeht und daher eben “meta-physisch” ist. Ein anders gelagerter Entwurf wäre etwa Walter Seitters Physik der Medien von 2002, wo es ausdrücklich um “Materialien” und “Apparate” geht.

Krämer steht daher auch nicht – wie viele der heutigen Medienwissenschaftler – in der Tradition der so genannten “Toronto School” um Marshall McLuhan, welche Kommunikation durch deren materielle Grundlagen determiniert sah. Vielmehr folgt sie einer Denkschule, die den Vermittlungsweisen eine Eigenständigkeit zuweist, welche es jedoch allererst noch zu umreißen gelte. Genau das leistet Krämers Band in einem ersten Schritt, in welchem sie Vordenker ausweist: Walter Benjamin (und seinen Hinweis auf das mediale Phänomen der Unmittelbarkeit des gesprochenen Wortes), Jean Luc Nancy (und die an Heidegger entwickelte Idee von Mediation als “Mitsein”), Michel Serres (und seine Analyse der Vermittlungsfigur des Engels sowie seiner Kehrseite, des Parasiten), Régis Debray (und sein Vorschlag, Kulturgeschichte im Sinne einer Mediologie als Transformation durch Übertragung zu rekonstruieren) sowie John Durham Peters (und sein Konzept, wonach die massenmediale Streuung den Nachrichten der Face-to-Face-Kommunikation vorausgeht). Gerade die Arbeiten des zuletzt genannten Autors – allen voran Speaking into the Air von 1999 – dürften von der deutschen Medientheorie noch zu entdecken sein.

Mit ihrem Durchgang gibt Krämer der Medialitätstheorie eine Grundlage, die sie auch sogleich vor dem Anschein in Schutz nimmt, lediglich einem hochschulpolitisch verordneten Etikett nachzugehen, mit dem eine kulturwissenschaftlich-philosophische von einer empirisch-soziologischen Medienwissenschaft unterschieden würde. Damit kommt dem Buch eine Schlüsselstellung in der gegenwärtigen Grundsatzdebatte um die Zukunft der Medienwissenschaften zu; zudem vergrößert Krämer zugleich den Bestand an Arbeiten zum Medienbegriff, welche die Seite der Wahrnehmung sowohl gegenüber dem Medieninhalt als auch gegenüber dem Medienträger stärken (zu nennen sind hier etwa Arbeiten von Boris Groys, Hans-Dieter Huber, Dieter Mersch, Matthias Vogel oder Lambert Wiesing).

Krämer spricht zu Anfang von zwei Vorentscheidungen, die den Lesern sozusagen die Entscheidung abnehmen, inwieweit die nachfolgenden Darstellungen für sie hilfreich sind: Sie ist es für den Fall, dass die Überzeugungen der Autorin im Hinblick auf das mediale Sein der Medien geteilt werden. Angesprochen sind in diesem Zusammenhang vor allem die Prämissen der Heteronomie zum einen und der Nichtreziprozität zum anderen: Mit der privativen Benennung der beiden Eigenschaften (“nicht” selbstbestimmt, “nicht” dialogisch) wendet sich Krämer gegen die Vorstellung, Kommunikation sei durch den Sender der Nachricht bestimmt und beziehe den Empfänger in den Kommunikationsprozess ein. Vielmehr ist Krämer der Ansicht, dass Kommunikation vornehmlich nur in eine Richtung (vom Sender zum Empfänger) weise, der Urheber der Nachricht aber zugleich keinen Einfluss mehr auf die einmal versandte Nachricht habe. In diesem Zuge rückt der Bote als etwas in den Blick, was Gilles Deleuze und Félix Guattari eine “Begriffsperson” genannt hätten: Boten kommen zwar historisch vor, der Bote ist aber eine Figur, die die Strukturmerkmale von Medienvorgängen verkörpert – allen voran das der Übertragung. Am Beispiel von Engel, Geld und Viren, aber auch Zeugenschaft, Übersetzung und Psychoanalyse wird deutlich gemacht, wie diese Figuren oder Schauplätze und Situationen eine strukturelle Entsprechung zum vorgeschlagenen Medienbegriff aufweisen und warum von Engeln, Geld oder Viren zurecht als Medien gesprochen werden kann; und zuletzt, warum das Nachdenken über “Spuren” medientheoretisch relevant ist, da das Medium sich letztlich in dem zeigt, was es als Boten in der Übertragung hinterlässt. Nicht der Sender und nicht der Empfänger, ja letztlich nicht einmal der Übermittler selbst rücken damit ins Zentrum, sondern die durch die medialen Vorgänge erzeugten und hinterlassenen Ordnungen.

Mit der Fokussierung des Boten trifft Krämer letztlich noch eine dritte Vorentscheidung, nämlich die, vom Medium als Speicher abzusehen. Eben diese Ansicht, derzufolge Medien materielle und historische Vorkommnisse seien, deren Tätigkeit vorrangig eine der Speicherung darstelle (insofern auch Übertragung nur die räumliche Verlagerung einer materiell gespeicherten Botschaft sei), sind die Grundlinien der – den Ansatz McLuhans radikalisierenden – Medientheorie von Friedrich Kittler, welche den nicht der Kommunikationswissenschaft zuzurechnenden Teil der Medientheorie in Deutschland heute zwar dominiert, aber entsprechend marginal für Krämers Darlegungen ist. Nicht unterschätzt werden kann daher die Aufgabe, die sich Krämer mit ihrer kleinen Metaphysik stellt. “Klein” an dieser Metaphysik der Medialität ist daher allenfalls der an sonstigen Metaphysiken gemessene Umfang von dennoch fast 400 Seiten.

Ein zunächst gewöhnungsbedürftiges, sodann aber hilfreiches Stilmittel ist die vorlesungsartige Ansprache der Leser durch die Autorin. Dies wird nicht zu suggestiven Zwecken eingesetzt, um Argumentation zu ersetzen, sondern um zu markieren, dass es sich um eine Position unter anderen handelt. Hier wird die Kleinheit der Metaphysik zu einem wichtigen Merkmal im Sinne der Ironikerin nach Rorty, welche im Aufstellen einer Metaphysik zugleich deren Relativität anerkennt.

Das vielleicht schönste und im Vergleich mit den anderen Ausführungen leider zu kurz ausgefallene Schlusskapitel ist die Anwendung der vorgeschlagenen medialen Perspektive auf Karten, aus der wohl im Fortgang eine ganze Theorie der Karten entwickelt werden könnte. Krämer deutet hier nur an, dass sich der bisherige Diskurs zwischen Karten als neutralen Abbildern der Natur und Karten als kulturellen Konstruktionen bewegt, es aber im Sinne des Medialitätsdenkens lohnenswerter scheint, nicht über die Wahrheit von Karten zu streiten, sondern vielmehr zu zeigen, in welcher Weise sie vermitteln und welche Form der Anschauung sie geben. Die Welt mit einem “apollinischen Auge” aus göttlicher Perspektive zu sehen, ist damit nicht nur menschenmöglich, sondern nur Menschen möglich – weil sie Medien haben.

Literatur:

  • Seitter, W.: Physik der Medien. Materialien – Apparate – Präsentierungen. Weimar [VDG Verlag] 2002.
  • Peters, J.D.: Speaking into the Air. A History of the Idea of Communication. Chicago, London [University of Chicago Press] 1999.

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Über das BuchSybille Krämer: Medium, Bote, Übertragung. Kleine Metaphysik der Medialität. Frankfurt am Main [Suhrkamp Verlag] 2008, 379 Seiten, 28,- Euro.Empfohlene ZitierweiseSybille Krämer: Medium, Bote, Übertragung. von Günzel, Stephan in rezensionen:kommunikation:medien, 1. Februar 2010, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/2200
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