Rezensiert von Julia Elena Goldmann
Ingrid Haidegger widmet sich in ihrer Monographie Watch It! einem Phänomen, mit dem jeder und jede wohl beinahe täglich zu tun hat: dem Filmplakat. Diese Omnipräsenz des Mediums im Alltag spiegelt sich jedoch nicht in seiner akademischen Diskussion wider. Wenn entsprechende Poster untersucht wurden, dann geschah dies bisher zumeist unter der Prämisse, dass das Plakat ein Kunstwerk ist. Vernachlässigt wurde dabei die Frage, wozu es eigentlich gedacht ist – nämlich als Marketinginstrument. Haidegger unternimmt nun einen wichtigen Schritt, um diese Forschungslücke zu schließen. Auf Basis eines beeindruckenden Korpus von 250 Filmplakaten aus den Jahren 2010-2015 arbeitet sie mithilfe eines semantisch-syntaktischen Analysemodells Indikatoren für die Postergestaltung der Genres Action, Komödie, Krimi, Historie, Horror, Musical bzw. Musikfilm, Liebesfilm, Science Fiction und Fantasy, Kriegsfilm und Western heraus.Das Filmplakat versteht Haidegger als Paratext nach Gerard Genette und damit als essentielles Element der Vermarktung. Da Literatur zur Analyse von Filmplakaten rar ist, werden Parallelen zu ‘herkömmlichen’ Werbeanzeigen hergestellt und entsprechende Konzepte auch für das Marketing von Filmen adaptiert. Dabei wird betont, dass Film ein sehr ungewöhnliches Produkt ist, da es nicht greifbar im herkömmlichen Sinne, sondern eher als eine sehr spezielle Erfahrung zu begreifen ist.
Nach einer ausführlichen historischen Kontextualisierung des Filmplakates führt die Autorin ihre Leser_innen sehr kompakt in Genres und ihre Konventionen ein und unterstreicht dabei, dass bei der Rezeption von Genrefilmen Vergnügen gewisserweise aus Re-Affirmation entsteht: Die Zuseher_innen tragen Erwartungen, welche aus der bisherigen Rezeption des jeweiligen Genres erwachsen, an einen Film heran; das Spannende an der Filmerfahrung ist schließlich, die vertrauten Konventionen in ‘neuem Kleid‘ zu sehen. Gleichwohl wird mittels eines Zitates des Medienwissenschaftlers Jason Mittel unterstrichen, dass Genres aufgrund ihrer Beschaffenheit als intertextuelles Konstrukt niemals eindeutig definierbar sind bzw. sein können.
Danach teilt Haidegger ihre Analyse in zwei Themenkomplexe: die visuellen und die textuellen Elemente eines Filmposters. Interessanterweise beginnt sie mit den Ausführungen zu Letzteren, wo der jeweilige Filmtitel an erster Stelle steht. Optimalerweise weckt dieser möglichst effektiv Neugier. Gleichzeitig fungiert er oftmals bereits als Genreindikator. Besonders beliebt scheinen Ein-Wort-Titel zu sein, etwa der Name einer Figur (Lincoln) oder der Ort einer Handlung (Everest). Durchschnittlich wies die Stichprobe einen Titel von 2,5 Wörtern auf, welche vorrangig in Sans Serif Fonts in Szene gesetzt werden. Neben gängigen Behauptungen wie etwa “Based on a true story” oder “Inspired by actual events” identifiziert die Autorin das Rating, also die Altersfreigabe eines Filmes, Äußerungen von Kritiker_innen, mögliche Auszeichnungen, die Tagline, den Billing Block, also die Aufzählung des kreativen Personals eines Filmes, Verweise auf Technologien wie 3D oder IMAX 3D, den Starttermin, die Online Präsenz und etwaige Verweise auf Soundtrack oder andere Merchandising-Artikel als zentrale verbale Elemente des Filmposters.
Im zweiten Komplex, jenem der visuellen Elemente, strukturiert Haidegger ihre Analyse nach Key-, Catch- und Focus Visual. Ersteres gestaltet sich beim Film abermals schwierig, da Filme abstrakte Produkte sind; aus diesem Grund verweist die Autorin hier auf gängige Logos, wie jenes von Mickey Mouse oder Batman, welche etwa bei Fortsetzungsreihen besonders wirksam sind. Unter dem “Catch Visual” werden Bilder verstanden, die bestimmte Emotionen auslösen, die auf die Grundstimmung des Filmes verweisen sollen. Vor allem hier wird das einzelne Produkt mit anderen, ähnlichen Filmen verbunden, da sich genrespezifische Konventionen und stereotype Bilder herausgebildet haben. Dabei spielt das Setting des Posters sowie die entsprechenden Requisiten eine bedeutende Rolle. So bedient sich das Krimigenre etwa einer urbanen Umgebung sowie Neonlichtern, Stiegen, Uhren, Spiegeln oder auch Zigaretten.
Damit eng verbunden sind wiederum Farbschemata, welche den Werbeeffekt verstärken, Aufmerksamkeit generieren und je nach Genre variieren – etwas, das abermals auf Erwartungshaltungen zurückzuführen ist. Zusätzliche Aspekte sind hier die Beleuchtung, Platzierungen im oberen/unteren bzw. linken/rechten Bereich des Posters, das Framing, Kleidung und Make-up sowie die Inszenierung der Stars sowie deren Körpersprache.
Unter dem “Fokus Visual” diskutiert Haidegger die Rolle der Stars auf den Filmplakaten, die einerseits den körperlichen Fokus nochmals verstärken und andererseits dem Film (genrespezifische) Glaubwürdigkeit zusichern können. Gerade hier ist der Bezug zum eigenen Filmkorpus der Analyse jedoch nicht sehr stark. Es wird von Paraderollen etwa von Sylvester Stallone gesprochen, aber wenig Verbindung zur eigenen Stichprobe hergestellt. Fragen wie “Gibt es im Korpus der 250 Filme ‘Häufungen’ von Schauspieler_innen? Entsprechen diese Filme ihrer Paraderolle/ihrem ‘Ruf’? Gibt es Abweichungen?” bleiben hier leider großteils unbeantwortet. Ähnliches ist zur Diskussion des Autorenfilms bzw. zu spezifischen Stilen von Regisseuren, die bereits in Kapitel 3.5.2 diskutiert wurden, zu sagen. Schließlich wird noch auf das Geschlechterverhältnis der Strichprobe verwiesen, wo – vielleicht wenig überraschend – von insgesamt 842 Personen auf den Filmpostern ganze 612 Männer zu sehen sind. Einzige generische Abweichungen bieten hier der Liebesfilm sowie das Horrorgenre.
Haidegger bietet in ihrem doch eher knappen Fazit eine pointierte Zusammenfassung der analysierten Genres an, die jedoch zumindest zum Teil zu wünschen übrig lassen. So finden nicht alle Aspekte, die zuvor zum Teil sehr ausführlich thematisiert wurden, hier auch Eingang. Exemplarisch hierfür sei das Horrorgenre angeführt, wo die doch relativ ausgewogene Geschlechterkomponente leider keine Erwähnung in der Zusammenfassung findet. Gerade hier wäre eine Diskussion des Konzeptes des ‘Final Girls‘, das den Film oftmals als Einzige überlebt und der weiblichen Hauptrolle somit große Bedeutung zukommen lässt, eine wichtige Komponente zur Erklärung des ‘hohen‘ Frauenanteils. Zudem bleiben viele der Ausführungen oftmals sehr abstrakt; vielleicht hätte die Diskussion eines spezifischen, prototypischen Posters pro Genre zur Veranschaulichung beigetragen.
Watch It! bietet dennoch eine sehr ausführliche, historisch beispielhaft kontextualisierte und detaillierte Analyse eines bisher eher unbeachteten Marketingtools an und ist somit eine bedeutende Publikation, die es vermag, sowohl in der Werbe- als auch der Genreforschung Lücken zu schließen.
Links:
Über das BuchIngrid Haidegger: Watch It! Movie Posters as Marketing Tools and Genre Indicators. Reihe: Film and Television Studies, Bd. 4. Heidelberg [Universitätsverlag Winter] 2017, 32 Seiten, 42,- Euro.Empfohlene ZitierweiseIngrid Haidegger (2017): Watch It!. von Goldmann, Julia Elena in rezensionen:kommunikation:medien, 11. Januar 2018, abrufbar unter https://www.rkm-journal.de/archives/20881